Zwischen dem Mainstream und den Alternativen: Der Aufstieg der Scharniermedien
„Bild“, „Welt“, „Cicero“, „Berliner Zeitung“ und Julian Reichelt sind jetzt ganz schön Fox News
von André F. Lichtschlag (Pausiert)
von André F. Lichtschlag (Pausiert) drucken
Der Aufstieg der alternativen Medien in Deutschland wurde oft beschrieben – mit Unglauben und böswilliger Verachtung im Mainstream oder mit mehr oder weniger wechselseitigem Respekt in den alternativen Medien selbst. Die wichtigsten Akteure mit der breitesten Leserschaft sind vielleicht „Tichys Einblick“, „Reitschuster“ und die „Achse des Guten“. Dazu kommen langjährige, mehr oder weniger klar positionierte Organe wie das Magazin „Sezession“, die Wochenzeitung „Junge Freiheit“ oder eigentümlich frei. Während Corona traten auch nennenswert linke alternative Medien hinzu, etwa die Wochenzeitung „Demokratischer Widerstand“ oder das Internet-Magazin „Rubikon“. Und damit haben wir unzählige andere wichtige Mit- oder Gegenstreiter noch nicht erwähnt. Das Feld ist tatsächlich sehr bunt geworden und beinhaltet nebst zahlreichen Print-Produkten längst auch neuere oder bereits etablierte Blogs, Video-Blogs, Podcasts und Internet-Portale aus allen Enden und Ecken des deutschsprachigen Non-Establishments.
Heute möchte ich auf ein aufsteigendes Phänomen aufmerksam machen, nämlich auf eine inzwischen ganze Reihe von Medien, die irgendwie und irgendwo zwischen den alternativen Medien und dem Mainstream beziehungsweise Establishment positioniert sind.
Während etablierte Politiker oder deren Marktschreier in Kultur und Gesellschaft die alternativen Medien meiden wie der Teufel das Weihwasser, finden diese in den – nennen wir sie mal – Scharniermedien durchaus ebenso statt wie alternative Ansichten zu den offiziell alternativlosen Fragen, die sonst ausschließlich in alternativen Medien vertreten werden. Auch etablierte Werbekunden sind in der Nische noch teilweise vertreten, was in alternativen Medien heute gänzlich undenkbar wäre.
Warum? Weil an allen Künstlern, Politikern oder Unternehmern, die es wagten, den Bann gegen alternative Medien zu brechen, umgehend ein Exempel statuiert würde. Eine komplette Kampagnen-Industrie wurde für solcherart Dienste zum Schutz und der Reinheit des Mainstreams ins Leben gerufen.
Wer sind nun diese Scharniermedien, die mit einem Fuß noch immer mit dabei sind und mit dem anderen schon im Freien fischen? Dazu vier Beispiele.
Erstens: Springer-Verlag mit „Bild“ und „Welt“
Nachdem sich die „FAZ“ vor vielen Jahren selbst gleichgeschaltet hat und der „Focus“ weitgehend in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist, sind von den betont bürgerlichen Printmedien Ende des vergangenen Jahrhunderts nur noch die beiden Springer-Tageszeitungen übrig geblieben: die rote und die blaue. Beide haben die Transformation ins Digitale inzwischen sehr erfolgreich bewältigt, die rote „Bild“ mehr auf Klicks und Anzeigenkunden fixiert, die blaue „Welt“ stärker auf digitale Abonnenten zugeschnitten.
Beide aber – und mehr noch die „Welt“ als die „Bild“ – bedienen, wenn man sich Inhalte genauer oder Leserkommentare nur oberflächlich anschaut, ganz offensichtlich ein Publikum, das ansonsten alternative Medien liest und eben nicht die einstigen drögen Kollegen vom Mainstream.
Vertreter der Bundesregierung kommen zwar immer noch hin und wieder im Hause Springer zu Wort, werden ansonsten aber inhaltlich und zuweilen auch stilistisch scharf angegangen wie sonst nur in alternativen Medien.
Zweitens: Monatsmagazin „Cicero“
Kaum zu glauben, aber es ist auch schon wieder fast 20 Jahre her, dass Wolfram Weimer 2004 das Magazin „Cicero“ gründete. Von Beginn an war es als Scharniermedium definiert – mit Hochglanzanzeigen aus dem Establishment und eingestreuten kritischen Kommentaren eben auch von alternativen Federn.
