Institutionalisierter Rentenraub: Demonstrationen der willigen Untertanen
Die Franzosen sind nicht weniger obrigkeitshörig als die Deutschen
von Christian Paulwitz drucken
Am Freitag vergangener Woche wurde die Heraufsetzung des Mindest-„Renteneintrittsalters“ von 62 Jahren auf 64 Jahre in Frankreich vom Verfassungsrat gebilligt. Die bereits seit Wochen und Monaten andauernden erbitterten Proteste auf den französischen Straßen werden fortgesetzt.
Mehr noch als das deutsche Bundesverfassungsgericht ist der französische Verfassungsrat ein politisch besetztes Gremium. Man könnte jetzt Betrachtungen anstellen, mit wie viel Substanz das französische Selbstverständnis als demokratischer Staat unterlegt ist, der sich auf den in der europäischen Staatsrechtsgeschichte entwickelten Prinzipien der staatlichen Gewaltenteilung beruft, wenn ein Gesetz nicht durch das Parlament verabschiedet werden muss, sondern durch Präsidialerlass eingeführt werden kann, sofern die Parlamentarier nicht ausreichend frei von eigenen Interessen im bestehenden Präsidialsystem sind, um den Präsidenten ob solchen Vorgehens nicht aus Prinzip selbst in Frage zu stellen. Offenbar kommt es Parlamentariern weniger auf Prinzipien der Gewaltenteilung an als darauf, für ihre Entscheidungen nicht verantwortlich gemacht zu werden. Das ist in Frankreich nicht anders als in anderen westlichen Demokratien. Aber hier handelt es sich nur um einen relativ unbedeutenden Nebenaspekt, denn egal, welches „Renteneintrittsalter“ der Staat beschließt, ein Rentensystem, das in Frankreich wie auch in Deutschland auf Umlagefinanzierung beruht, also auf Zwangsabgaben – Raub – gestützt ist, die an die „Rentenbezieher“ ausbezahlt werden, bleibt unabhängig von jeder Gesetzeslage schweres Unrecht und ein Verbrechen.
Ja, die Franzosen seien nicht so willige Untertanen wie die Deutschen, die sich von ihren Regierungen alles gefallen ließen und alles mitmachten. Die würden sich wehren und gegen Zumutungen aufbegehren. – So hört man es angesichts breiter und teils heftiger Demonstrationen in Frankreich nicht selten in alternativen Kreisen hierzulande, in denen man an der deutschen Obrigkeitshörigkeit nicht ganz zu Unrecht zu verzweifeln geneigt ist. Doch nichts könnte falscher sein. Der Protest, nachdem ein staatliches „Rentensystem“ sich nun ohne große Überraschung als nicht in der Lage erwiesen hat, langfristig das zu leisten, was Politiker versprochen haben, müsste ja in eine ganz andere Richtung gehen: Finger weg vom Eigentum der Bürger – die Altersversorgung der Bürger ist zu wichtig, als dass man sie dem Staat anvertrauen dürfte. Die Diskussion über den Ausstieg aus dem System ist überfällig, um endlich einen Übergang zu vollziehen, damit künftig Bürger aus den Früchten Ihrer Arbeit sich einen angemessenen Ruhestand finanzieren können, ohne dass der korrupte Staat mit seinen schmierigen Dreckfingern ihnen in die Tasche greifen kann und mit seinem verdorbenen, aus dem Nichts geschaffenen Geld zu Staub werden lässt, was oberflächlich betrachtet einmal wie Gold zu glänzen schien.
