Fürchtet Euch nicht!: Ostern – das höchste Fest der Christenheit
Grund genug, sich die eigentliche Botschaft des Christentums in Erinnerung zu rufen
von Stephan Unruh
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An sich wollte ich an dieser Stelle und zu Ostern etwas über die Christen in China schreiben, zu ihrer Geschichte, ihrer Entwicklung und dem Umstand, dass die Volksrepublik für ein kommunistisches Land erstaunlich viel Religionsfreiheit bietet, aber dann las ich jüngst einen Facebook-Eintrag eines Bekannten und dachte, dass ich angesichts der Bedeutung des Osterfestes doch etwas tiefer bohren sollte.
Dieser Bekannte schrieb nämlich über die Angstmacherei – der englische Begriff „fear mongering“ trifft es noch etwas besser –, also darüber, wie mit Angst nicht nur Geschäfte, sondern auch handfeste Politik gemacht wird. Im Augenblick sind es „das Klima“ und „die Russen“, vor nicht einmal sechs Monaten war es noch das tödlichste aller Todesviren und davor Feinstaub, Reichsbürger und Trump. Eigentlich mein ganzes Leben lang gab es immer irgendwelche Dinge, vor denen uns allen Angst gemacht wurde: Waldsterben, saurer Regen, „Nazis“, Ozonloch, Atomkraft, Rinderwahn – was auch immer. Meistens hat es funktioniert. Zumindest eine Zeit lang, und dann kam das nächste Angstding. Die Gesellschaft rannte immer in die entsprechende Richtung. Angst ist ein großartiges Kontroll- und Steuerungsinstrument. Es funktioniert übrigens auch auf der Seite der „Antisystemlinge“: Der Crash kommt!; Umvolkung!; Hyperinflation!; die kommunistische Unterwanderung …
Nun will ich nicht behaupten, dass unser Finanzsystem kerngesund sei, man militärische Bedrohungen ausblenden und Umweltverschmutzung ignorieren oder Kommunisten einfach machen lassen sollte. Keineswegs. Nur wären etwas weniger Panik, etwas mehr gesunder Menschenverstand und natürlich Gelassenheit angebracht. Die Welt wird nicht untergehen, auch wenn die Börse kracht oder die durchschnittliche planetare Temperatur um zwei Grad steigt (okay, während ein Börsenkrach tatsächlich sehr reale, zumindest finanziell reale Schmerzen verursacht, ist bereits die Idee einer globalen Durchschnittstemperatur völliger Blödsinn). Jeder, der auch nur kurz über dieses oder jenes Thema nachdenken würde, wüsste das eigentlich auch, und dennoch kann sich kaum jemand von uns der Angstreiberei entziehen.
Der Grund ist banal: Wir sind nicht sonderlich groß, verfügen über keine gewaltigen Zähne, Hauer oder Krallen, sind auch nicht sonderlich schnell. Wir frieren schnell, und mit großer Hitze kommen wir auch nur bedingt klar. Unsere Haut ist dünn und schnell aufgerissen, unsere Knochen sind ebenfalls nicht besonders dick. Über großartige Kräfte verfügen wir ebenfalls nicht – unsere nächsten Verwandten, Schimpansen, können uns mit Leichtigkeit einen Arm ausreißen, die meisten von uns hingegen würden schon am Zerreißen des Telefonbuchs einer Kleinstadt scheitern. Kurz: Wir sind als extrem verletzliche Wesen in eine unglaublich gefährliche Welt hineingeboren worden (Heidegger würde von „geworfen worden“ sprechen). Tatsächlich war es auch unsere Empfänglichkeit für Angst (zumindest aus evolutionärer Sicht), die uns die letzten 6,5 Millionen Jahre hat überstehen lassen. Denn Angst ist auch ein starker Motivator. Wer sich vor Raubtieren fürchtet, wird entsprechende Vorkehrungen treffen und sich generell vorsichtig verhalten, er wird hinsichtlich der Nahrung vorsorgen (oder es zumindest versuchen) und auch hinsichtlich seiner möglicherweise feindlich gesonnenen Nachbarn …Wer sich aber zu sehr fürchtet und ängstigt, der ist gelähmt und wird nicht mehr zu welcher Handlung auch immer in der Lage sein.
Hier setzt das Christentum an (und übrigens auch andere Religionen). „Fürchtet euch nicht!“, ruft der Engel den Hirten zu, als er ihnen die Geburt Jesu verkündet. Genau diese „Fürchtet Euch nicht!“ unterstreicht die frohe Botschaft zu Ostern: An Karfreitag wird Jesus gekreuzigt und stirbt am Kreuz für unsere Sünden, die er so auf sich nimmt, wodurch sie uns vergeben werden (übrigens möge man „Sünden“ bitte richtig verstehen: nicht als das Angstinstrument, als das die „heilige Mutter Kirche“ den Begriff missbrauchte, sondern als „das Ziel verfehlen“ – in diesem Sinne sind wir tatsächlich alle Sünder, denn wer von uns trifft seine Ziele schon mit hundertprozentiger Sicherheit?), und am Ostersonntag steht Christus von den Toten wieder auf. Das Christentum nimmt so seinen Anhängern die vermutlich zentralsten Ängste des Lebens: zum einen die Angst zu versagen und zum anderen, noch wichtiger, die Angst vor dem Tod. Christen leben in der Gewissheit, dass sie trotz aller Unzulänglichkeiten, die uns Menschen nun einmal auszeichnen, angenommen sind und dass der Tod eben nur ein Übergang und nicht das Ende darstellt.
Freiheit ist nur möglich, wenn man seine zentralen Ängste überwindet, oder, wie Thukydides es Perikles in den Mund legte, die Bedingung der Freiheit ist der Mut, trotz der vorhandenen Ängste zu handeln. Dieser Mut wird durch die – aus christlicher Perspektive – Tatsache befeuert, dass unser „Sünden“ vergeben wurden und der Tod nicht das Ende ist. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass gerade das Christentum in seinem Kern eine Religion der Freiheit ist. Die Kreuzigung und die Wiederauferstehung befreien die Menschen von zwei zentralen Ängsten. Entsprechend waren und sind Menschen wie Roland Baader oder Ron Paul eben nicht nur in der Freiheit, sondern auch und gerade im Christentum verwurzelt.
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