Der Schweizer Ringier-Verlag hat sich vom unbequemen Magazin irgendwann doch lieber getrennt – die Nerven hat nicht jeder, auf der Rasierklinge zwischen voll akzeptiert und völlig ausgeschlossen zu tanzen. Die Macher übernahmen durch Management-Buyout und gingen selbst ins Risiko. Heute ist der „Cicero“ eine Zeitschrift und ein Online-Portal vor allem für Abonnenten, nicht mehr wie zu Beginn noch vorwiegend für Laufkunden an den Kiosken.
Auch beim „Cicero“ führte das betont „liberal-konservative Profil“ zur Scharnierposition. Heute – Weimer ist lange weg und der auffällige Kulturchef Alexander Kissler ebenso Geschichte – ist der „Cicero“ aber von den vier hier genannten Kandidaten das eher unauffälligste Medium.
Drittens: „Berliner Zeitung“
Interessanter ist da schon die „Berliner Zeitung“, immerhin eine der traditionellen großen Tageszeitungen aus (Ost-) Berlin. Früher ein DDR-Blatt, war sie nach der Wende eine eher langweilige Mainstream-Tageszeitung in ständig wechselnder Trägerschaft von Gruner und Jahr über Holtzbrink bis Du Mont. Doch dann, im Jahr 2019, trat das Unternehmer-Ehepaar Silke und Holger Friedrich auf die Bühne und übernahm das traditionsreiche Verlagshaus.
Beide erklärten der verblüfften Öffentlichkeit, sie betrachteten den Kauf der Zeitung als eine Form „bürgerlichen Engagements“ und als „einen Beitrag zur außerparlamentarischen Opposition in neuem Format, auch im Sinne bürgerlicher Selbstermächtigung“. Und dann stellten sie noch gleich Michael Meier als Herausgeber ein, der ursprünglich, wie so viele heutige alternative Medienmacher, aus dem Mainstream kommt, dann aber ab 2012 unter anderem die „Deutschen Mittelstandsnachrichten“ und die „Deutschen Wirtschaftsnachrichten“ aufbaute, die klar zu den alternativen Medien zählten.
Und siehe da: Die „Berliner Zeitung“, längst auch mit Online-Schwerpunkt, sorgte in den letzten Jahren für einiges Aufsehen nicht nur in der Hauptstadt. Konsequenterweise ging man mit dem Scharnier-Partner „Cicero“ eine Kooperation ein.
Viertens: „Achtung, Reichelt!“
Der ehemalige Chefredakteur der „Bild“, Julian Reichelt, startete 2022 mit seinem Youtube-Kanal „Achtung, Reichelt!“ fulminant durch. Produziert wird das ambitionierte Projekt, zu dem zuletzt unter anderem auch die „Bild“-Ikone Ralf Schuler stieß, durch die neu gegründete Firma Rome Medien, deren Financier gerüchteweise der Koblenzer Unternehmer Frank Gotthardt sein könnte.
Wo der „Cicero“ intellektuell die feine Klinge schwingt, da greifen Reichelt und sein Team zum Schwert, zuweilen auch zum Holzhammer – und stehen entsprechend im Mainstream in der Kritik wie sonst nur alternative Medien. Aber – und das ist anders als in alternativen Medien – Reichelt greift eigentlich nur die Grünen ständig hart an, kaum oder nie zum Beispiel die CDU. Ob er diese Halbherzigkeit beim geweckten Anspruch der Zuschauer auf Krawall lange durchhalten kann, bleibt abzuwarten. Vielleicht ist Reichelt auch der erste, dessen Scharnier aus der Halterung kippt, hinein in den bunten Garten der alternativen Medien.
Er wäre nicht der erste. Roland Tichy ist mit seinem „Einblick“ auch mal eher in der Scharnier-Position gestartet.
Und international?
Das Phänomen der Scharniermedien zwischen Hauptstrom und Alternativen ist nicht wirklich neu. Tatsächlich ist es nicht mal deutsch.
Wie so oft bei Trends kommen die Vorläufer –
und zuweilen Vorbilder – aus den USA. Das große Scharniermedium dort ist Fox News. Womöglich hat dessen Erfolg auch die neuen amerikanischen
Mehrheitseigentümer des deutschen Springer-Verlags ermutigt, mit den Scharnieren
das ganz große Geschäft zu machen. Andererseits zeigen die jüngsten Säuberungen (Tucker Carlson, Dan Bongino) bei Fox News, dass Scharniermedien lieber nicht zu weit gehen und sich im Zweifel bei den „alternativlosen Fragen“ wie Krieg, Klima oder „Corona“ dann doch lieber brav einreihen. Sicher ist sicher.
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