19. April 2023 08:00

Gesellschaftssysteme Sprengen wir den Rahmen!

Warum der Einheitsstaat keine Zukunft hat

von Oliver Gorus

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Fast alle oppositionellen Geister sind sich nicht nur einig darin, die aktuelle Politik der Regierungsparteien nicht mehr zu wollen, sondern auch darin, eine andere Politik zu wollen. Das Von-weg und das Hin-zu ist stets gleich: weg von der einen Politik, hin zu einer anderen Politik.

Natürlich sind sich die Widerständler nicht einig darin, welche andere Politik sie haben wollen. Da gehen die Meinungen, Wünsche und Vorstellungen weit auseinander. Aber sie sind sich eben einig darin, dass sie nach wie vor Politik wollen. Also Politiker. Also eine Regierung. Also regiert werden. Also beherrscht werden.

Sie wollen zwar von anderen Herrschern beherrscht werden als den aktuellen, aber es herrscht ein gewaltiger Konsens des Beherrschtwerdenwollens. Nicht nur die Anhänger der Grünen, der Roten, der Gelben und der Schwarzen wollen Untertanen bleiben, sondern auch deren Gegner. Auch die Anhänger der AfD oder der Linken oder der Basispartei glauben daran, dass „ihre“ Politiker, wenn sie dereinst als Abgeordnete im Parlament und in den Ausschüssen sitzen, sich nicht an üppig apanagierte Pöstchen und Pensiönchen gewöhnen, sich nicht von Lobbyisten bestechen und kaufen lassen, sich nicht an ihr Listenplätzchen klammern und nicht mit der Meute heulen werden.

Geschwüre, Metastasen, Hypertrophie

Aber die Vorstellung, die eigenen Politiker seien gegen Opportunismus immunisierte Superhelden, ist illusorisch. Es ist nun mal so, dass die meisten Politiker in Schwarz, Rot und Gelb in den Fünfziger-, Sechziger- und auch noch in den Siebzigerjahren ja durchaus noch ehrenwerte Persönlichkeiten waren, jedenfalls teilweise und zumindest im Vergleich mit den heute lebenden Exemplaren. Der Politbetrieb, vor allem nach dem Umzug in das abgehobene Raumschiff Berlin, hat die Politiker dann aber nach und nach verdorben. Unaufhaltsam. Das politische System mit der Negativauslese durch Parteilisten, mit der fehlenden Gewaltenteilung, mit dem Hang zu Zentralisierung und Hypertrophie und mit dem notorischen Parteiengeschwür, das durch Medien, Gerichte, Universitäten, Kulturbetrieb, Parlamente und Regierungen metastasiert, macht auch den stärksten Ehrenmann mit der Zeit zum verlogenen Wendehals.

Aber mehr noch: Die meisten Oppositionellen wollen nicht nur weiterhin Untertanen bleiben, nur eben unter anderen Herrschern, sondern wollen auch weiterhin Demokratie, Steuereintreibung, Sozialstaat und Umverteilung, nur eben möchten sie das Eigentum eher von anderen konfiszieren und das Geld eher anderen geben.

Sie alle wollen auch weiterhin einen großen zentralistischen Nationalstaat, nur eben irgendwie anders. Die einen wollen eine große zentralistische Räterepublik und die Reichen sollen in den Gulag. Die Nächsten wollen einen großen zentralistischen, von afrikanischen und asiatischen Verunreinigungen gesäuberten ethnisch-reinen Nationalstaat, und die Südländer sollen remigriert werden. Wieder andere wollen eine große zentralistische Basisdemokratie mit Volksabstimmungen und der allumfassenden Diktatur der Mehrheit. Und währenddessen bauen die aktuellen Machthaber die große zentralistische Ökodiktatur aus und degrowthen den Wohlstand der Bürger um Jahrzehnte zurück.

Uneinigkeit, Unrecht und Unfreiheit

Ich frage mich schon seit Langem, warum fast alle Menschen sich an fast dem kompletten bestehenden starren Rahmen des gesellschaftlichen Zusammenlebens festklammern und nur Nuancen verändern wollen – wie wenn sie ein Auto kaufen, bei dem Farbe, Karosserie, Motorisierung und Getriebe schon feststehen und nur noch die Farbe der Sitze ausgewählt werden kann.

