Lautloser Krieg: Der Kampf um die Macht
Je unsichtbarer Politik ist, umso erfolgreicher ist sie darin
von Monika Hausammann (Pausiert)
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Die Behauptung ist, dass wir uns in einem Krieg befinden. In einem Krieg, der nicht ist wie andere Kriege – sichtbar, laut, mit klar kommunizierter Mission und ebenso klarem Feindbild –, sondern im Gegenteil lautlos, unsichtbar wie ein „Gas“, das „herumschwebt“ oder ein „Windhauch“ (T. E. Lawrence). Ein Krieg, in den man hineingezogen werden und eine Niederlage erleiden kann, ohne es jemals zu wissen. Um dieser Behauptung auf den Grund zu gehen, ist es notwendig, zuerst eine Antwort auf die Frage zu finden, was Krieg ist. Im Rahmen einer Kolumne muss dies freilich in verkürzter und komprimierter Form geschehen.
Die bekannteste Formel des Krieges ist wohl jene Carl von Clausewitz’, wonach Krieg ein Akt der Gewalt mit dem Zweck sei, den Gegner zur Erfüllung des eigenen Willens zu zwingen. Dieser Wille ist in der Regel von politischer Natur. Damit wird auch das andere berühmte Clausewitz-Zitat verständlich, wonach Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei. Die erste Frage muss also nicht jene nach dem Krieg, sondern jene nach der Politik sein.
Ungeachtet der Frage, ob Politik eine Notwendigkeit sei – und, wenn ja, weshalb und wie viel davon –, kann sie in ihrem ursprünglichen Sinn als ein auf festgelegten Grundsätzen basierendes und aufbauendes Gefüge von Einrichtungen und geregelten Vorgängen zur langfristigen Sicherung eines Gemeinwesens, einer Gemeinde, eines Kantons oder eines Staates, definiert werden. Da es im Rahmen einer Demokratie einen Wettstreit darum gibt, mit welchen Maßnahmen dieses Ziel am besten zu erreichen sei, und weil nur die Menschen jener Partei, die von einer wie auch immer gearteten Mehrheit durch Wahl oder Abstimmung dazu ermächtigt wird, ihre Maßnahmen in die Praxis umsetzen können, ist Politik immer zuerst ein Kampf um Mehrheiten beziehungsweise um Macht.
Macht, sofern sie gezügelt wird durch die Verfassung und das Recht, ist ein begrenzt verfügbares Gut. Es gibt nie genug Macht, um alle politischen Ideen aller Menschen und Parteien in die Wirklichkeit umzusetzen – weder global noch innernational. Umso härter ist der Kampf um sie. Das bevorzugte Mittel im Kampf um das vorhandene Quantum an Macht, der Politik also, ist nicht die Wissenschaft im Sinn beobachtbarer Wirklichkeit. Das bevorzugte Mittel der Politik ist die Kultur der Gemeinschaft, um deren Gemeinwesen sie sich zu kümmern anschickt. Die Kultur im Sinne der Werte, Normen und Ziele der Menschen, die sich größtenteils auf einer unbewussten Ebene abspielen und die die Wünsche der Menschen bestimmen. Dabei gilt: Je stärker Werte und Normen im Unterbewusstsein verankert sind, umso stärker sind auch die Wünsche. Der stärkste Wunsch eines Menschen ist also einer, von dem der Wünschende gar nicht weiß, dass er ihn hegt. Das war die längste Zeit über eine Stärke, denn die tiefe Verankerung der Normen und Werte, die auch die Wünsche bestimmen, immunisierte eine Gemeinschaft bis zu einem gewissen Grad gegen politische und anderweitige Moden.
