Praxeologie: „Die Politik“ macht keine Fehler!
Oder vielleicht doch?
von Andreas Tiedtke (Pausiert)
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Immer wieder können Sie in Leitmedien wie in alternativen und sozialen Medien lesen, dass Politiker „Fehler“ machten. Es wird kritisiert, dass die „falsche Politik“ gemacht werde oder dass die „falschen Politiker“ in den Ämtern seien. Zuweilen wird auch die Kritik angebracht, die Politiker seien „unterqualifiziert“.
Da dies eine praxeologische Kolumne ist, wollen wir es heute genauer wissen. Zunächst: Was ist Politik? Franz Oppenheimer (1864–1943), der deutsche Ökonom, Soziologe und Arzt, übrigens auch der Doktorvater Ludwig Erhards, definierte Politik sinngemäß als die Bewirtschaftung des Menschen mit dem politischen Mittel Zwang. Demgegenüber sei das ökonomische Mittel freiwilliger Austausch. Da politische Herrschaft, wie wir sie heute kennen, nicht vereinbart wird, sondern friedlichen Menschen aufgezwungen wird, stellt Politik handlungslogisch eine feindliche Handlung dar, die a priori und planmäßig zu „Win-lose“-Situationen führt, sogenannten gesellschaftlichen Pareto-Verschlechterungen: Die einen gewinnen zu Lasten und auf Kosten der anderen. Dass es bei politischen Maßnahmen also Gewinner und Verlierer gibt, Profiteure und Geschädigte, liegt in der Natur der Sache und kann von daher nicht als „Fehler“ bezeichnet werden.
Manche Menschen gehen davon aus, dass die Politiker es nur besser wissen müssten, sie müssten die richtige ökonomische Theorie bloß kennen, etwa die Österreichische Schule der Nationalökonomie, dann würden sie auch bessere Politik machen. Diese „Unschuldsvermutung“, dass „politische Fehler“ versehentlich passieren, weil das ökonomische Wissen fehlt, ist verbreitet, wirkt aber vielleicht auch etwas naiv? Wenn man an der Erweiterung politischer Macht interessiert ist, dann wird man wohl – insbesondere bei Kenntnis der Österreichischen Schule – am „Interventionismus“ gerade festhalten wollen, also am planmäßigen Einsatz des politischen Mittels Zwang, um Zahlungen, Handlungen und Unterlassungen zu erzwingen.
Denn der Interventionismus führt zu einer sogenannten „Interventionsspirale“: Da das vorgebliche Ziel (zum Beispiel die Verbesserung des Wohnraumangebots durch „Mietpreisdeckel“) mit der politischen Maßnahme nicht erreicht wird, sondern es zu Verschlimmbesserungen kommt, sind weitere Zwangsmaßnahmen „erforderlich“, bis der Interventionismus schließlich zu einer weitgehenden Kommando- und Lenkungswirtschaft führt. Das heißt, das Spielfeld politischer Aktion wird durch den Interventionismus erweitert, die Politiker und politisch vernetzte Sonderinteressengruppen gewinnen an Macht, sie können mehr Anhänger versorgen, viele Menschen werden abhängiger von Zuwendungen der Politiker, die natürlich zu Lasten und auf Kosten der Überschussproduzenten gehen, also der Minderheit der Netto-Steuerzahler.
In der Folge des Interventionismus geht es der Masse der Menschen ökonomisch schlechter als es ihnen – unter sonst gleichen Umständen – ohne den Interventionismus ginge. Aber das heißt nicht, dass es Sonderinteressengruppen, die von den politischen Maßnahmen unmittelbar oder mittelbar profitieren, schlechter gehen müsste. Genau das Gegenteil kann der Fall sein, wenn diese etwa von Subventionen profitieren, Konkurrenten ausgeschlossen werden oder neue Ideen nicht umgesetzt werden können, etwa wegen „Urheberprivilegien“, die die politischen Akteure durchsetzen.
Zudem verfolgen politische Gruppen parteipolitische und geopolitische Interessen. Diese richten sich gegen andere Parteien und konkurrieren mit den Interessen anderer geopolitischer Akteure. Auch hier ist eine „Drittschädigung“ im weitesten Sinne also kein Fehler, sondern „It’s all in the game“, also es liegt in der Natur des Spiels.
Um politische Maßnahmen in der öffentlichen Meinung durchzusetzen, wird die Methode der „erkenntnistheoretischen Kriegsführung“ genutzt. Das heißt insbesondere, dass nicht wie im Sinne Immanuel Kants (1724–1804) sich die Menschen des eigenen Verstandes bedienen sollen, sondern im Gegenteil, die Menschen sollen – in geradezu anti-aufklärerischer Weise – der „gütigsten Oberaufsicht“ beziehungsweise ihren „Vormündern“ vertrauen, um mit Kants Worten zu sprechen. Narrative, auf die sich Politiker und Sonderinteressengruppen stützen, um Zwangsmaßnahmen zu begründen, sollen von den Untertanen mit dem eigenen Verstand überhaupt nicht überprüfbar sein. Es heißt vielmehr „Folgen Sie der Wissenschaft!“, „Hören Sie auf die Experten!“ oder „Vertrauen Sie amtlichen Quellen!“, ganz gleich ob es sich beispielsweise um Experten-Mutmaßungen betreffend die Entwicklung von Krankheitswellen oder die Entwicklung des Erdklimas handelt.
