03. Mai 2023 20:00

Was ist Gewaltenteilung? Ein Bollwerk gegen Machtkonzentration und Willkür

Ausgangspunkt der Idee von Legislative, Exekutive und Judikative ist die Einsicht in die unvollkommene Natur des Menschen

von Markus Krall

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Bildquelle: Wikimedia Charles de Secondat, Baron de Montesquieu (1689–1755): Gilt zusammen mit John Locke als Begründer der modernen Gewaltenteilung

Karl Marx, der für das Thema Gewaltenteilung am wenigsten wahrscheinliche Name, um etwas Wegweisendes beizutragen, hat einmal formuliert: „Die Geschichte ist eine Geschichte von Klassenkämpfen.“ Immerhin hat er aber mit diesem Satz auf die Bedeutung der Gewalt in der Geschichte und bei der Genese von Staaten und Gesellschaften hingewiesen, worin ein Körnchen Wahrheit und auch Relevanz für unser heutiges „Was ist …?“ steckt.

Allerdings sah Karl Marx das Gewaltmonopol bei der Diktatur des Proletariats – eine Begrifflichkeit, die man in der Sowjetunion als „demokratischen Zentralismus“ oxymoronisiert hat. Das führt uns auf direktem Wege zu der Frage, was „Teilung“ in diesem Zusammenhang wahrscheinlich nicht bedeutet, nämlich Konzentration der Gewalt und damit Monopolisierung der Macht an einer zentralen Stelle.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, eines der haltbarsten Provisorien der Verfassungs- und Gesetzesgeschichte, sagt über die Gewalt den interessanten Satz: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Das beinhaltet einerseits eine „Zentralisierung“ beim Volk in dem von ihm bewohnten Staatsgebiet, und andererseits erzwingt es die Atomisierung der Macht auf die Träger der Souveränität, die Bürger des Staates. Das hat, wie wir gleich noch sehen werden, für die Frage der Gewaltenteilung erhebliche Implikationen.

Damit ist der Rahmen gesteckt: Wir müssen definieren, was Gewalt ist, wie man sie teilt, und wir müssen ein Verständnis davon gewinnen, warum die Teilung der Gewalt eine gute Sache ist, was damit erreicht werden soll und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit von echter Gewaltenteilung gesprochen werden kann.

Die Geschichte von Staaten, die sich eine geschriebene oder eine vereinbarte, also durch Verträge und Rechtsprechung gewachsene Verfassung geben, ist geprägt von den Debatten der Staatstheoretiker der Antike und der Aufklärung. Bereits mit der Erfindung der Demokratie im antiken Griechenland (die übrigens eher eine Herrschaft der waffentragenden Oligarchenfamilien als eine Monarchie war) zeichnet sich ab, was das fundamentale Problem einer gerechten Verfassung ist. Es ist dies der Schutz des Individuums vor Willkür, wie sie nur in einem Rechtsstaat gewährleistet werden kann.

Der Grund, einen König zu stürzen, bestand in der Regel nicht darin, dass seine Nase nicht gepasst hat, sondern er bestand entweder in der Usurpation der Macht durch einen Konkurrenten oder in einer Revolution durch die Objekte der Herrschaft, weil diese sich der Willkürherrschaft ausgesetzt sahen und damit nicht leben wollten.

Ein Rechtsstaat kann aber nur funktionieren und Bestand haben, wenn die Ausübung von Willkür für denjenigen, der das versucht, negative Konsequenzen hat. Die logische Folge ist: Die Macht in Form der Ausübung potenzieller Gewalt darf nicht an einer Stelle konzentriert sein, sondern es muss eine Multipolarität der Macht geben, bei denen sich die Träger dieser Macht gegenseitig in Schach und damit in einem Gleichgewicht halten und bei dem jeder die richtigen Anreize hat, sich an die Regeln zu halten, die erstens seine Macht begrenzen und zweitens seine Ausübung von Willkür verhindern.

Für die Vertreter des Libertarismus und damit der freiheitlichen Idee sind dies Selbstverständlichkeiten. Doch im Laufe der Geschichte waren sie es keineswegs, und es gab in der Regel Einzelne oder Gruppen, die der Auffassung waren, dass ihnen eine von Gott, dem Schicksal oder einfach von ihrer Laune gewährte Sonderstellung zukomme, die anderen zu beherrschen, zu berauben, zu kujonieren und zu versklaven. Die Ausübung der gottgegebenen Freiheitsrechte war daher nie selbstverständlich, sondern wurde mit Blut errungen und mit Blut verteidigt. Thomas Jefferson formulierte dazu treffend: „Der Baum der Freiheit muss von Zeit zu Zeit mit dem Blut von Patrioten und der Tyrannen begossen werden, das ist sein natürlicher Dünger.“

Die uns vorausgehenden Staatstheoretiker haben allerlei Instrumente ersonnen, um der Zentralisierung der Macht und damit eigentlich der Gewalt einen Riegel vorzuschieben. Die amerikanischen Gründerväter sprachen von „checks and balances“, von „Beschränkungen und Gleichgewichten“, die es zu installieren gelte. Dazu gehört, dass die Macht vom Souverän, dem Volk, nur auf Zeit durch Wahlen verliehen wird, dass es Beschränkungen bei der Wiederwahl für höchste Ämter gibt und – jetzt kommen wir zur Sache – dass die Macht, also die Gewalt, auf drei voneinander getrennten Säulen zu ruhen habe, die sich – streng genommen – gegenseitig nicht beziehungsweise nur in vordefinierter Weise beeinflussen dürfen. Diese drei Säulen sind die Gesetzgebung (Legislative), die ausübende Gewalt oder Regierung (Exekutive) und die Interpretation des Gesetzes und des Rechts durch die Rechtsprechung (Judikative).

