05. Mai 2023 14:00

Juristische Methodik Richtige Gerichtsurteile erfordern Tatsachenkenntnis

Juristen müssen interdisziplinär stringent arbeiten

von Carlos A. Gebauer

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Bildquelle: Viacheslav Lopatin / Shutterstock PCR-Test: Völlig nutzlos – dennoch halten sogar Gerichte noch immer daran fest

Juristische Arbeitsergebnisse – und also auch gerichtliche Urteile – können nur dann „richtig“ ausfallen, wenn sie sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht zutreffend sind. Mithin ist die erste Arbeitsanforderung an jeden Juristen immer die, zunächst die Tatsachen des in Rede stehenden Sachverhaltes ordnungsgerecht zu klären und zu verstehen. Genau hier stellt sich auch für das Gericht stets das methodisch interdisziplinäre Problem, Wissensgebiete erfassen zu müssen, die nicht primär zur juristischen Ausbildung gehören. Denn der Jurist lernt im Studium nichts über Biologie und Medizin. Physik oder Chemie sind nicht seine Lehrfächer, und mathematische oder ingenieurtechnische Fragestellungen finden in juristischen Vorlesungen erst recht nicht statt. Allenfalls in der juristischen Referendarzeit gibt es erste derartige „Realitätskontakte“. Die Auseinandersetzung von Anwälten und Richtern mit Wissenschaftsmethodik fällt daher faktisch eher in den zufälligen Bereich des privaten Interesses. Konsequenz dessen ist, dass viele Gerichtsentscheidungen immer auch an mangelndem Tatsachenverständnis leiden. Die beste Kenntnis des Gesetzes hilft aber nicht, wenn schon die Tatsachengrundlagen unrichtig verstanden werden.

Das Verwaltungsgericht Freiburg im Breisgau hatte sich in einer Streitsache mit Fragen der Corona-Infektion und der durch Impftherapien möglichen Immunisierung auseinanderzusetzen. Das Verfahren endete am 2. März 2023 mit einem erstinstanzlichen Urteil dieses Gerichtes (10 K 64/22). Die veröffentlichte Entscheidung ist insofern lesenswert, als sie das augenscheinliche Hadern zunächst der beklagten Behörde als auch dann das tastende Suchen des Gerichtes mit und in Fragen des Infektionsschutzes anschaulich beschreibt.

Klägerin des Verfahrens war ein Personaldienstleistungsunternehmen, dem ein Mitarbeiter durch eine behördliche Absonderungsanordnung für rund zwei Wochen als Arbeitskraft ausgefallen war. Der klagende Arbeitgeber zahlte den Lohn an ihn fort und wünschte seine Aufwendungen von der Beklagten auf Basis der Entschädigungsregelungen des Infektionsschutzgesetzes erstattet zu erhalten. Die angegangene Behörde stellte sich auf den Standpunkt, der klagende Arbeitgeber könne eine Entschädigung nicht geltend machen, da der abgesonderte Mitarbeiter nicht „geimpft“ und also nicht „vollständig immunisiert“ gewesen sei. Die Absonderung hätte von ihm vermieden werden können.

Den behördlichen Vortrag zitiert das gerichtliche Urteil unter anderem mit den Worten: „Der Mitarbeiter hätte eine Absonderung durch eine Impfung vermeiden können. Zwar habe die Corona-Verordnung eine Absonderungspflicht unabhängig vom Impfstatus vorgesehen. Es könne jedoch nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass der betroffene Arbeitnehmer auch bei einer vollständigen Immunisierung (überhaupt) positiv getestet worden wäre.“

Das Verwaltungsgericht Freiburg ist dieser fachlich unrichtigen behördlichen Argumentation richtigerweise nicht gefolgt, sondern hat dem Arbeitgeber eine Entschädigung für seinen Ausfallschaden zugesprochen. In der Begründung hält das Urteil unter anderem fest: „Gemäß Paragraph 56 Absatz 1 Seite 4 Infektionsschutzgesetz erhält eine Entschädigung unter anderem nicht, der durch die Inanspruchnahme einer Schutzimpfung, die gesetzlich vorgeschrieben ist oder öffentlich empfohlen wurde, ein Verbot in der Ausübung seiner Tätigkeit oder eine Absonderung hätte vermeiden können. Eine öffentliche Empfehlung lag vor. Der Kläger [richtigerweise hätte es hier und in der Folge in dem Urteil heißen müssen: der Mitarbeiter der Klägerin; Carlos A. Gebauer] hätte eine Absonderung jedoch nicht vermeiden können. Der Kläger hätte eine Absonderung nicht durch die Vornahme einer Impfung verhindern können, weil die Impfung [dann] eine Infektion verhindert hätte. Dabei ist (mittelbar) auf die Verhinderung einer Infektion abzustellen, weil die Corona-Verordnung die Absonderung selbst von dem Vorliegen eines positiven PCR- oder Schnell-Tests abhängig machte. Beide Testverfahren dienen dazu, eine Infektion mit dem Coronavirus nachzuweisen. Allerdings kann – weil Impfungen praktisch nie zu 100 Prozent wirksam sind – insoweit nicht auf einen Verhinderungsmaßstab von 100 Prozent abgestellt werden. Der Wortlaut der Norm (‚durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung … hätte vermeiden können‘) sieht eine Quasi-Kausalität von Impfung und Absonderungsvermeidung vor. Vor diesem Hintergrund kommt ein Anspruchsausschluss erst dann in Betracht, wenn davon auszugehen ist, dass eine Impfung eine Infektion mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit oder gar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen hätte. Diese Quasi-Kausalität wird nicht bereits durch die Nichtbefolgung der Impfempfehlung hergestellt.“

