05. April 2023 20:00

Was ist Moral? Jeder, wie er will …

„Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt“ (Immanuel Kant)

von Markus Krall

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Nie war sie so wichtig wie heute. Nein, nicht Klosterfrau Melissengeist, auch nicht die Gesundheit, das Klima oder der Weltfrieden, sondern die Moral. Moral ist etwas, das zu seiner Herstellung im Jahr 2023 offenbar so wenig Ressourcen verbraucht, dass es dieser Tage in einem Überfluss vorhanden ist, den man sich für die knapperen Güter dieser Welt nicht einmal vorzustellen vermag. Die Moral unserer Tage teilt die Menschheit in die Guten, die sich auf sie berufen können, und die Schlechten, die von ihr angeklagt werden.

Moral ist wichtig und allgegenwärtig. Ruft man den Begriff bei Google auf, so wird man informiert, dass es 1,6 Milliarden relevante Webseiten dazu gibt. Die Moral einer Gesellschaft wird bei Oxford Dictionary definiert als „Gesamtheit der ethisch-sittlichen Normen, Grundsätze und Werte, die das zwischenmenschliche Verhalten einer Gesellschaft regulieren und von ihr als verbindlich akzeptiert werden“.

Betrachtet man den Terminus der Verbindlichkeit, knirscht es aber schon ganz gewaltig im Gebälk. Denn hier tut sich in unseren Tagen ein Spannungsfeld auf, das die Gesellschaft in Bälde vor eine Zerreißprobe stellen wird. Wir sind nämlich nicht mehr in der Lage, uns als Gesellschaft auf verbindliche Regeln des Zusammenlebens zu einigen, weil wir im Namen der Toleranz der „Wertepluralität“ huldigen, die in Wahrheit ein Wertenihilismus ist. Wer jeden Wertekanon als möglich akzeptiert, für den ist keiner davon mehr verbindlich. Diese Gesellschaft hat die Prophetie Friedrich Nietzsches umgesetzt und Gott für tot erklärt. Die über 2.000 Jahre lang verbindlichen religiösen Normen des Christentums werden nicht nur geflissentlich ignoriert, sie werden abgelehnt.

Im gesellschaftlichen Umgang miteinander gilt daher mittlerweile das Prinzip „Jeder, wie er will“, eine Überhöhung und dadurch am Ende auch eine Verneinung des Grundsatzes Friedrichs des Großen, dass in seinem Reich „jeder nach seiner Fasson“ glücklich werden solle. Dieses „Jeder, wie er will“ im Namen einer grenzenlosen Freiheit verstößt aber gegen das Prinzip, dass die Freiheit des Einzelnen dort endet, wo die Rechte des anderen anfangen. Die Schwächsten der Gesellschaft werden zu Freiwild erklärt, vorweg die Ungeborenen, die Kinder (die schrittweise des Schutzraums vor sexuellen Übergriffen entkleidet und so zum Objekt der sexuellen Ausbeutung degradiert werden) und die Alten, Behinderten und Kranken, über deren Wert und Lebensrecht man eine schamlose Euthanasiediskussion führt.

Die Entgrenzung dieses Freiheitsbegriffes richtet sich aber nicht nur gegen den Mitmenschen, sondern auch gegen die Institutionen, die den Zusammenhalt und das Funktionieren einer wahrhaft freien und moralischen Gesellschaft ermöglichen. Es sind dies vor allem die Rechte des Individuums, sein Recht auf Eigentum, die Familie und die Religion. Diese Erosion trägt in unseren Tagen sichtbare Früchte, und für die Apologeten dieser Verirrung gilt der biblische Satz: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“

Vor diesem Zustand warnte Ayn Rand, insbesondere im Hinblick auf die resultierende Korruption, als sie schrieb: „Geld ist das Barometer der Moral einer Gesellschaft. Wenn Sie sehen, dass Geschäfte nicht mehr freiwillig abgeschlossen werden, sondern unter Zwang, dass man, um produzieren zu können, die Genehmigung von Leuten braucht, die nichts produzieren, dass das Geld denen zufließt, die nicht mit Gütern, sondern mit Vergünstigungen handeln, dass Menschen durch Bestechung und Beziehungen reich werden, nicht durch Arbeit, dass die Gesetze Sie nicht vor diesen Leuten schützen, sondern diese Leute vor Ihnen, dass Korruption belohnt und Ehrlichkeit bestraft wird, dann wissen Sie, dass Ihre Gesellschaft vor dem Untergang steht.“

