21. März 2023 19:00

Aufarbeitung der Corona-Zwangsmaßnahmen Müssen Opfer Tätern verzeihen?

Die Logik des Verzeihens und Vergeltens

von Andreas Tiedtke (Pausiert)

von Andreas Tiedtke (Pausiert) drucken

In den sozialen Medien, insbesondere auf Twitter, wird versucht, die Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit der Corona-Zwangsmaßnahmen voranzubringen, ohne dass diese Maßnahmen bereits vollständig ausgelaufen sind. Bereits im September 2022 meldete sich der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn mit seinem Buch „Wir werden einander viel verzeihen müssen“ zu Wort, als die Zwangsmaßnahmen, die mit Corona begründet wurden, zu einem Großteil noch im Gange waren. Ein Frühstart, sozusagen.

Der Nordkurier schreibt, der aktuelle Gesundheitsminister Karl Lauterbach habe lange Zeit für „nebenwirkungsfreie“ Corona-Impfungen geworben und äußere sich nun zu Langzeitschäden durch Impfungen. Lauterbach sei nach und nach – auch unter Kritik von Medizinern – davon abgewichen, die Impfung als „nebenwirkungsfrei“ zu beschreiben. Im ZDF „heute Journal“ habe er gemeint, die „Nebenwirkungsfrei“-Aussage sei ein missglückter Tweet von ihm gewesen. Lauterbach habe gesagt, dass es auf Basis der Daten des Paul–Ehrlich–Instituts und der europäischen Zulassungsbehörde bei weniger als jedem zehntausendsten Geimpften zu schweren, teils irreversiblen Impfschäden gekommen sei. „Diese Schicksale“, so zitiert der Nordkurier Lauterbach, „sind absolut bestürzend“ und die Menschen täten ihm sehr leid. Auch hier wird also augenscheinlich zurückgerudert.

Der Fragen sind nun zweierlei: Erstens: Muss den Opfern verziehen werden? Und zweitens: Muss denjenigen verziehen werden, die, nach nunmehr anscheinend vorliegender Evidenz vielleicht etwas überdreht haben? So titelt beispielsweise die FAZ, dass Karl Lauterbach selbst meinte, dass die Corona-Regeln im Freien „Schwachsinn“ gewesen seien. Und der Münchner Merkur titelt „‚Drakonische Maßnahmen‘ gerade für Kinder: Lauterbach räumt Fehler ein“, und berichtet, dass Lauterbach „im Nachhinein betrachtet“ etwa Schulschließungen als übertrieben einordnete und Kinder zu Unrecht Haupt-Leittragende der Kontaktverbote gewesen seien.

Prinzipien friedlichen Zusammenlebens

Zu ihrer Verteidigung führen manche Politiker etwa an, dass man es damals einfach nicht besser wissen konnte, wie schlimm es kommen würde, weil es ja schließlich noch keine Evidenz gegeben habe. Die Frage, wie sich die Krankheitswelle entwickeln werde, spielte ja in der Zukunft.

Dieser Einwand verfängt handlungslogisch nicht. Die Grundsätze friedlichen Zusammenlebens sind „primum non nocere“, also „zuallererst füge keine Leid zu“ und „in dubio pro reo“, also „im Zweifel für den Angeklagten“ und in einem weiteren Sinne „im Zweifel füge kein Leid zu“. Denn bleiben vernünftige Zweifel im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Zwangsmaßnahme zur Abwehr einer konkreten Gefahr, dann handelt es sich bei der Androhung von Zwangsmitteln gegenüber friedlichen Menschen um eine feindliche Handlung, um einen Angriff. Mit den Zwangsmaßnahmen wie Geschäftsschließungen, Nötigungen zu Impfungen wie „Zwei-G-Regeln“ oder „Drei-G-Regeln“ oder Arbeitsverbote und dergleichen, also dem Zufügen von Übeln bei Nicht-Impfung und so weiter, wurde den Menschen konkret geschadet. Dabei war es aber – bestenfalls – offen, ob die Maßnahmen zur Gefahrenabwehr erforderlich waren. Bestenfalls, weil es damals schon lautstarke Kritiker gab, auch „Experten“, die ignoriert, medial „verzwergt“ oder gar verächtlich gemacht und ausgegrenzt wurden.

