01. April 2023 20:00

Einwanderung Hilfe, die Albaner kommen!

Auf der Suche nach einem besseren Leben

von Thorsten Brückner

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In Europa haben Albaner eher keinen guten Ruf. Die britische Innenministerin Suella Braverman sprach im vergangenen Jahr sogar von „albanischen Kriminellen“, denen sie eine „Invasion“ des Vereinigten Königreichs vorwarf. Das brachte den albanischen Regierungschef Edi Rama so richtig auf die Palme – die Beziehungen zu London sind seither getrübt. Auch beim Staatsbesuch vergangene Woche, der eigentlich die Wogen glätten sollte, legte Rama noch einmal nach und sprach mit Bezug auf die Äußerungen Bravermans von einem „schändlichen Moment der britischen Politik“.

Mehr als 12.000 Albaner haben allein im vergangenen Jahr in Booten den Kanal überquert und sind nach Auffassung der britischen Regierung somit „illegal“ eingereist. Die Forderung des albanischen Premierministers aus dem vergangenen Herbst, seinen Landsleuten Aufenthaltsgenehmigungen zu gewähren, ist zwar richtig, aber heuchlerisch, wenn man sich nur anschaut, wie schwer es die albanische Regierung ihrerseits Ausländern macht, legal im Land Fuß zu fassen.

Nicht besonders hilfreich für die Reputation der albanischen Minderheit ist sicher auch das Verhalten vieler Albaner im Ausland. Sie stellen die größte ausländische Gruppe in britischen Gefängnissen. Jeder zehnte ausländische Inhaftierte im Vereinigten Königreich ist ein Albaner. Auch müsste es eigentlich jedem Albaner einleuchten, warum es nicht zu einer Verbesserung des Ansehens der eigenen Volksgruppe im Ausland beiträgt, am albanischen Nationalfeiertag mit dem Doppeladler durch London zu marschieren. Umgekehrt würden die Albaner Gleiches niemals von einer ausländischen Minderheit in Tirana akzeptieren.

Das kann freilich nicht den Alltagsrassismus entschuldigen, dem viele Albaner nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Deutschland ausgesetzt sind, wo noch deutlich mehr von ihnen leben – die Mehrheit davon allerdings aus dem Kosovo (was keinen geringen Unterschied macht, allerdings Thema einer anderen Kolumne sein wird). Fast jeder heimgekehrte Albaner hat entsprechende Erfahrungen gemacht. Viele berichten, von Türstehern an Diskotheken abgewiesen worden zu sein, nachdem klar wurde, dass es sich bei ihnen um Albaner handelte.

Auch über deutsche Vermieter haben heimgekehrte Albaner wenig Positives zu berichten. Genauso übrigens wie über die deutsche Polizei. Zu mehr Empathie mit Ausländern, die im eigenen Land Diskriminierungserfahrungen machen, führt das leider in der Regel nicht. Vorfälle mit Busfahrern, die fremdländisch aussehende Passagiere nicht mitnehmen, sind keine Seltenheit und werden achselzuckend hingenommen. Allgemein ist der albanische Nationalismus nicht so edel, offen und friedlich, wie ihn viele Albaner gerne zeichnen. Und wer am Flughafen die falsche Nationalität hat, darf sich bisweilen auf eine Behandlung gefasst machen, die dem Verhalten rassistischer Türsteher in Deutschland in nichts nachsteht.

Dabei ist die eigentlich interessante Frage doch: Warum fliehen so viele Albaner aus einem Land, in dem es wirtschaftlich seit Jahren bergauf geht? In dem in den nächsten Jahren unzählige Arbeitskräfte im Tourismus und in der Gastronomie gebraucht werden? Von den Annehmlichkeiten, die das Leben in Albanien bietet, mal ganz abgesehen. Albanien ist landschaftlich eines der vielfältigsten Länder Europas. Die albanische Küche, die jahrzehntelang in der Diktatur verkümmert ist, als die Albaner so arm waren, dass sie sich hauptsächlich von Oliven und weißem Käse ernährt haben, lebt wieder auf, und immer mehr ausländische Besucher entdecken das Land und lassen ihr Geld da.

Die Frage nach der Abwanderung von jungen Erwachsenen beschäftigt auch viele Albaner. Diese kommen dabei allerdings oft zu ganz unterschiedlichen Bewertungen. Dritan etwa, ein Mann Mitte 40, den ich oft in meiner Stammkneipe hier in Tirana treffe, hat kein Verständnis für die Auswanderer. „Wir haben hier doch alles. Diese jungen Leute gehen mit völlig unrealistischen Erwartungen ins Ausland, arbeiten bis zum Umfallen, nur um sich eine schäbige kleine Wohnung leisten zu können, und nach ein paar Jahren kommen sie wieder zurück, weil sie es nicht geschafft haben.“

Einer derer, die es nicht geschafft haben, ist unser Nachbar Rivaldo. Zwei Jahre lebte er in Düsseldorf. „Ich habe es halt versucht“, gibt er sich wortkarg auf die Frage, warum er Albanien verlassen habe und dann ausgerechnet nach Deutschland gezogen sei. Wie den meisten Albanern wurde auch Rivaldo neben den gravierenden Mentalitätsunterschieden vor allem die Sprachbarriere zum Verhängnis. Albaner sind keine Sprachweltmeister. Die Englischkenntnisse sind im europäischen Vergleich unterirdisch. Auch Rivaldo kam ohne Deutschkenntnisse und nur mit gebrochenem Englisch nach Deutschland.

Seine akademische Ausbildung als Historiker nutzte ihm bei den Gelegenheitsjobs, die er in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt übernehmen musste, nichts. Warum also Deutschland? Darauf antwortet Rivaldo gerne mit einer Gegenfrage: „Warum wollt ihr in einem Dritte-Welt-Land wie Albanien leben?“ Eine Frage, die er meiner Frau und mir gerne auch dann stellt, wenn im Gebäude mal wieder Strom und Wasser ausfallen.