Den einzelnen Gewalten sind in einer Verfassungsordnung zusätzliche Fesseln auferlegt. Die Legislative muss zum Beispiel ihre gesetzgeberische Aktivität auf solche Gesetze beschränken, die im Einklang mit und nicht im Widerspruch zur Verfassung stehen. Das ist der Grund, warum Bürger- und Menschenrechte als „unveränderlich“ in den meisten Verfassungen festgeschrieben sind. An ihnen darf auch ein mit Mehrheit bestimmter Gesetzgeber nicht herumbasteln. Das man es in der sogenannten „Covid-Krise“ dennoch straflos getan hat, zeigt, dass es höchste Zeit ist, über Sanktionsmechanismen gegen solche Politiker nachzudenken, die sich über diese eindeutigen Normen in illegaler und – ich wage zu schreiben: krimineller – Weise hinweggesetzt haben. Die Verfassung und die Werte, auf denen sie beruht, stellen im System der kodifizierten gesetzlichen Normen die „Krone der Schöpfung“ dar.

Auch die Judikative, die Rechtsprechung, ist nicht frei zum willkürlichen Handeln; ein Gebot das – in der Regel linke – aktivistische Richter oft unter Verstoß gegen den Buchstaben der Verfassung gebrochen haben. Der Handlungsrahmen der Judikative beschränkt sich auf die Interpretation des Gesetzes, die nicht dafür missbraucht werden darf, den Sinngehalt von Gesetzen aus der Realität der Rechtsprechung herauszuinterpretieren.

Und nicht zuletzt agiert und operiert auch die Regierung „unter dem Recht“. Die historische Erfahrung zeigt, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt, das Verhältnis der Regierung zum Recht zu beschreiben: Entweder steht die Regierung unter dem Recht oder über dem Recht. Steht sie unter dem Recht, so spricht man von einem Rechtsstaat, der nicht durch die Willkür der Exekutive ausgehebelt werden kann. Dieser schützt das Individuum mit unbedingter Hingabe, und zwar auch dann, wenn dieser Einzelne selbst über keinerlei physische Machtmittel zur Durchsetzung seiner Rechte verfügt.

Setzt sich die Regierung jedoch über das Recht – und sei es in einer noch so geringfügigen Angelegenheit –, dann sind den Mechanismen der Willkür Tür und Tor geöffnet. Dieser Zustand hat auch einen Namen, nämlich die Tyrannei. Es gibt dabei nicht „ein bisschen Tyrannei“, genauso wie es nicht „ein bisschen schwanger“ gibt. Der Sachverhalt des Rechtsstaates ist erfüllt oder nicht erfüllt. Es gibt schwarz und weiß, nicht grau. Grau ist in diesem Fall schon schwarz und das bedeutet, dass buchstäblich jede exekutive Maßnahme einer Regierung Gegenstand unabhängiger richterlicher Kontrolle werden können muss, ob das der Regierung passt oder nicht.

Ist das Volk die ausschließliche Quelle der Souveränität und damit der „Staatsgewalt“, so folgt daraus zwingend und ohne Zweifel, dass es dem Volk auch obliegen muss, zu bestimmen, wer diese drei getrennten Gewalten ausübt, und zwar durch Votum, durch Wahlen. Eine Gewaltenteilung, bei der das Volk einen Stellvertreter in Form der Legislative bestimmt, der dann nach Filz, Gutdünken und in Hinterzimmer-Abmachungen die personelle Zusammensetzung der anderen beiden Gewalten bestimmt, ist keine solche.

Das bedeutet: Echte Gewaltenteilung ist nur gegeben, wenn das Volk das Parlament, die Regierung, die Richter, die Staatsanwälte und die Behördenleiter einschließlich der Polizei auch selbst durch Wahlen bestimmt. Ihnen ist sicher bei dem ein oder anderen Hollywood-Streifen schon aufgefallen, dass sich die Unterhaltungen dort oft genug um die nächsten Richter- oder Sheriffwahlen drehen. Oft wird dann so getan, als seien diese Wahlen eine Quelle der Korruption. Das ist eine Verdrehung und eine Propagandalüge, die die Leute glauben machen soll, dass es besser für sie sei, wenn die politische Klasse das mit Kungelei unter sich ausmacht. Die Gründerväter haben sich etwas dabei gedacht, dass es sich anders verhält, und sie waren gründliche Denker.