Die Kultur unserer Zivilisation ist eine christliche. Die Werte, Normen und Ziele, die unserem Rechtssystem ebenso zugrunde liegen wie den ungeschriebenen Gesetzen über das Verhalten des Einzelnen im Rahmen unseres Zusammenlebens, lassen sich vereinfacht auf die biblischen Zehn Gebote herunterbrechen: Freiheit, Eigentum, Eigenverantwortung. Freiheit von Tyrannei – kein Mensch und keine Institution hat das Recht, sich gottgleich über die Menschen zu erheben. Eigentum – kein Mensch und keine Institution hat das Recht, einem anderen wegzunehmen, was er von Natur aus besitzt (Leib und Leben) oder was er durch den Einsatz seiner Lebenszeit und Lebenskraft erworben hat. Eigenverantwortung – kein Mensch hat das Recht, einem anderen zu diktieren, was er mit seinem Leben und Eigentum anzufangen habe; und keiner, der mit seinem Leben und Eigentum nach eigenem Gutdünken und Wünschen verfährt, hat das Recht, die Konsequenzen seines Handelns auf andere abzuwälzen – er hat sie selber zu tragen.
Zwei Dinge sind nun vor dem Hintergrund dieser Gegebenheiten nicht neu: zum einen, dass die politischen Parteien im Wettstreit um die Macht versuchen, ihre Inhalte verbal mit den Normen und Werten der Gemeinschaft in Einklang zu bringen, und zum anderen, dass sie versuchen, die Werte und Normen und Ziele zu verändern. Dies ist auch der Grund, warum sich die Politik direkt oder indirekt fast sämtliche Institutionen einverleibt hat, die nicht nur die Meinungen, sondern auch die Normen und Werte und damit die Wünsche und Ziele einer Gemeinschaft, speziell der jüngsten Generation, prägen – allen voran Bildung, Wissenschaft und Kulturbereich. Mit einigem Erfolg, wie man heute sehen kann.
Nicht neu ist auch die Tatsache, dass der Kampf um die Macht zwischen den Parteien oft genug ein Krieg war und ist. Ein Krieg, in dem die Mittel der Gewalt und der Einflussnahme zur Erreichung der eigenen politischen Ziele beigezogen wurden. Während die Gewalt sich gegen den politischen Gegner richtete, um ihm durch Lügen, Ablenkung, Erpressung oder anderweitige mediale Kaltstellung die Möglichkeit zur Gegenwehr zu nehmen, richtete sich die Einflussnahme auf die Befürworter der eigenen sowie der gegnerischen Politik (Wähler) mit dem Ziel der Steuerung ihrer Wahrnehmung. Die erfolgreichsten politischen Kampagnen sind solche, während denen sich Gewalt und Beeinflussung die Waage halten und gegenseitig verstärken.
Direkt aus dem militärischen Bereich stammen zwei Begriffe, die in diesem Zusammenhang relevant sind: Energie und Sichtbarkeit. Energie bezeichnet die Menge an Gewalt, die es braucht, um den Feind dazu zu zwingen, sich den eigenen politischen Wünschen zu beugen, während Sichtbarkeit genau das bedeutet, was das Wort aussagt: die Sichtbarkeit der Gewalt und damit Information, die dem Feind Rückschlüsse auf die Strategie des Angreifers ermöglicht. Der Einsatz einer Bombe bedeutet große Energie und große Sichtbarkeit. Das Ziel im Krieg ist es also immer, einen größtmöglichen Effekt bei minimaler Energie und Sichtbarkeit zu erzielen. Das beste Mittel zu diesem Zweck ist die Einflussnahme. Ein unsichtbarer Krieg ist – wenig überraschend – ein reiner Einflusskrieg. Und wenn Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, dann bedeutet das im Umkehrschluss, dass jene Politik am einfluss- und erfolgreichsten ist, die unsichtbar bleibt.
Die Frage, die es also zu stellen gilt, ist diese: Wo nehmen wir, politisch gesehen, die größte Energie und Sichtbarkeit wahr? Betrifft diese „laute“ Politik die wichtigsten Fragen zur Zukunft unseres Gemeinwesens? Oder findet unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der Menschen eine „weitere“ Politik statt – eine lautlose und unsichtbare, die sich auf die Anwendung von Gewalt und Einfluss konzentriert, um ihre Ziele zu erreichen, und die dennoch an den meisten Menschen spurlos vorübergeht?
Mehr dazu nächste Woche.
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