20. April 2023

Lautloser Krieg Das T-Wort

Von Feind- und Freund-Strategien

von Monika Hausammann (Pausiert)

Wir haben gesehen, dass, wenn man heute vom „Polit-Theater“ spricht, dies nicht mehr bloß ironischer Ausdruck für die gern belächelten Schwerfälligkeiten und die intriganten Inszenierungen des politischen Betriebs, sondern wörtlich zu nehmen ist: Was wir sehen und worüber berichtet wird, ist eine mehr oder weniger gut gemachte Show – nur noch dem Namen nach eine Vielfalt von Parteien und ihren jeweiligen Werten und Ideen. Das Sagen in Regierungen und Parlamenten hat eine mächtige Allparteien-Allianz, zusammen mit ihren Partnern aus supranationalen Organisationen und Großkonzernen, deren Programm nur einen einzigen Punkt kennt: mehr Macht. Der Frontverlauf des lautlosen Krieges, um dem es hier geht, ist damit geklärt: Die Linie verläuft zwischen dieser Allianz und dem Rest der Menschen.

Um zu verstehen, dass es sich bei dem, was geschieht, nicht nur im metaphorischen Sinn um einen Krieg handelt, sondern tatsächlich um einen mit militärischen Mitteln, militärischen Methoden und militärischem Personal ausgetragenen Konflikt, ist es notwendig, auch „Krieg“ anders zu denken als das, was man sich gemeinhin darunter vorstellt. Dies wurde mir schlagartig klar, als ich im Zuge meiner Recherchen zum aktuellen Roman auf diverse Aufsätze zum Thema Netzwerke und ihre Bekämpfung im Rahmen moderner Kriegsführung von Stephen Pampinella, Assistenzprofessor des Departments of Political Science and International Relations an der State University von New York, stieß.

Seine Geburtsstunde hatte diese Art des Krieges, um den es mir geht, im Irak ab 2003 im Zuge des „Globalen Kriegs gegen den Terrorismus“, der nach den Geschehnissen vom 11. September 2001 von der Regierung Bush ausgerufen worden war. Pampinella beleuchtet den sunnitischen Aufstand in der irakischen Provinz Al-Anbar von Ende April desselben Jahres. Die US-Streitkräfte hatten, nachdem Frieden und Demokratie in das Land hineingebombt und Saddam Husseins Baath-Partei gestürzt worden waren, erwartet, sich auf das Aufspüren und die Bekämpfung sogenannter Terror-Netzwerke wie Al-Qaida konzentrieren zu können. Damit, dass die einheimische Bevölkerung sie nicht Spalier stehend mit Jubelrufen und einem Volksfest begrüßen würde, sondern ihnen mit Misstrauen, Feindseligkeit und Protesten begegnete, hatte man offenbar nicht gerechnet. Ziemlich rasch war klar: Eine Eskalation war nicht eine Frage des Ob, sondern nur des Wann. Die amerikanischen Streitkräfte waren nur für die konventionelle Kriegsführung ausgebildet und hatten keinerlei Erfahrung mit Einsätzen inmitten einer feindlich gesinnten einheimischen Bevölkerung. Ihre einzige Antwort auf die unerwartete Situation war schlicht Gewalt. Als am 28. April in Falludscha aus der Menge einer Demonstration größtenteils unbewaffneter Zivilisten gegen die Besetzung einer Schule Schüsse abgefeuert wurden, schossen die amerikanischen Streitkräfte in die Menge zurück und töteten eine erhebliche Anzahl von Demonstranten. Nur einen oder zwei Tage später schossen die Soldaten eines US-Konvois erneut in eine Menge von Irakern, die gegen ihre Verhaftung protestierten. Ab da herrschte Krieg zwischen den Befreiern und den Befreiten – die US-Streitkräfte wurden, wo immer möglich, angegriffen, ihre Operationsbasen standen täglich unter Beschuss. Ihre Reaktion blieb dieselbe: Gegengewalt. Auf einfachen Verdacht hin wurden ganze Dörfer umstellt, Häuser, in denen nur Frauen und Kinder waren, durchsucht und verwüstet und ganze Familien festgenommen oder Familienoberhäupter vor ihren Angehörigen oder in der Öffentlichkeit maximal gedemütigt. Dieses Vorgehen, so Pampinella, bestätigte nicht nur sämtliche Befürchtungen der irakischen Zivilbevölkerung, sondern steigerte die Feindseligkeiten ins Unkontrollierbare. Was man zu unterdrücken versucht hatte, vollzog sich in rasender Geschwindigkeit: die Mobilisierung einer immer größeren Anzahl sogenannter Aufständischer.