Und da es sich bei Krankheitswellen um komplexe historische Phänomene mit Rückkoppelungen handelt, ist der Beweis a priori überhaupt nicht führbar, wie diese sich entwickeln werden und welche Zwangsmaßnahmen wie wirken werden anhand der Interpretation von Korrelationen von Datensätzen. Darüber hinaus sind alle Zwangsmaßnahmen von vornherein mit sicheren Schäden verbunden und niemand ist in der Position, Nutzen für die einen und Leid für die anderen gegeneinander „abzuwägen“, schon alleine deshalb, weil es unmöglich ist, denn Nutzen und Leid sind psychische Phänomene, die nicht objektiv vergleichbar sind, weil es keinen objektiven Standard hierfür gibt, sondern nur Milliarden subjektive.

Vergeltung und Verzeihung

Praxeologisch stellten die Zwangsmaßnahmen, die mit Corona begründet wurden, also feindliche Handlungen dar, die auch zu Schäden und Leid bei den Betroffenen führten. Ein Prinzip, wie Menschen auf Schädigungen reagieren, ist die Vergeltung. Das Prinzip der Vergeltung kennen wir auch vom Danken her, wir sagen „Vergelt‘s Gott!“, also mögest du als Dank etwas dafür erhalten. Es ist das Prinzip von Gabe und Gegengabe, und bei einem Schaden ist das Prinzip der Vergeltung die Rückgabe des Schadens. Vergeltung ist selbst kein Angriff, sondern die Negation der Negation: Der Status quo wird korrigiert, der Schaden zurückgegeben. Der Schädiger kann die Vergeltung im Übrigen auch abgelten, also eine Wiedergutmachung anbieten, ebenso wie der Geschädigte diese verlangen kann. Aber in manchen Fällen ist eine Wiedergutmachung schlicht nicht mehr möglich.

Bei der Vergeltung können wir mehrere Prinzipien unterscheiden, die vom „Duplum“ bis hin zur „Verzeihung“ reichen. Duplum bedeutet, es dem anderen doppelt heimzahlen. Denn der Schädiger hat ja nicht nur einem anderen Leid zugefügt, sondern mit der Zufügung des Leides hat er zudem gegen ein Prinzip friedlichen Zusammenlebens verstoßen, nämlich „im Zweifel füge keine Leid zu!“, und damit unter Umständen klar gemacht, dass er grundsätzlich nicht an einem friedlichen Auskommen mit seinem Mitmenschen interessiert ist. Das Prinzip „Gleiches mit Gleichem vergelten“ kennen wir aus Sprichwörtern wie „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ oder „wie du mir, so ich dir“ (im Englischen: „tit-for-tat“). Und Nachgiebigkeit wird im Englischen „tit-for-two-tat“ bezeichnet, im Deutschen sagen wir etwa: „Dieses eine Mal lasse ich es dir noch durchgehen.“ Zudem gibt es die Verzeihung, also den Verzicht auf Vergeltung im vorgenannten strengen Sinne, bis hin zur absoluten Nachgiebigkeit: „Wenn dir jemand auf die linke Wange schlägt, halte ihm auch die rechte Wange hin.“ Wobei Letzteres auch als Antwort auf eine Beleidigung (die Ohrfeige als Metapher für eine tätliche Beleidigung) verstanden werden kann oder in einem spirituellen Sinne, auf den ich bei dieser weltlichen Betrachtung nicht eingehen werde.

Opfer sind keine Angreifer – ihnen muss man nicht verzeihen

Vergeltung bis hinunter zur Verzeihung sind natürlich nur gegenüber Angreifern möglich, die einen Schaden zugefügt haben, nicht gegenüber den Opfern. Wer angebliche „Vergeltungsmaßnahmen“ gegen Opfer durchführt, der greift schlicht ein zweites Mal an. Er ist Doppeltäter, aber kein Vergeltender. Deshalb kommt auch die Verzeihung für den Täter gegenüber dem Opfer nicht in Betracht, denn es gibt schlicht nichts, was derjenige, der Zwangsmaßnahmen gegen friedliche Menschen beginnt, diesen zu verzeihen hätte.