Dabei gehen die Vorstellungen, Prinzipien, Standpunkte und Werte der Individuen in Wahrheit viel, viel weiter auseinander. Ein Teil der Menschen beispielsweise verabscheut Zwang und Gewalt. Ein anderer, größerer Teil der Menschen findet dagegen Zwang und Gewalt ganz großartig, solange es die anderen sind, die gezwungen und vergewaltigt werden.

Für einen Teil der Menschen ist individuelle Freiheit ein hoher Wert, und zwar auch die Freiheit der anderen. Ein anderer, größerer Teil der Menschen findet dagegen die Freiheit der anderen völlig verzichtbar, wenn dafür nur die eigene Sicherheit hoch ist oder zumindest das Gefühl von Sicherheit.

Manche haben eine begrenzte Vision des Menschen, das heißt, sie sehen die moralischen und biologischen Begrenzungen und versuchen, mit der Unvollkommenheit der Menschen klarzukommen. Ein anderer, größerer Teil der Menschen hat dagegen eine unbegrenzte Vision des Menschen. Für sie ist das Individuum ein Produkt der Gesellschaft und kann alles sein und werden. „Sandwirt“-Autor Sebastian Wessels hat diese beiden Weltsichten in seinem Beitrag (siehe untenstehenden Link) wunderbar herausgearbeitet. Und auch die Folgen.

Jeder nach seiner Fasson

Alles in allem sind die Vorstellungen, Weltsichten, Werte und Grundpositionen der Menschen so verschieden, dass sie nicht in das Einheitsauto passen. Nicht nur die Sitzfarbe muss sich ändern, damit sie mit ihrem Auto ins Glück fahren können. Die einen brauchen ein Cabrio, die anderen eine Familienkutsche, manche wollen einen Ferrari, andere einen Toyota Prius, ja und manche sehnen sich nach dem VW Käfer zurück.

Mit anderen Worten: Ich plädiere dafür, den Rahmen zu sprengen! Ein Neuanfang wird früher oder später sowieso nötig sein, da das politische System der Parteienrepublik Deutschland in vielerlei Hinsicht gerade mit Schwung gegen die Wand fährt. Dieser Neuanfang wird schlicht und ergreifend kein neues Einheitsmodell für alle sein können.

Denn für Gläubige der Klimareligion wird es immer unmöglicher werden, mit nicht veganen, dieselfahrenden und privatvermögenden Ungläubigen zusammenzuleben. Und umgekehrt. Rechtsidentitären ist es nicht zumutbar, mit Relativisten und Kulturliberalen zusammenzuleben. Woke können nicht mit Konservativen. Sozialisten nicht mit Kapitalisten. Planwirtschaftler nicht mit Marktwirtschaftlern. Grüngelbe Kriegstreiber hassen Friedensaktivisten. Ungeimpfte und Impfzwinger sind wie Feuer und Wasser. Windradler und Kernkraftler leben wie auf anderen Planeten. Freunde der Meinungsfreiheit und Gegner von Hassrede finden keine Verständigung mehr.

Ich glaube mittlerweile, dass wir Bewohner der westlichen Gesellschaften uns gründlich auseinandergelebt haben. Warum lassen wir’s dann nicht einfach gut sein mit dem Einheitskorsett der großen zentralistischen politischen Einheiten? Leben wir doch lieber nebeneinander in kleinen, eigensinnigen Ländern unsere wohlstandsverwahrlosten Schrulligkeiten aus, jeder auf seine Weise, jeder nach seiner Fasson. Das wäre so viel klüger, als krampfhaft zu versuchen, im permanenten Bürgerkrieg irgendwie Einigkeit herzustellen.

Die Chance darauf nimmt mit der galoppierenden Schwäche der Parteifürsten und mit der Sklerotisierung der Politbürokratie immer weiter zu. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Vision der tausend Liechtensteins von Hans-Hermann Hoppe noch eine große Zukunft vor sich hat.

„Der Sandwirt“: Im bunten Bällebad der Menschheitsbeglückung


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