Diese Situation, dass man einen Feind bekämpfte, der sich nicht von der normalen Bevölkerung unterscheiden ließ, den man nie sah, nicht identifizieren und nicht ausschalten konnte, der überall war und nirgends und der wie ein Gas oder ein Dampf kein Ziel bot, auf das man die Waffe hätte richten können, hatte eine zutiefst demoralisierende Wirkung in den Reihen der US-Streitkräfte und der US-Bevölkerung zu Hause. Die Folge dieser Demoralisierung bei den Soldaten war noch mehr Gewalt. Man ging regelrecht dazu über, nun zum einen seinerseits die einheimische Bevölkerung zu terrorisieren und zum anderen sich aus den Städten in vorgeschobene Operationsbasen zurückzuziehen und einzubunkern. Der größte Teil der Truppen inklusive ihrer Kommandierenden war der Überzeugung, dass es auch bei taktischen und strategischen Anpassungen unmöglich sei, die verfahrene Situation irgendwie geradezubiegen.

Während sich die Truppen vor Ort gewaltbereit und in maximaler Schützengraben-Mentalität irgendwie arrangierten, analysierten zu Hause ganze Völkerstämme von Soziologen, Psychologen und Militärstrategen die Entstehung der aktuellen Situation und lernten: vom Feind und seiner Strategie der Demoralisierung in kürzester Frist, ebenso wie aus dem Verhalten der Bevölkerung und aus dem der eigenen Truppen. Was dabei herauskam, war das, was sich in dem geflügelten Wort „It takes a network to defeat a network“ zusammenfassen lässt.

Die Einsicht: Man musste es schaffen, unter Miteinbezug der zivilen Bevölkerung ein eigenes freundliches Netzwerk gegen das sogenannte Terror-Netzwerk zu errichten. Zu diesem Zweck musste man es aber zuerst fertigbringen, sich die Bevölkerung vom Feind zum Verbündeten und den eigenen Feind zu einem gemeinsamen Feind zu machen. Nur so wurde dieser von der Bevölkerung unterscheid-, sicht- und isolierbar. Dies alles aber konnte nur über den Umweg der kulturellen Identität, der Werte, Normen und Ziele, auf denen die Gesellschaft fußte, erreicht werden: dadurch, dass man diese Werte, Normen und Ziele respektierte und unterstützte – oder wenigstens den Anschein erweckte, dass man es tat – und indem man eine Situation gegenseitiger Abhängigkeit schuf.

Im Jahr 2006 begann man mit der praktischen Implementierung dieser Erkenntnisse, indem man ab da an quasi zweigleisig verfuhr: Die eine Schiene umfasste die Aktionen zur Gewinnung der Zivilbevölkerung und damit zur Verhinderung künftiger Proteste und Aufstände (Aufstandsbekämpfung), die andere das Aufspüren und Bekämpfen von Terroristen (Terrorbekämpfung).

Die gewalttätigste Miliz vor Ort war zu diesem Zeitpunkt Al-Qaida. Mit Repressionen und Einschüchterung unterwarfen sie die lokalen sunnitischen Stämme ihrer fanatisch-religiösen Herrschaft. Wo einzelne Stämme sich widersetzten, mobilisierte die Miliz bereits verbündete Stämme, die in zahlenmäßig massiver Überlegenheit gegen die Dissidenten vorgingen. Damit taten sie den US-Streitkräften einen Gefallen und erleichterten es ihnen, ihre neue „bevölkerungs-zentrierte Strategie“ umzusetzen, da immer größere Teile der Bevölkerung der immer rabiater vorgehenden Miliz feindlich oder zumindest misstrauisch gegenüberstanden.