Zu einer funktionierenden Gewaltenteilung gehört auch, dass es eine Hierarchie der Einflussnahme und der Einflussabschottung gibt. Die Rechtsprechung wirkt auf die Legislative und die Exekutive sehr wohl und zu Recht ein, wenn es darum geht, sie zur Einhaltung des Gesetzes zu zwingen. Die Legislative und die Exekutive haben aber nicht die Aufgabe, die Rechtsprechung zu beeinflussen. Richter und Staatsanwälte müssen frei sein von jeder politischen Einflussnahme. Das setzt zum einen voraus, dass die Politiker keinerlei Sagen bei der Vergabe der Positionen haben, und es erfordert zum anderen, dass Richter und Staatsanwälte ihrer Arbeit ungestört und ohne Vorschriften der Regierung oder des Parlamentes nachgehen können. Das ist aber in Deutschland, wo der Justizapparat den Justizministerien untergeordnet ist und der Minister eine Weisungsbefugnis gegenüber den Justizorganen hat bis hin zu der Möglichkeit, staatsanwaltliche Ermittlungen zu stoppen oder zu forcieren, mitnichten der Fall. In der Regel beruft sich der Politiker auf ein wolkig formuliertes „Staatswohl“, ein Begriff gegen den ein Kaugummi starr und in keiner Weise dehnbar ist.

Dass es sich so verhält, hat den Europäischen Gerichtshof dazu veranlasst, die Umsetzung des Europäischen Haftbefehls in Deutschland für nicht anwendbar zu erklären, weil das Land keine funktionierende Gewaltenteilung habe. Wir haben es also amtlich und schriftlich, dass wir das Prädikat Rechtsstaat und Gewaltenteilung eigentlich gar nicht in Anspruch nehmen dürfen.

Dort macht aber die Gleichschaltung der richterlichen Gewalt nicht halt. Richter, die nicht „korrekt“ Recht sprechen, müssen befürchten, strafversetzt zu werden. Rühren sie an den falschen Nerv der Macht, wie das in der Covid-Krise des Rechtsstaates viel zu selten passierte, so folgen Hausdurchsuchungen, Suspendierung und Anklage wegen „Rechtsbeugung“. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt.

Denken Sie das nächste Mal daran, wenn ein Politiker in Berlin sich darüber mokiert, wie die Polen, die Ungarn oder die Israelis ihre obersten Richter bestimmen. Das fällt unter die Kategorie „Wer im Glashaus sitzt …“.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat der öffentliche Diskurs den drei eigentlichen Gewalten eine vierte hinzugefügt, nämlich die freie Presse. Sie ist keine Staatsgewalt, aber sie ist sehr wohl eine Voraussetzung dafür, dass der Souverän seine politische Willensbildung frei und ohne Zwang und Manipulation durchführen und dann in Wahlen zum Ausdruck bringen kann. Kann sich der Bürger nicht informieren, wird er zum Gegenstand von Propaganda, Framing, Nudging und Lügen, dann steht seine freie Willensbildung infrage und damit das ganze Gerüst, auf dem die Ausübung der Volkssouveränität steht.

Einmal mehr können wir hier Jefferson zitieren, der feststellte: „Nur die Lüge braucht die Stütze der Staatsgewalt, die Wahrheit kann von allein aufrecht stehen!“ An diesen klugen Satz muss ich immer denken, wenn mir das Staatsfernsehen, das wir „öffentlich-rechtlich“ nennen, weil es weniger nach Staat klingt, irgendeine erzieherische Wahrheit suggerieren möchte, weil es denen, die an den Schaltstellen der Macht in diesem Lande sitzen, so genehm ist. Mit dem Instrument des Staatsfernsehens in Kombination mit Leitmedien, deren Gleichschaltung offenbar nicht besonders schwer war, steht die gesamte Legitimation des Herrschaftsgebildes infrage. Das gilt umso mehr, als abweichende Stimmen mithilfe einer systematischen Cancel Culture, beruflichen Nachteilen, Einschüchterungsmaßnahmen der Staatsgewalt gegen einzelne Bürger in Opposition zur Regierung und dem Versuch der Zerstörung ihrer bürgerlichen Existenz bis hin zur staatlichen Finanzierung eines gewalttätigen Mobs in Form der „Antifa“ zur physischen Bedrohung zum Schweigen gebracht werden. In einem System echter Gewaltenteilung würde die Judikative der Exekutive an dieser Stelle in den Arm fallen; dass sie es nicht tut, hat seine Ursachen im kompletten Fehlen ihrer Unabhängigkeit.

Leben wir also in einer Tyrannei? Noch nicht, aber wir bewegen uns mit steigender Geschwindigkeit auf einem abschüssigen Pfad. Wir brauchen eine fundamentale Reform der Gewaltenteilung in unserem Land und eine Judikative, die der Exekutive mit aufrechtem Gang entgegentreten kann, wenn das notwendig sein sollte.

Was also ist Gewaltenteilung und wie weiß ich, ob ich sie habe? Ich habe sie dann, wenn mir die Umstände keinen Anlass geben, mich auf die vergebliche Suche nach ihr zu machen.


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