Fazit

Wir können nun zusammenfassen. Wer sich unsicher ist und/oder nicht beweisen kann, dass von dem anderen eine erhöhte konkrete Gefahr ausgeht, und wer dann Menschen Zwang androht, um ihnen ein Handeln oder Unterlassen abzunötigen, der beginnt gegen diese Menschen aus handlungslogischer Perspektive eine feindliche Handlung. Dass der Betroffene seine „Unschuld“ oder „Ungefährlichkeit“ seinerseits nicht beweisen kann, ändert nichts daran, dass ein Angriff vorliegt. Nur wer einen Angriff, eine konkrete Gefährdung beweisen kann, kann sich auf Verteidigung berufen. Verteidigung und Vergeltung liegen denknotwendig nur vor, wenn eine unmittelbare Gefährdung abgewehrt wird oder eine Schädigung vergolten wird. Wer dies nicht beweisen kann, ist kein Verteidiger und kann auch nicht vergelten oder verzeihen.

Derjenige, der mit der Androhung von Zwang eine feindliche Handlung, also einen Angriff begangen hat auf die Entscheidungsfreiheit, die Bewegungsfreiheit, die Gesundheit und so weiter, der kann denknotwendig nicht derjenige sein, der verzeihen könnte. Ihm kann verziehen werden, ja, aber er hat nichts zu verzeihen, er hat etwas zu bedauern oder – wenn er möchte – zu bereuen, aber nichts zu verzeihen. Er könnte um Verzeihung bitten, aber er konterkariert eine Bitte um Verzeihung sogleich, wenn er sich darauf beruft, dass es „niemand“ besser hätte wissen können, er damit also sinngemäß behauptet, ihm sei überhaupt kein Fehler unterlaufen. Denn dann sagt er praktisch, es gibt auch nichts, was man ihm verzeihen müsste, und dies konterkariert ebenfalls die Aussage, dass man sich „gegenseitig verzeihen“ müsste.

So schreibt „Die Tagespost“: „Spahn entschuldigt sich zwar irgendwie auch selbst, fordert im Gegenzug die Vergebung aber autoritär ein – eine ‚false balance‘, war Spahn doch in mächtiger Position, der Bürger in ohnmächtiger.“

Anstatt also einzugestehen, dass einem Fehler passiert sind, und im nächsten Satz zu sagen, die Fehler seien für jedermann unvermeidbar gewesen, also im Prinzip gar keine Fehler, und anstatt wie ein Grandseigneur den Geschädigten Verzeihung anzubieten, könnte man echte Wiedergutmachung anbieten oder ehrlich um Verzeihung bitten. Man könnte etwa sagen: „Mir sind Fehler passiert. Sie sind dadurch zu Schaden gekommen. Es tut mir leid! Bitte verzeihen Sie mir!“ Oder gar: „Wenn ich nur wüsste, wie ich es wiedergutmachen kann!“

Quellen:

Jens Spahn findet, Sie sollten ihm verzeihen (Die Tagespost)

Lauterbach zu schweren Corona-Impfschäden – Pharmafirmen beteiligen (Nordkurier)

Lauterbach: Corona-Regeln im Freien waren „Schwachsinn“ (FAZ)

„Drakonische Maßnahmen“ gerade für Kinder: Lauterbach räumt Corona-Fehler ein (Münchner Merkur)

Die staatlichen Corona- und Klimamaßnahmen können wissenschaftlich nicht begründet werden (Misesde.org)

Der Kompass zum lebendigen Leben, Kapitel X Abschnitt 3: Vergeltung (Andreas Tiedtke)


Sie schätzen diesen Artikel? Die Freiheitsfunken sollen auch in Zukunft frei zugänglich erscheinen und immer heller und breiter sprühen. Die Sichtbarkeit ohne Bezahlschranken ist uns wichtig. Deshalb sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Freiheit gibt es nicht geschenkt. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit.

PayPal Überweisung Bitcoin und Monero


Kennen Sie schon unseren Newsletter? Hier geht es zur Anmeldung.

Artikel bewerten

Artikel teilen

Kommentare

Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.

Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.