Und in der Tat existieren in Albanien Dritte Welt und westliche Zivilisation nebeneinander. Als Faustregel gilt: Alles, was privat ist, funktioniert, alles, was staatlich ist, hat mit europäischen Standards nicht das Geringste zu tun. Doch privat kostet! Muss ein Albaner ins Krankenhaus, hat er die Wahl. Wenn er Geld hat und sich ein Privatkrankenhaus leisten kann, erwartet ihn eine Behandlung fast auf deutschem Niveau. Ohne Geld bleibt ihm nur der Gang in eines der kostenlosen staatlichen Krankenhäuser, wo Zustände herrschen, die man sich nicht vorstellen kann, wenn man sie nicht mit eigenen Augen gesehen hat: kein Krankenhausessen, kein Toilettenpapier, unsagbare hygienische Verhältnisse und Patienten, die ohne ärztliche Versorgung sich selbst überlassen in ihren Betten vor sich hinvegetieren. Wer für seine Liebsten eine Behandlung wünscht, kann eigentlich gar nicht anders, als Krankenschwestern und Ärzten Geld zuzustecken. Wie ein Hohn müssen für Albaner da die Anti-Korruptions-Plakate wirken, die überall in diesen öffentlichen medizinischen Einrichtungen hängen. In staatlichen albanischen Krankenhäusern lebt der Geist von Enver Hoxha fort.

Dazu kommt: Die Löhne steigen nicht annähernd in dem Maße wie die massive Inflation. Ein halbes Pfund Butter kostet mittlerweile 450 Lek (etwa vier Euro). Für 150 Gramm Gouda muss man mindestens 280 Lek (rund 2,50 Euro) berappen, ein Kilo Hackfleisch kostet 1.000 Lek (8,80 Euro) – zu viel für einen Albaner mit einem durchschnittlichen Monatslohn von 600 Euro. In Tirana kann ein junger Mann damit weder eine Familie gründen noch in eine eigene Wohnung ziehen. Warum es also nicht zumindest mal im Ausland versuchen?

Zumal man Albanern nicht absprechen kann, dass sie hart und ausdauernd arbeiten. Unser Taxifahrer schläft pro Tag nur vier bis fünf Stunden, den Rest des Tages sitzt er hinterm Steuer, um genügend Geld für die akademische Ausbildung seines Sohnes zu verdienen. Und wer früh um acht Uhr in den Gemischtwarenladen um die Ecke oder zum Gemüsehändler geht, wird feststellen, dass, wenn er etwas vergessen hat und am späten Abend noch einmal einkaufen geht, dort meist immer noch dieselben Verkäufer sitzen. Von Ladenöffnungszeiten wie in Albanien kann man als Kunde in Deutschland nur träumen.

Liest man in der deutschen und internationalen Presse über die Abwanderung aus Albanien, wird dort gerne „Korruption“ als Grund für Auswanderungsbestrebungen genannt. Mir ist dieses Motiv noch von keinem Albaner zugetragen worden. Wer in Albanien aufgewachsen ist, die Sprache spricht und das System durchblickt hat, hat sich in der Regel mit Korruption arrangiert. Korruption ist allgegenwärtig, sie ist Teil einer jeden albanischen Biographie. Und sie ist nicht per se etwas Schlechtes. Korruption kann auch einen Freiheitsgewinn bringen, ein Korrektiv gegenüber einem übergriffigen Staatsapparat sein. Auf dem Höhepunkt des Covid-Wahnsinns etwa erließ die albanische Regierung im Sommer 2021 ein Musikverbot in der Öffentlichkeit für die späten Abendstunden.

Für die Besitzer von Kneipen und Diskotheken war dies besonders in Touristenorten wie Saranda ein Angriff auf deren Existenz. Die müssen nämlich ihr gesamtes Jahreseinkommen zwischen Mai und September erwirtschaften. Das Letzte, was sie dabei brauchen können, ist eine Regierung, die ihnen die Kunden davonjagt. Doch in Saranda spielte noch wochenlang nach dem Verbot bis spät in die Nacht Musik. Nicht irgendwo in einer Hinterhofkneipe, sondern an der Strandpromenade. Die Gastronomen hatten einen Deal mit der örtlichen Polizei gemacht. Premierminister Rama spuckte daraufhin Gift und Galle über „Barbesitzer an unserer Küste, die Polizeichefs unter ihrer Fuchtel haben“. Die albanische Regierung sah sich damals genötigt, regimetreue Kräfte aus Tirana zu schicken, um die Stadt zum Schweigen zu bringen.

Jeder Albaner, der sein Glück in Zentraleuropa oder im Vereinigten Königreich sucht, hat es verdient, mit Respekt behandelt zu werden. Dies setzt voraus, ihn zunächst mal als Individuum wahrzunehmen und nicht als Teil einer Gruppe mit negativer Reputation. Man kann nur hoffen, dass die vielen Auswanderungserfahrungen, die gerade seit 2020 auch immer mehr Deutsche machen, mittelfristig zu einem offeneren Umgang und zu mehr Empathie mit den Einzelschicksalen von Migranten führen. Denn dabei geht es um ganz konkrete Menschen und nicht um politisch gewollte Massenmigration.

Doch auch auswanderungswillige Albaner sollten sich fragen, wie sie eigentlich in Deutschland oder im Vereinigten Königreich reüssieren wollen. Ohne Kenntnisse, zumindest der englischen Sprache, wird es jedenfalls ganz schwierig. Und den Doppeladler sollte man am besten zu Hause lassen.


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