31. März 2023

Zur Strategie des Widerstands – Teil 3 Freier Handel von freien Menschen

Die Idee des Agorismus und ihre Schwierigkeiten

von Stefan Blankertz

Nicht (nur) kritisieren, sondern (auch) zeigen, wie es besser geht, das ist seit jeher die hohe Kunst des Widerstands. Und natürlich macht es die beste Reklame für eine Sache, wenn sich überzeugend zeigen lässt, dass und auf welche Art und Weise sie praktisch durchführbar ist. Die Gründung von Siedlungen nach utopischen Grundsätzen war es im 19. Jahrhundert, diejenige von freien Privatstädten ist es heute. Bei den freien Privatstädten sollen frühere Fehler vermieden werden, etwa indem die Anerkennung des Privateigentums und des freien Handels zu den Grundsätzen zählen, was bei den utopischen Siedlungen des 19. Jahrhunderts (meist) nicht der Fall gewesen war, die eher einen sozialistischen und kommunistischen Hintergrund hatten – außer die Gründungen des US-amerikanischen Anarchisten Josiah Warren; der aber vertrat auch merkwürdige ökonomische Thesen, die nicht ganz so desaströs, wie die der sozialistischen Siedlungen (deren Scheitern er selber miterlebte), aber auch nicht so überzeugend waren, dass sie sich in Windeseile verbreiteten. Eine Idee aus den Siedlungen Warrens jedoch lebt in der Konzeption der freien Privatstädte weiter, die Idee, dass die Beziehungen zwischen den Mitgliedern auf einen Vertrag gegründet sind – ein solcher Vertrag entspricht sogar eher der Vorstellung von Rousseaus Gesellschaftsvertrag als die Verfassungen heutiger Staaten.

Die Aufforderung, unter den gegenwärtigen Verhältnissen zu leben, als seien sie bereits eine freiwillige Gemeinschaft, war auch der Hauptimpuls der Hippies und der sogenannten anti-autoritären Zeit im dritten Quartal des 20. Jahrhunderts (die gängige Bezeichnung als 1968er-Generation ist darum etwas fehlleitend, weil in den USA diese Zeit bereits Anfang der 1960er Jahre begann). Ob es Experimente mit genossenschaftlichen Betriebsformen, die Gründung von Landkommunen, von antiautoritären Kindergärten und Schulen oder einfach der Verstoß gegen gängige Normen, Sitten oder Gesetze waren: Es ging darum zu zeigen, dass es anders sein könnte, als es war. Heute rufen Libertäre dazu auf, dem Schulzwang durch Homeschooling entgegenzuwirken, Steuern zu hinterziehen, private Sicherheitsdienste (oder Milizen) zu gründen und sich durch Gesetze nicht vom freien Handeln abhalten zu lassen.

Für all dies prägte der geniale und unvergessene Samuel Edward Konkin III (kurz SEK3) den Begriff „Agorismus“, abgeleitet von dem altgriechischen Wort „agora“ für den Marktplatz. Auf dem Marktplatz wurde im antiken Athen nicht nur gehandelt, sondern es wurden auch alle sozialen (politischen) Angelegenheiten geregelt.

Das, was mit Agorismus gemeint ist, spielt meiner Ansicht nach für jede Strategie des Widerstands eine hervorgehobene Rolle: Ohne praktische Beispiele oder – um eine Formel aus dem klassischen Anarchismus zu verwenden – ohne Propaganda der Tat wird sich kein nennenswerter Widerstand organisieren lassen. Hinzu kommt, dass die Staatsgewalt viele soziale Funktionen okkupiert hat (wie Bildung oder Konfliktregelung), sodass diese wieder sozial wieder angeeignet und gelernt werden müssen, damit die Menschen überhaupt spüren, dass sie befähigt sind, sie selbstbestimmt und selbstorganisiert erfüllen zu können.

Und doch gibt es auch ein schwerwiegendes Problem. Der philosophische Vordenker der deutschen Neuen Linken, Theodor W. Adorno, prägte den Satz: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Leider hatte er damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Wer tatsächlich Steuern hinterzieht, tut gut daran, in jeder anderen Hinsicht nicht aufzufallen: Er wird seine Kinder brav in die Schule schicken und sie gegebenenfalls auch auf eine Friday-for-Future-Demo karren, er wird bemüht sein, weder politisch noch sozial irgendwie aufzufallen. Wer seine Kinder nicht in eine (staatliche oder vom Staat anerkannte Schule) schickt, wird weder Steuern hinterziehen noch sich irgendwie einem anderen herrschenden Trend (Trend, der den Herrschenden gefällt) entgegenstellen, denn er steht sowieso im Fokus der Behörden, vor allem des Schul- und des Jugendamtes, aber natürlich auch des gesamten übrigen Staatsapparats. Wenn er nicht zum Märtyrer werden will, womit er auch seiner Familie schaden würde, tut er gut daran, sich mit dem Staatsapparat auf keinem weiteren Gebiet anzulegen. Wer ein Unternehmen gründet, der wird sich in jeder Hinsicht akribisch an die Vorschriften und Gesetze halten, egal, wie behindernd, wie unsinnig und wie ausbeuterisch sie auch sein mögen. Denn wenn er es nicht tut, droht ihm die Schließung des Betriebs durch die Staatsgewalt.

Drei Beispiele, die sich auf alle anderen Möglichkeiten des praktischen Widerstands beziehen lassen. Sie zeigen, dass mit jedem Schritt in die Praxis in vielerlei Hinsicht eine Selbstintegration notwendig einhergeht. Eine solche Praxis ist allerdings dann umso freier möglich, je mehr Unterstützung sie aus der übrigen Bevölkerung erfährt. Die agoristische Praxis bedarf eines schützenden Umfelds aus Sympathisanten. Sympathisanten, die zwar selber den Schritt in die Praxis (noch) nicht gehen, sei es aus Angst vor Repression, sei es aus Bequemlichkeit, sei es auch Skepsis über die Erfolgsaussichten, aber denjenigen, die ihn tun, freundlich gesonnen sind: Dieses Umfeld der Sympathisanten macht der Staatsgewalt klar, dass ein repressives Vorgehen gegen die Agoristen den Widerstand nicht bricht, sondern anheizt.

Als Regel folgt aus dieser Überlegung: Je größer und stärker das Umfeld der Sympathisanten, umso mehr agoristische Praxis lässt sich durchführen und umso offensichtlicher und selbstbewusster können die Agoristen handeln.

Samuel Edward Konkin III: „Manifest der neuen Libertären: Und die Geschichte der Bewegung in den USA“, Lichtschlag Medien und Werbung, ISBN-13: 978-3939562573


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