Dieses Resultat des ethisch-moralischen Verfalls ist logisch und zwingend, wenn eine Gesellschaft sich der wahren Moral entkleidet und allen möglichen Formen von Scheinmoral zu huldigen beginnt. Um die Trennungslinie zwischen beiden zu verstehen, müssen wir die Begriffe „Gesinnungsethik“ und „Verantwortungsethik“ betrachten.

Die Gesinnungsethik identifiziert einen Problembereich, und der Gesinnungsethiker macht ihn sich zu eigen als wichtigstes, wenn nicht einziges Feld, auf dem der moralische Anspruch erhoben werden darf. Ein besonders gutes Beispiel dafür ist der angeblich „menschengemachte“ Klimawandel. Durch das Postulat, dass dieser die Existenz der Welt bedrohe, wird er zum Dreh- und Angelpunkt allen Handelns erhoben. Denn wer könnte es wagen, dem Retter der Welt in den Arm zu fallen? Wer das tut, der stellt sich im Weltbild des Gesinnungsethikers außerhalb jeder menschlichen Kategorie, er stellt sich gegen die Menschheit, und damit ist jedes Mittel recht, um ihn aufzuhalten und unschädlich zu machen. Diese Idee ist die Wurzel des moralischen Furors, mit dem die Anhänger der Klimareligion alle verfolgen und mundtot zu machen versuchen, die es wagen, auch nur Fragen nach den zugrunde liegenden Annahmen und wissenschaftlichen Grundlagen zu stellen. „97 Prozent aller (ernst zu nehmenden) Klimawissenschaftler“ haben das so gesagt, punkt, fertig, aus, basta. Natürlich wissen wir, dass auch diese Zahl eine Lüge ist. Mit umso mehr Inbrunst wird sie repetiert.

Erstaunlich ist allerdings, dass sich der moralische Furor in regelmäßigen Abständen neue Betätigungsfelder sucht. Die gleichen Kreise, die ihre Mitmenschen mit dem Feuer der Klimahölle als Strafe für ihre Unbotmäßigkeit bedrohen, sind auch der Auffassung, dass Gut und Böse im Krieg in der Ukraine klar erkannt, definiert und be- beziehungsweise verurteilt sind. In diesem Fall bedroht ein „Diktator“ den Weltfrieden – ihn nicht mit allen militärischen Mitteln zu stoppen, ist nichts Geringeres, als Frieden mit Hitler oder dem Teufel selbst zu schließen.

Die Klimafolgen (ob real oder eingebildet) müssen also für die Dauer bis zum Endsieg hintangestellt werden. Waffen schaffen Frieden, Krieg ist Frieden, Hass ist Liebe. Wer etwas anderes sagt und sei es auch nur andeutungsweise mit dem Argument, dass Frieden auch Diplomatie benötigt, ist der Feind, der Verräter, der Putin-Versteher, Russenfreund und eigentlich ein Unmensch. Der Siegfrieden gegen die größte Atommacht auf dem Planeten ist greifbar, wenn auch nicht CO2-neutral, aber nach der Erringung dieses Triumphes kümmern wir uns sofort um die Windrad-Versorgung der geschundenen Ukraine. Diesmal im wortwörtlichen Sinne. Dann wird alles gut, die Bösen sind dann tot, das Gute triumphiert. Außerdem, so erfahren wir, geht es um die Verteidigung unserer Werte, der westlichen Werte, die wir aber wegen unseres obersten Wertes, des Wertenihilismus, nicht mehr so recht definieren können. Die Wahrnehmung der Welt außerhalb unserer westlichen Blase ist allerdings, dass diese Werte aus Wokeismus, Genderismus und allem bestehen, was große Teile der Menschheit als „Sodom und Gomorrha“ bezeichnen.