Gleichzeitig gab man – das war der Teil mit der kulturellen Identität, den Werten, Normen und Zielen – die räumliche Distanz zwischen den Streitkräften und der Zivilbevölkerung wieder auf. Das war zwar mit viel größeren Risiken verbunden, da es eine stärkere Interaktion mit einer immer noch potenziell feindlichen Bevölkerung bei gleichzeitiger maximaler Zurückhaltung erforderte. Außerdem änderte man das Vorgehen beim Aufspüren von Terroristen: Häuser wurden nur noch gemeinsam mit irakischen Sicherheitskräften betreten und durchsucht, Verhaftungen wurden nicht mehr öffentlich und auch nicht mehr vor Familienangehörigen vorgenommen, die Straßen teilte man sich mit den Einheimischen nach den üblichen Verkehrsregeln, anstatt in jedem Fall Vorfahrt zu fordern. Gleichzeitig demonstrierte man die Bereitschaft zum Risiko für den Schutz der einheimischen Bevölkerung durch permanente Patrouillen auf den Straßen der Städte.

So entstanden in einer ersten Phase eine gegenseitige Duldung und dann eine gegenseitige Abhängigkeit: Während die Zivilbevölkerung sich mehr und mehr auf den Schutz durch die Amerikaner vor den Fanatikern von Al-Qaida verließ, verließen sich die Amerikaner auf die Informationen aus der Bevölkerung zu Identität und Aufenthaltsort von Terroristen. Ein heftiger Angriff der Terrormiliz auf die US-Streitkräfte und die gleichzeitige massive Drangsalierung der Bevölkerung führten dazu, dass aus der Zweck- eine Art Schicksalsgemeinschaft wurde – die Zivilbevölkerung begann die US-Soldaten als funktionell ähnlich oder sogar gleich wahrzunehmen. Alles dank eines gemeinsamen Feindes.

So viel in aller Kürze zu jener Art moderner Kriegsführung, die wir dem „Globalen Krieg gegen den Terrorismus“ verdanken und die wir meiner Meinung nach in ihren Grundzügen verstehen müssen, wenn wir eine Chance haben wollen, nicht von uns selber unbemerkt für einen solchen Krieg rekrutiert zu werden, sondern ihn erfolgreich zu verweigern und zu desertieren. Der Krieg von damals gegen den Terror wurde nämlich nie beendet, sondern, von der Öffentlichkeit größtenteils unbemerkt, nur umbenannt und vom Ausland ins Inland geholt. Es war die Administration Obama, die die im Zug dieses Krieges mit Milliarden von Steuergeldern finanzierte Militär- und Überwachungsmaschinerie nicht etwa abwickelte, sondern in den Dienst „beharrlicher Anstrengungen gegen Netzwerke von Extremisten“ stellte und sich anschickte, exakt die Feind- und Freundstrategien, die man im Irak kennengelernt und entwickelt hatte, gegen die eigenen Bürger anzuwenden. Die Alliierten der Vereinigten Staaten, die Allparteien-Allianzen in den nationalen Parlamenten Europas und die EU zogen ohne viel Federlesens nach.

Dieser Krieg ist heute nicht mehr zu übersehen – er wird entweder direkt mit staatlich initiierten Maßnahmen geführt, meistens aber indirekt durch Aktionen/Aktivismus aus einem Netzwerk (!!) von NGOs, Unis und philanthropischen Stiftungen heraus. Die Strategie wird dabei eins zu eins aus dem militärischen Bereich übernommen: die Bevölkerung oder Teile davon stärken (Empowerment) und Abhängigkeiten schaffen (Aufstandsverhinderung) auf der einen Seite, Demoralisierung, Frustration und Provokation von Reaktion (zwecks Durchsetzung härterer Maßnahmen und Kontrollen) bei denen, die sich nicht empowern oder kaufen lassen wollen auf der anderen Seite. Die Waffe: die kulturelle Identität des Einzelnen und der ganzen Gesellschaft. Die Taktik: die Identifizierung einzelner Menschen oder Gruppen als „Feinde“ und ihre Absonderung vom Rest der Gesellschaft durch Manipulation der Wirklichkeit und damit der Wahrnehmung (Terrorbekämpfung). Das Schlachtfeld: der Mensch als physisches, geistiges und geistliches Ganzes. Der Zweck: die totale Kontrolle aller durch die Allparteien-Allianz und ihre Partner.

Mehr zu Personal, Mitteln und Methoden nächste Woche.


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