Doch solche Forderungen nehme ich nicht wahr in den Berichten aus Frankreich, weder aus den Hauptstrommedien noch aus den alternativen. Ich fürchte, sie sind mindestens so abwegig wie in Deutschland, eher noch abwegiger, denn Frankreich hat eine weitaus stärker zentralistische und sozialistische Tradition als Deutschland. Das Volk begehrt auf, um von der Obrigkeit Almosen zu erbitten, die diese woher auch immer durch Raub und Erpressung beschaffen soll – denn woher sollten sie sonst kommen? Was auf den ersten Blick wie umstürzlerischer Protest aussehen mag, ist in Wirklichkeit eine Bewegung der Realitätsverweigerung, zur Anerkennung und Stabilisierung des gescheiterten Plünderungssystems. Es mag an der Spitze des Systems Personalwechsel geben, doch in der Masse herrscht die eingeschränkte Perspektive der anerzogenen Sklavenmentalität. Nicht Freiheit ist das erstrebenswerte Ziel, sondern später im Leben – lieber etwas früher als später – zu den Begünstigten des Systems der Sklaverei zu gehören, nachdem man sich sein Arbeitsleben zuvor zu den Ausgebeuteten hätte zählen müssen, wenn man ehrlich genug gegen sich selbst gewesen wäre. „Brot und Spiele“ will die Masse – mögen doch nachfolgende Generationen weiter in noch tieferer Sklaverei und in Abhängigkeit von Gunst und Willkür der Obrigkeit leben, anstatt sich selbst durch eigenen Fleiß und zum Wohle anderer in freiwilliger Kooperation die Zukunft gestalten zu können.
Eine Rendite, die auf der Grundlage künftiger Raubzüge versprochen wird, kann nüchtern und handlungslogisch betrachtet nicht auf Dauer erhalten werden, was bereits bei der Einführung des Systems ohne jeden Zweifel hätte klar sein müssen, wenn man es nur hätte sehen wollen. Wird erst einmal einer Clique das Privileg zugestanden und es ihr institutionell abgesichert, Raub zu vollziehen und über seine Verteilung zu bestimmen, so ist damit auch der dauerhafte gesellschaftliche Konflikt eingerichtet. Er ist in praktischer Weise die Basis der Macht der Obrigkeit, indem sie Gruppen gegeneinander ausspielen kann. Zunächst dämpft der Raub die Anreize zur Produktion und reduziert damit langfristig die Beutebasis, während die Abhängigkeit der Masse verstärkt wird. Im weiteren Verlauf stützt sich die Macht auf die Profiteure des Systems, die Begünstigten der Umverteilung und diejenigen, die diese Position vor Augen haben.
In den geriatrischen westlichen Gesellschaften sehen sich mitunter schon die jugendlichen Berufsanfänger in der Perspektive des später abhängigen staatlichen Rentenbeziehers und nicht in der des Gestalters der eigenen Zukunft – mit der Aussicht auf „Bürgergeld“ wird in Deutschland zusätzlich bereits früh mit dem süßen Gift der Abhängigkeit gelockt. Mit allerlei Tricks und Propaganda wird die geplünderte Bevölkerungsgruppe über das Ausmaß ihrer Plünderung getäuscht, zum Beispiel indem man „Beiträge“ als teils durch Arbeitnehmer, teils durch Arbeitgeber finanziert ausweist. Die Unausweichlichkeit der Teilnahme am aufgezwungenen System fördert mit den propagandistischen Erzählungen die Selbsttäuschung, man finanziere seine Ruhestandsbezüge durch zuvor gezahlte Beiträge. Doch aus der Unvermeidlichkeit der eigenen Beraubung zum Zwecke der Umverteilung kann kein Recht auf Raub an anderen zu eigenen Gunsten folgen, aus erlittenem Unrecht kein Recht auf Unrecht an anderen.
Eine nachhaltige Ruhestandsfinanzierung kann nur aufgrund von im Erwerbsleben gewonnener Überschüsse erfolgen, die als Kapital rentabel angelegt werden. Der Aufbau von Altersversorgungen in Eigenverantwortung schließt nicht Sicherungssysteme zum Schutz vor Kapitalverlust oder Schicksalsschlägen im Lebenslauf aus – im Gegenteil. Kapital kann nur langfristig aufgebaut und erhalten werden, wenn es vor dem Zugriff von politischen Betrügern mit Umverteilungsnarrativen geschützt ist, sonst wird es eher heute als morgen vergeudet.
So ergibt das Wort vom Rentenraub einen Sinn: Er findet nicht mit der Festsetzung höherer Altersgrenzen oder niedrigerer Bezüge statt, sondern mit dem Zugriff auf als Beiträge und Steuerzuschüsse getarnte Plünderungsbeträge. Das System selbst ist verbrecherisch aufgebaut und muss gekippt werden.
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