Bis hierher ist von dem Verwaltungsgericht mithin klargestellt, dass es einen 100-prozentigen Schutz vor Infektionen durch eine Impftherapie nicht gibt. Das ist sachlich richtig. Unrichtig allerdings ist, wenn das Gericht sich dann auf den Standpunkt stellt, ein PCR- oder ein Schnelltest dienten dazu, eine Infektion mit dem Coronavirus nachzuweisen. Diese tatsächlichen Fragen sind in medizinischer Hinsicht längst in anderer Weise gesichert beantwortet. Insbesondere ist auch der vermeintlich präzise PCR-Test nicht dazu angetan, eine Infektion nachzuweisen.

Welche fatalen Folgewirkungen dieser tatsächliche Irrtum des Gerichtes in der Folge hätte haben können, wird durch die weitere Argumentation des Urteils deutlich. Es setzt sich nämlich sodann mit der Frage auseinander, ob möglicherweise eine Impfung „jedenfalls mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Infektion“ hätte verhindern können. Erfreulicherweise stellt das Verwaltungsgericht klar, dass dies nicht der Fall ist. Es kommt zu diesem Ergebnis jedoch aufgrund folgender Überlegung: „Das RKI gibt in seinem wöchentlichen Covid-19-Lagebericht vom 09. Dezember 2021 zur Frage der Impfeffektivität an: Die nach der Farrington-Methode geschätzte Impfeffektivität habe für die vergangenen vier Wochen in der Altersgruppe 18 bis 59 Jahre bei etwa 68 Prozent gelegen. Auch bei der Bewertung der Impfdurchbrüche wird als Impfdurchbruch ein Fall mit klinischer Symptomatik verstanden. Damit werden aber asymptomatische Infektionen nicht erfasst. Für den Fall der Absonderung sind aber auch asymptomatische Fälle von Relevanz, weil die Absonderung an einen positiven Corona-Test anknüpft. Ein positiver Corona-Test (und in der Folge eine Absonderung) kann aber auch dann gegeben sein, wenn keine erkennbaren Covid-Symptome vorliegen. Sind nach alledem dem Anteil der Impfdurchbrüche noch die asymptomatischen Infektionen hinzuzurechnen, dürfte sich der hier von dem Beklagten in Ansatz gebrachte Wert zur Impfeffektivität von 67 Prozent um weitere Prozentpunkte verhindern. Von einer zumindest weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit kann damit nicht ausgegangen werden.“

Während es richtig ist, die (ihrerseits nur geschätzte) Impfeffektivität von weniger als 67 Prozent als nicht überwiegend wahrscheinlich zu klassifizieren, übersieht das Verwaltungsgericht hier jedoch in tatsächlicher Hinsicht den faktisch fehlenden Zusammenhang zwischen einem positiven Testergebnis und einer zutreffend unterstellten Infektion. Dieser grundlegende Tatsachenirrtum wirkt sich zwar für das hier in Rede stehende Urteil nicht aus. Würden sich aber andere Prozentzahlen bei der Schätzung der Impfeffektivität gezeigt haben, hätte das Gericht durchaus zu einem anderen Ergebnis kommen können. Dieses andere Ergebnis hätte dann aber tragend – das heißt: entscheidend – auf der unrichtigen Annahme relevanter Testergebnisse beruht.

Das Fehlerpotenzial der unrichtigen Tatsachenannahme wird dadurch sogar noch größer, dass auch die ungeimpfte Bevölkerung als Vergleichsgröße mit unzureichenden Testmethoden auf Infektionsverdacht untersucht wurde. Nur und ausschließlich ein geläutertes Verständnis von der Aussagekraft eines Corona-Tests kann hier künftig gesamthaft fehlerhafte Urteil verhindern. Die WHO hat immerhin schon im Januar 2021 betont, dass eine Infektion allenfalls dort regelgerecht angenommen werden durfte und darf, wo neben einem positiven Testergebnis zusätzlich auch gesicherte klinische Untersuchungen einen Infektionsverdacht bestätigten. Es ist davon auszugehen, dass derartige ordnungsgerechte klinische Diagnostik neben der bloßen Testung kaum stattgefunden hat, jedenfalls nicht im Massengeschäft des Corona-Geschehens in Deutschland.

Das Verwaltungsgericht hat die Berufung gegen sein Urteil zugelassen. Es ist daher zu hoffen, dass das Urteil nicht mit seiner nur teilweise tatsächlich zutreffenden Begründung im Ergebnis bestätigt wird, sondern dass die Berufungsinstanz auch die schon grundlegend faktische Fehlerhaftigkeit der Infektionsfeststellung durch nur positive Testergebnisse zusätzlich argumentativ klarstellend herausarbeitet.

Die Aufarbeitung der Corona-Krise erfordert weiterhin akribisches und präzises Arbeiten.


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