Um die Menschen am eigenen Denken – auch und gerade im Hinblick auf die eigene Erkenntnisfähigkeit – zu hindern, wurden sie von der Obrigkeit verängstigt, sagte Kant sinngemäß. Heute würde man vielleicht sagen, sie wurden „gestockholmt“ oder „infantilisiert“. Es gibt den „Vati-Staat“, der schützend, gebietend und strafend ist, und den „Mutti-Staat“, der versorgend ist. Und wenn Menschen verängstigt sind, greifen solche infantilen, emotionalen Muster. Problematisch ist allerdings, wenn sich Narrative verselbständigen, wenn sie einen solchen „Grip“ oder Halt im Denken der Menschen bekommen, dass deren Handeln von außen betrachtet nahezu psychotische oder soziopathische Züge anzunehmen scheint. Dann schaltet der individuelle Verstand unter Umständen ganz ab und es kommt zu einer „phylogenetischen Regression“ in „animalische“ Verhaltensmuster. Der belgische klinische Psychologe und Statistiker Mattias Desmet untersucht in seinem Buch „Die Psychologie des Totalitarismus“ die extremsten Ausprägungen solcher Phänomene und nennt sie „Mass Formation“, wörtlich „Massenbildung“ und sinngemäß etwa „Massenpsychose“.
Immanuel Kant erkannte eine solche Gefahr, wenn er in seiner Schrift „Was ist Aufklärung?“ (1784) die Obrigkeit am Ende indirekt „bittet“, den Menschen entsprechend seiner Würde zu behandeln und ihn als „mehr als Maschine“ anzusehen. Er meint, dass es die Regierung schließlich „ihr selbst zuträglich finden“ würde, so zu handeln. Aber warum? Weil „das Publikum“, welches zuvor von seinen Vormündern unter das Joch gebracht worden sei, möchte diese Vormünder nunmehr selbst zwingen, darunter zu bleiben, „wenn es von einigen seiner Vormünder, die selbst aller Aufklärung unfähig sind, dazu aufgewiegelt“ worden sei. Die „Vorurteile“, die man der Masse „eingepflanzt“ habe, würden sich „zuletzt an denen selbst rächen, die oder deren Vorgänger ihre Urheber gewesen sind.“
Kants Schrift impliziert also quasi eine Warnung vor einer Eskalation aufgrund der vermittelten Narrative. Sozusagen eine Warnung vor der Gefahr, dass die Narrative „zu gut geglaubt“ werden, dass sie so sehr verinnerlicht werden, dass sie eine Eigendynamik entwickeln, die sich der Kontrolle ihrer ursprünglichen Urheber entzieht. Manch einer könnte womöglich in diesem Zusammenhang beispielsweise an die „Letzte Generation“ beziehungsweise die sogenannten „Klimakleber“ denken? Kant wusste, dass es ein schmaler Grat ist, auf dem „erkenntnistheoretische und psychologische Kriegsführung“ stattfinden.
Kant meinte, „das Publikum“ müsse langsam zur Aufklärung geführt werden. Grundlegende politische Reformen könnten erst dann sinnvoll erfolgen, wenn es zu einer „wahren Reform der Denkungsart“ gekommen sei. Denn die Tat folgt der Idee, und ohne ein neues, aufgeklärtes Bewusstsein würden nur andere „neue Vorurteile“ zusammen mit den alten zu Leitgedanken der Masse der Menschen.
„Die Politik“, wie wir sie heute kennen, macht also insofern keine Fehler, als sie notwendigerweise Pareto-Verschlechterungen im Hinblick auf die Gesamtgesellschaft mit sich bringt, weil ihr Mittel der Zwang auch gegen friedliche Menschen ist und damit solche politischen Maßnahmen a priori zu „Win-lose“-Situationen führen. „Die Politik“ macht insofern vielleicht doch Fehler, weil die verwendeten Narrative eine Eigendynamik entwickeln könnten, die sich deren Kontrolle letztlich entziehen könnte. Eine Gruppe oder Masse von Eiferern könnte sich von der geistigen Anleitung durch die ursprünglichen Narrativ-Urheber emanzipieren und dies könnte diesen selbst zum Schaden gereichen. Mancher könnte sich in diesem Zusammenhang an Johann Wolfgang von Goethes (1749–1832) Zauberlehrling (1797) erinnern:
„Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.“
„Disclaimer“
Zum Abschluss wieder ein „Disclaimer“: Die Praxeologie, also die Handlungslogik, ist das nüchterne, wertfreie Schließen aus der selbstevidenten Tatsache, dass der Mensch handelt. Wir können Handeln a priori danach kategorisieren, ob es sich bei zwischenmenschlichen Handlungen um feindliche, freundliche oder zumindest friedliche Handlungen handelt. Wann immer als Mittel Drohung oder Zwang eingesetzt werden, um eine Handlung oder Unterlassung eines anderen zu bewirken oder an dessen Besitz zu gelangen, liegt von vornherein (das heißt, wir müssen das nicht „testen“) eine feindliche Handlung vor, wenn der Betroffene sich selbst friedlich verhalten hat. Aus der Praxeologie folgt aber nicht, dass sich ein Mensch friedlich oder freundlich gegenüber seinen Mitmenschen verhalten „sollte“. Es gibt keine normative Wissenschaft, keine Wissenschaft von etwas, das sein sollte, bemerkte schon Ludwig von Mises.
Quellen:
Der Kompass zum lebendigen Leben (Andreas Tiedtke)
Leben wir in einem aufgeklärten Zeitalter? – zu Immanuel Kants 218. Todestag (Andreas Tiedtke, Misesde.org)
Die Psychologie des Totalitarismus (Mattias Desmet)
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