28. April 2023

Gleichheit Robin Hood auf Abwegen

„Tax the rich“ als Finte

von Stefan Blankertz

Gleichheit ist das Steckenpferd derer, die gleicher als gleich sind oder es werden wollen. Die Gleichheit in einer Gesellschaft wird mit dem sogenannten Gini-Koeffizienten gemessen. Keine Angst, hier soll es nicht um die Formel gehen. Doch so viel: Der Gini-Koeffizient hat zunächst gar keine soziologische Bedeutung, sondern misst einfach nur die Gleichverteilung von Merkmalen. Die soziologische Anwendung ist ihm nachträglich angehängt worden.

Eins muss von Anfang an klar sein: Der Gini-Koeffizient misst nicht den Wohlstand einer Gesellschaft. Ein gleichmäßiges niedriges Einkommen ergibt einen guten Gini, ein ungleichmäßig hohes Einkommen, bei dem das niedrigste Einkommen deutlich über dem der erstgenannten Gesellschaft liegt, würde schlechter abschneiden.

Eine Angleichung nach unten würde mithin einen deutlichen Zugewinn an Gleichheit (aber eine Abnahme an Wohlstand) mit sich bringen. Eine solche Angleichung ist leicht vorzustellen und sowohl ökonomisch als auch politisch zu bewältigen: Den Reichen wird so viel genommen und an die Armen verteilt, bis alle ungefähr das Gleiche haben. In dieser Hinsicht ist in den westlichen Industriestaaten viel erreicht, der Gini-Koeffizient für Einkommen ist hier kaum noch zu über- beziehungsweise zu unterbieten. Der Gini-Koeffizient liegt zwischen null (vollkommene Gleichheit) und 100 (vollkommene Ungleichheit; alternativ ausgedrückt: zwischen null und eins). In der Liga Gini kleiner als 30 (das ist der Deutschlands) Mitte der 2010er Jahre findet man Slowenien, Norwegen und Algerien; in der Liga Gini mehr als 50 Brasilien, Hongkong und Südafrika. Wer in Deutschland oder auch Hongkong würde sich die Verhältnisse wie in Algerien wünschen? Lassen wir die Frage beiseite, ob diese ziemlich große Gleichheit (wie die herrschende Pseudowissenschaft behauptet) auf die Staatstätigkeit der Umverteilung oder die Marktkräfte zurückzuführen ist, sondern gehen lieber zu einem zweiten Faktum über.

Der Gini-Koeffizient für Vermögen ist im Gegensatz zu dem der Einkommen sehr schlecht (gemessen an dem Ideal der Gleichheit). Um bei den gleichen Ländern und im gleichen Zeitraum zu bleiben: Der Vermögens-Gini beträgt in Slowenien 49, in Algerien 72, in Südafrika 76, in Deutschland 79, in Norwegen fast 80, in Brasilien 83 und in Hongkong 85. Slowenien als weltweites Vorbild? Südafrika besser als Deutschland? Keine überzeugenden Schlussfolgerungen. Warum ist weicht der Gini für Vermögen so sehr von dem für Einkommen ab?

Den Reichen – das heißt den Reichen, die ihren Reichtum auf das Agieren auf die Staatsgewalt und nicht auf ihre Fähigkeit bauen, den Mitmenschen zu dienen – geht es nicht um Einkommen. Wer ist jemals durch Einkommen reich geworden? Ihnen geht es um das Vermögen. Und für die Akkumulation von Vermögen gibt es keinen besseren Weg als den über die Staatsgewalt und Umverteilung.

Darum gibt es so wenig Widerstand gegen Umverteilung. Die Umverteilung auf der Ebene von Einkommen, die den Reichen völlig am Arsch vorbeigeht, ist nur das Zückerchen für die Armen, um sie für ihre Agenda zu gewinnen. Die Armen meinen, von der Umverteilung zu profitieren, also wählen sie die Umverteiler, während die großen Mengen an Geld in die Umverteilung von unten nach oben gehen: In jeder Aktion der Umverteilung, in jeder Krise steigen die Vermögen, und steigt die Ungleichheit auf Vermögenebene, während sie auf der Ebene der Einkommen abnimmt.