Ganz ähnlich funktioniert die Gesinnungsethik bei der Frage der Verteilung. Sie strebt nach Gleichheit im Ergebnis. Der Erfolgreiche soll nicht mehr haben als der nicht Erfolgreiche. Das sei „ungerecht“. Bereits in den Essays „Was ist sozial?“ und „Was ist Eigentum?“ haben wir ausführlich über diese Verirrung diskutiert und die Gleichheitsforderungen sowie die aus ihnen resultierenden Forderungen der Umverteilung als Kondensation des Raubes und damit auch des Unrechts desavouiert.

Die brutale Wahrheit ist, dass diese Gesinnungsethik nicht ohne die Umkehrung aller Logik, aller Wahrheit und aller wahren Ethik auskommen kann. Sie ist in Wirklichkeit eine satanische Umkehrung der Moral, der Ethik und der Tugend.

Der Gegenpol zur Gesinnungsethik ist die Verantwortungsethik. Ihre Verfechter denken und argumentieren die Dinge vom Ende her. Die Frage ist nicht, ob ein einzelnes Thema hochgejazzt wird, um alle vor den Karren einer Ideologie zu spannen oder eine politische oder lobbyistische Agenda durchzusetzen, sondern die eigentliche Frage der Moral und Ethik lautet: Nach welchen Regeln sollen wir leben, damit unser Zusammenleben gedeihlich funktioniert, damit die Ordnung menschengerecht ist, die Menschenrechte respektiert werden, den Menschen das Streben nach Glück und Wohlstand ermöglicht wird und sie in ihrer Interaktion kooperativ und wechselseitig hilfreich sind und nicht antagonistisch und feindlich?

In der Geschichte der Menschheit hat sich immer wieder gezeigt, dass es dieser Ansatz ist, der Gesellschaften auch erfolgreich, wohlhabend und frei macht. Von den zwei Arten der Moral erweist sich nur eine als echt. Es gab viele Beispiele radikaler Ideologien, die durch Fokussierung auf ein einziges, oft nur wahrgenommenes und nicht reales, Problem den Menschen eine gesinnungsethische Moral aufzwingen wollten und die sämtlich gescheitert sind. Die Klimaideologie ist nur die jüngste in einer langen Reihe. Die Kriegspropaganda ist ebenso wie die Seuchenpropaganda aber eine seit Jahrhunderten, ja sogar Jahrtausenden erprobte Variante. Sie wird üblicherweise hervorgekramt, wenn andere Narrative zur Disziplinierung der Menschen zu scheitern drohen. Generell kann man sagen, dass diese Form der falschen Ethik nicht ohne Anklagen und Schauprozesse auskommt. Sie genügt sich nicht selbst, sondern sie muss Gegner und Abweichler vernichten, wenn nicht physisch, dann wenigstens sozial. Das ist der Grund für ihre Hypermoral. Sie kann ohne Alleinvertretungsanspruch nicht existieren. Die soziale Vernichtung geht der physischen nach aller historischen Erfahrung aber nur voraus. Der Übergang zum Massen- oder gar Völkermord erfordert es, einer genügend großen Zahl von Menschen einzuimpfen, dass sie im Namen des Guten – vorübergehend – schreckliche Dinge tun müssen. Der KZ-Wächter ist ein Gutmensch, er ist sich sicher, für eine große Sache enorme Opfer zu bringen. Wie weit diese Perversion des Geistes zu gehen bereit ist, kann man den Reden und Schriften der Verantwortlichen für die Verbrechen des Nationalsozialismus entnehmen. Man braucht dafür einen starken Magen.

