02. Mai 2023 14:00

In Bayern ticken die Uhren anders Der Fasching geht gleich nach Ostern wieder los

Man kann im weiß-blauen Bundesland als Autokrat herrschen – aber nicht als beleidigte Leberwurst

von Christian Paulwitz

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Bildquelle: Foto-berlin.net / Shutterstock.com Möchte als Autokrat nicht „Södolf“ genannt werden: Markus Söder

Der Politische Aschermittwoch hat eine lange Tradition in Bayern und dürfte mittlerweile auch jenseits seiner Grenzen bekannt sein. Angeblich geht sie bis auf eine Veranstaltung des Bayerischen Bauernbundes im Jahr 1919 in Vilshofen zurück und dürfte ihren Höhepunkt in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gehabt haben, als sie von den Schlagabtauschen zwischen der zunächst dominierenden Bayernpartei und der aufstrebenden CSU geprägt war. Letztere konnte schließlich ihre Anziehungskraft in den wichtigen Veranstaltungen einer medial noch nicht so durchdrungenen Zeit mit ihrem rhetorisch gewandten Schwergewicht und damals aufstrebenden Politiker Franz-Josef Strauß steigern. Bierzeltstimmung und deftige Sprüche gegen den politischen Widersacher sind seither die prägenden Elemente, und die Redner sind bestrebt, den einen oder anderen Knaller zu formulieren, der hängenbleibt und mediale Aufmerksamkeit erregt. Letzteres ist dem österreichischen Publizisten Gerald Grosz, der als Redner auf der Aschermittwochsveranstaltung der bayerischen AfD auftrat, offenbar ganz hervorragend gelungen, denn er erhielt letzte Woche ein Schreiben der Deggendorfer Staatsanwaltschaft mit Bezug zu einer Anzeige des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder wegen Beleidigung. Ohne diese hätte die Veranstaltung der AfD medial praktisch nicht stattgefunden. Teilnehmerzahlen habe ich auf die Schnelle nicht einmal auf der AfD-Seite gefunden – lediglich die Einladung. Aber während man sich früher mit möglichst hohen Besucherzahlen brüstete, war diesmal auch über die Veranstaltungen der anderen Parteien nichts zu finden.

Die bayerische Machtzentrale ist dünnhäutig geworden. Vorbei sind die Zeiten, wo man es sich leisten konnte, die verachtete Opposition selbstbewusst „nicht einmal zu ignorieren“. Da in Deutschland die Staatsanwälte gegenüber der Regierung weisungsgebunden ist, wird einer Anzeige auf Veranlassung des Ministerpräsidenten jedenfalls nachgegangen. – Sonst hätte ich die Rede von Herrn Grosz, der selbst eine politische Karriere hinter sich hat und nach der Mitgliedschaft in der FPÖ zwischen 2008 und 2013 für die BZÖ Abgeordneter im Nationalrat war, wohl nicht nachträglich angehört. Besser als die Rede hat mir zuvor der YouTube-Beitrag gefallen, mit dem er auf die Anzeige reagiert hat – beide unten verlinkt und zumindest bis zur Abgabe dieses Artikels auch noch nicht gesperrt. Ich höre die österreichischen Dialekte sehr gerne, vermitteln sie mir doch stets das entspannende Gefühl, auch wenn die Lage noch so hoffnungslos erscheinen mag oder sogar ist, sie jedoch keinesfalls ernst genommen werden darf. Dazu hat der aus der Steiermark kommende Publizist den Witz und das rhetorische Format, seine Kritik in unterhaltsamer und gleichzeitig treffender Weise anzubringen.

Seine Aschermittwochsrede fand ich zwar in diesem Sinne ganz unterhaltsam, aber nicht herausragend. Der Ausdruck „Södolf“ für den bayerischen Ministerpräsidenten kam mehr als einmal vor, und jedes bayerische Schulkind kennt ihn nach drei Jahren totalitärer „Corona-Maßnahmen“ mit Bayern als Vorreiter. Er ist so abgedroschen, dass er keinem mehr eine Gefühlsregung entlockt, der diese Zeit in Bayern verbracht hat. – Außer offenbar dem Ministerpräsidenten selbst, der gerne überall „Nazis“ in der AfD sieht und diese Beleidigung ohne Umschreibung und außerhalb dezidiert polemischer Aschermittwochsreden ausspricht; aber das ist natürlich etwas anderes. Quod licet Iovi, non licet bovi – jedenfalls gilt das für Autokratien, und die CSU war früher ja mal stolz darauf, das bisschen Opposition als Regierungspartei auch gleich mit abdecken zu können, weil man den Sozis sowieso nicht zutraute, das ordentlich zu machen. Das waren noch Zeiten. Nun weiß jeder, dass der bayerische Ministerpräsident sich als „Södolf“ beleidigt fühlt. Man wird es kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen. Was ist nur aus der CSU geworden?