Der von der Umverteilung betroffene Mittelstand hat das Nachsehen und keine Lobby, aber auch er hält (meist) still. Warum? Auch er erhält sein Zückerchen. Wollte er etwa darauf verzichten, dass seine Berufe durch Zugangsschranken geschützt sind? Will der Apotheker darauf verzichten, dass unausgebildetem Gesocks verboten wird, medizinische Produkte zu verkaufen? Will der Meister darauf verzichten, dass die miese Konkurrenz aus Polen oder Syrien aufgrund staatlicher Interventionen ihre Dienste allenfalls illegal an den Mann bringen kann? Will der Arzt darauf verzichten, dass Leute, die sich mehr Zeit für die Patienten nehmen als er, mittels Approbation daran gehindert werden, ihm die Kundschaft wegzuschnappen? Einige Beispiele. Die Liste ist lang.

Der Mittelstand und die Armen halten still. Die Reichen werden reicher. Guter Deal. Und dann gibt es die minderbemittelten Erben (was haben deren Väter gemacht? Waren vermutlich abwesend!), die scheinmasochistisch ausrufen: Besteuert uns! O ja, niemand würde sie daran hindern, ihr Geld an irgendwen abzugeben, sei es in Form von selbst organisierten Aktionen für die Armen (o nein!, da müssten wir uns ja selber Gedanken machen), sei es in Form von Spenden an wohltätige Aktionen (ich bin gern behilflich, eine Liste zur Verfügung zu stellen ..., ich an oberster Stelle), sei es sogar an den Staat (kommt nicht oft vor; legendär ist Ted Turners eine Milliarde an die UN 1998 – natürlich hat er es getan, um seiner Frau Jane Fonda zu imponieren …). Worauf warten sie? Hat ihnen ihr Vater nicht beigebracht, dass Eigentum heißt, nach Gutdünken darüber zu verfügen? Warum warten, bis die Staatsgewalt kommt, um es zu nehmen? Verfügt über es und tut Gutes, wenn ihr das Bedürfnis danach verspürt. Aber warum glaubt ihr, dass es nur dann gut sei, wenn der Staat es euch mit Zwang nimmt, um es in seinem Sinne und nach seinem Gutdünken zu verwenden? Glaub ihr, dass sein Gutdünken besser sei als euer Gutdünken? Für diesen Glauben gibt es keine Grundlage.

Für diesen Glauben gibt es keine Grundlage, ausgenommen, er ist eine Finte. Die Finte könnte darin bestehen (und meiner Analyse nach besteht sie darin), dass die Besteuerung zwar die Illusion erweckt, den Reichen zu nehmen, um den Armen zu geben, aber in Wirklichkeit den Armen nimmt, um den Reichen zu geben. Im Einzelfall mag die eine oder andere Erbin, der eine oder andere Erbe tatsächlich naiv sein; doch halte ich das für eher die Ausnahme. Viel einleuchtender ist für mich die Erklärung, dass sie auf die Besteuerung warten, anstatt die Initiative für philanthropische Tätigkeit zu ergreifen, weil sie Bilanz der Besteuerung für sie letztlich vorteilhaft ist.

Die Erforschung der individuellen Befindlichkeit oder des individuellen Bewusstseins des einen oder anderen Reichen, des einen oder des anderen Erben ist im Grund genommen auch unerheblich. Soziologisch entscheidend ist das Ergebnis: Die Reichen opfern die Ungleichheit des Einkommens, um die Ungleichheit des Vermögens aufrechtzuerhalten und zu intensivieren. Wobei sie ihr Opfer nichts kostet – sie opfern andere, nicht sich selber.


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