Die Vorstufe der physischen ist die soziale Vernichtung. Ihr bevorzugtes Mittel ist der Rufmord. Deshalb sind Abweichler von der reinen Lehre heute wahlweise „rechts“, „Nazis“, „Schwurbler“, „Aluhüte“, „antisemitisch“, „falsch abgebogen“ und vieles mehr. Da sich Begriffe im politischen Kampf abnutzen, ist die Steigerung notwendig. Es folgt die zunehmende Verrohung der Sprache, die sich aber durch den Kampf für die wahre, gute und gerechte Sache rechtfertigt. Besonders wirksam ist solches Vorgehen, wenn es von „den Autoritäten“ getragen und gefördert wird. Nur durch den Schutzraum des Staates für Verbrechen ist wahrer Fanatismus möglich, denn tief in seinem Inneren weiß der Täter, dass sein Tun mit Moral und Ethik schon lange nichts mehr zu tun hat. Er kann sein Gewissen nur dann vollständig unterdrücken, wenn er sich dem Glauben hingeben kann, dass die im Namen des Guten begangenen Verbrechen niemals geahndet werden, jedenfalls nicht mit weltlicher Gerechtigkeit.

Ein besonders anschauliches Beispiel für den nahtlosen Übergang von der Überzeugung, einem Weltübel entgegenzutreten und einen Kampf für das Überleben der Menschheit zu führen zu einem wahrhaft verbrecherischen Tun, hat uns die Covid-Krise geliefert. Ich nenne sie bewusst nicht Covid-Pandemie, denn um eine solche handelte es sich nie, und die Daten zeigen, dass das auch Anfang 2020 schon jedem klar denkenden Menschen bekannt sein musste. Die Abschaffung aller Bürgerrechte ohne wissenschaftliche Evidenz, das Mundtot-machen kritischer Stimmen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, das Niederprügeln friedlich demonstrierender Bürger, die hasserfüllte Sprache für „die Ungeimpften“, die Maßlosigkeit der Hetze – dies alles war das Ergebnis der Gesinnungsethik. Jeder dieser Täter fühlte sich gut und im Recht in dem, was er tat. Nicht ohne Grund schrieb der Publizist Henryk Broder in diesen dunklen Tagen (ich zitiere sinngemäß): „Wenn ihr mich fragt, wie 1933 möglich war, dann ist die Antwort: Weil die so waren, wie ihr heute seid!“

Intellektuell war die Trennlinie von dieser Sprache zur Errichtung von Internierungslagern für Impfverweigerer nur noch hauchdünn. In Australien standen sie schon.

Da uns die Gesinnungsmoral vor Augen führt, was Moral nicht ist, stellt sich unweigerlich die abschließende Frage: Was also ist Moral?

Moral ist die Bereitschaft, den Menschen als Menschen zu akzeptieren, ihm, dem göttlichen Naturrecht folgend, unveräußerliche und nicht von der Zuerkennung durch Dritte abhängige Rechte auch praktisch zuzugestehen. Moral ist ein Kodex von Verhaltensregeln, der die Menschen vor dem Recht gleichbehandelt und nicht nach Ergebnisgleichheit strebt, die die Menschen zwingend in ihren Lebensentwürfen vergewaltigen muss. Moral ist die Einsicht der Begrenztheit des eigenen Wissens und die Zurückweisung der Anmaßung des Wissens durch die Mächtigen. Moral ist der Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen im Sinne des Kant’schen Diktums „Sapere aude!“. Moral ist die Zurückweisung von „Haltung“ (dem neuen Modewort zur Vermeidung des diskreditierten Begriffes der Gesinnung) als Substitut für den Streit der Ideen und die offene Diskussion. Moral ist der Mut, gegen den Strom zu schwimmen, auch wenn die Kosten dafür angesichts der oben beschriebenen Methoden der Hypermoralischen hoch sein mögen. Moral ist die Umsetzung dessen, was uns 5.000 Jahre menschlicher Zivilisation in einem sozial-evolutionären Prozess gelehrt haben, nämlich dass es nicht eine beliebige, sondern eine ganz bestimmte Ordnung ist, die die Menschen zu Glück und Wohlstand führt.

Diese Ordnung ist die Ordnung der Freiheit, des privaten Eigentums, der Familie als Kernbaustein der Gesellschaft, der Religion als Stütze und Leitschnur der gesellschaftlichen Ethik und der Kunst, Musik und Kultur als Offenbarung und Korrespondenz zwischen dem Menschen als Geschöpf und dem Schöpfer als Stifter von Freiheit und Glück.

Moral ist, diese Einsichten zur Richtschnur des eigenen Lebens zu machen.


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