Apropos Autokratie: Söder gefällt es auch nicht, als „oberster Corona-Autokrat“ bezeichnet zu werden. Diese Zuweisung auf seine Person wird dank seiner Anzeige nun, da jetzt die Maßnahmen auch im Mainstream kritischer gesehen werden dürfen, einem größeren Publikum nahegebracht. – Unangemessen? Der Begriff der Autokratie hat genau genommen zwei Bedeutungen. Eine ist dem Bereich der Ethik zugeordnet, geht auf Immanuel Kant zurück und bezeichnet die persönliche Selbstbestimmung mit Hilfe des freien Willens. Sie ist hier ganz sicher nicht gemeint. Für die zweite Bedeutung werfen wir einen Blick auf Wikipedia: „Als Autokratie oder Selbstherrschaft (…) wird in der Politikwissenschaft eine Herrschaftsform bezeichnet, in der eine Einzelperson oder Personengruppe unkontrolliert politische Macht ausübt und keinen verfassungsmäßigen Beschränkungen unterworfen ist: eine durch den alleinigen Machtträger aus eigener Vollkommenheit selbst legitimierte Herrschaft. (…) Als Autokraten (…) bezeichnet man dementsprechend einen Allein- bzw. Selbstherrscher, der in einem bestimmten Gebiet die Herrschaftsgewalt aus eigener Machtvollkommenheit ausübt und in seiner Machtfülle durch nichts und niemanden eingeschränkt ist. Der Ausdruck Autokrat wird umgangssprachlich auch für einen selbstherrlichen Menschen verwendet (ähnlich Despot, Tyrann, Diktator).“ – Hey, ein Regierungspolitiker, dessen Selbstverständnis – regieren! – dadurch geprägt ist, andere nach seiner Pfeife tanzen zu lassen und der sich unter dem Coronavorwand entsprechend ausgelebt hat, fühlt sich beleidigt, wenn er – umgangssprachlich – als selbstherrlicher Mensch bezeichnet wird … mimimimimi. Und Wikipedia ist nicht nur politisch absolut korrekt, sondern auch noch auf dem neuesten Stand. Ich lese weiter: „Eine Autokratie, in der unfreie Wahlen durchgeführt werden, wird manchmal als Wahlautokratie (,elektoraler Autoritarismus‘) bezeichnet. Beispiele für Wahlautokratien sind Ungarn unter Viktor Orbán sowie Berlin.“ – Ach halt, da haben mir meine Augen einen Streich gespielt: „Benin“ steht da, nicht „Berlin“.

Im Herbst sind in Bayern Landtagswahlen. Ganz offensichtlich herrscht in München große Nervosität, dass man nicht nur zu geheimdienstlichen Schikanen, sondern auch zum Staatsanwalt greift wegen Worten auf einer Aschermittwochsrede. Selbstbewusstsein sieht anders aus – diese Symbolsprache versteht jeder – zumal in Bayern. Ich kann mir derzeit kaum vorstellen, dass Söder nach der Wahl wieder Ministerpräsident wird. Er hat seine Rolle erfüllt, man braucht ihn nicht mehr. Dass er heute für dieses und morgen für das Gegenteil steht, nehmen ihm seine Parteigenossen nicht übel, das interessiert keinen. Was ein CSU-Vorsitzender liefern muss, sind Wahlergebnisse und die mit ihnen verbundenen Posten – und da hat er bereits in der Vergangenheit ausgiebig versagt. Bei der letzten Landtagswahl waren es 37 % (zuvor 2013 noch knapp 48 % unter dem Vorsitz von Horst Seehofer), bei der Bundestagswahl 32 % der Zweitstimmen. – Jahrzehntelang war die CSU mit dem Ziel „50+x“ in Wahlen gegangen.

Ich habe versucht herauszufinden, ob es in der Vergangenheit schon einmal zu Beleidigungsanzeigen anlässlich Aschermittwochsreden gekommen ist; dabei bin ich nur auf eine gestoßen: Auch 2023, allerdings nicht in Bayern, sondern in Österreich. Gerichtet gegen den FPÖ-Vorsitzenden Herbert Kickl, der den österreichischen Bundespräsidenten als „Mumie in der Hofburg“ bezeichnet hat. Ein Muster? Man könnte jetzt sagen: Ja, das Muster der bösen Rechtspopulisten, die mit Beleidigungen um sich werfen. Zugegeben, das ist schon der grobe Säbel ad personam und nicht das feine rhetorische Florett. Bei der Rede von Grosz fielen die Worte mit potentieller Beleidigungsqualität, wie ich finde, nicht gegen Söder, sondern gegen Lauterbach – was die Folgen per Staatsanwalt noch merkwürdiger macht. Möglich, dass die Qualität einiger Polemiken tatsächlich eine andere ist als früher – um das zu prüfen, müsste ich nun stunden- und tagelang alte Aschermittwochsreden zum Vergleich anhören, was ich lieber unterlasse, um keinen psychischen Schaden davonzutragen. Andererseits ist die Qualität der politischen Übergriffigkeit auch eine andere, zunehmend gröbere geworden, und dem Erstanwender von Gewalt steht es nicht gut zu Gesicht, sich über lediglich verbale Reaktionen zu empören. Das Muster könnte aber auch darin gesehen werden, dass mit der Anzeige gegen Grosz gar nicht primär die AfD getroffen werden soll, sondern das österreichische freiheitliche Lager, sozusagen als kleine bayerische Gefälligkeit. Wenn ja, so wäre das eine ausgemachte Dummheit gewesen, denn die Verfolgung der Beleidigungsklage wird auf den Kanälen hohe Reichweiten erzielen und wenn, dann Söders CSU schaden. Aber Söder wird ja eh zum Wegräumen vorbereitet.

Sei es, wie es sei. In jedem Fall ist Gerald Grosz‘ Schlusssatz seiner Aschermittwochsrede aufzunehmen und nicht nur auf einzelne Politiker und Parteien, sondern auf die Politik als Ganzes anzuwenden. Ein Blick in die Programme der an der Landtagswahl teilnehmenden Parteien wird es dann bestätigen: „Kämpfen wir für die Freiheit, denn um nichts weniger geht es.“

Quellen:

Aschermittwochsrede von Gerald Grosz (YouTube)

Reaktion auf das Schreiben der Staatsanwaltschaft (YouTube)


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