Der vormundschaftliche Staat: Genese der Maulkorbgesetze vom Kaiserreich bis zur Gegenwart
Willst du Respekt, hau auf die Fresse, doch Anerkennung gibt es nur für Leistung!
von Reinhard Günzel
Viele, viel zu viele, wenn nicht überhaupt gar die Überzahl der deutschen Wähler haben völlig unrealistische, übertrieben hohe Erwartungen an die Politik und ihre Möglichkeiten, sich stellende Herausforderungen zu meistern und dabei auftretende Probleme zu lösen, trauen ihr Kompetenzen zu, die einfach nicht vorhanden sein können. Wie anders soll man sich sonst die Wahlergebnisse erklären?
Doch eine auf unrealistischen Annahmen, Wunschdenken und Allmachtsphantasien aufgebaute ideologisierte Politik ist niemals in der Lage, ihre Versprechungen einzulösen, produziert Pleiten, Pech und Pannen am laufenden Band, und ihre Repräsentanten bekommen ein wachsendes Glaubwürdigkeitsproblem. Anfangs noch die harmlose, freundliche Kritik, kommt vor der Abwahl der Herrschenden oder gar dem Umsturz der Verhältnisse zunächst noch die Phase der Ironie, des Lächerlich- oder gar Verächtlich-Machens der Herrschenden.
Die Bevölkerung der DDR hatte es darin zu einer wahren Meisterschaft gebracht, auch wenn böse Zungen behaupten, all die politischen Witze seien ursprünglich aus der Sowjetunion gekommen – sei‘s drum, manche waren richtig gut und einen möchte ich hier erzählen:
Walter Ulbricht, Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates und Vorsitzender des Staatsrats der DDR, so seine offizielle, in den Nachrichtensendungen immer wieder langatmig vorgebetete Anrede, steht in seinem Herrschaftssitz am Fenster und sieht, wie Arbeiter einen Fahnenmast einbuddeln. Als der Mast steht, ist Erde übrig, woraufhin die Arbeiter ein neues Loch ausheben, die Erde hineinwerfen und das Loch wieder verschließen – doch verflixt, es ist wieder Erde übrig. Also ein neuer Versuch, wieder ein Loch graben, die überschüssige Erde einwerfen und das Loch verschließen, und wieder bleibt Erde übrig. Als die Arbeiter sich nun nochmals anschicken, ein Loch auszuheben, platzt Ulbricht der Kragen, er öffnet das Fenster und ruft den Arbeitern zu: Genossen, ihr müsst tiefer graben!
Im Internet kursiert ein Videoschnipsel, in dem der ehemalige Bürgerrechtler Arnold Vaatz diesen Witz mit garantiertem Lacherfolg zum Besten gibt. Vaatz, ein aufrechter Selbstdenker, der in der DDR für seine Überzeugungen auch ins Gefängnis gesteckt wurde und dort, wie in der DDR üblich, gesundheitsschädliche Zwangsarbeit leisten musste, später bis zu seinem Ausscheiden immer wieder über sein Direktmandat in den Bundestag gelangte, wo er notgedrungen mit der Kanzlerin Merkel über Kreuz lag, dieser Arnold Vaatz wäre nicht Vaatz, wenn er einen solchen Witz nicht weiterspinnen würde.
Also führt er, nachdem sich die Lacher beruhigt haben, aus, das dies heutzutage nicht anders sei, denn wenn gelehrte Professoren unserem Wirtschaftsminister Habeck erklären, dass nachts, wenn die Sonne nicht scheint und unsere Photovoltaik nichts liefert, wir nach seiner grünen Energiewende bei Windstille ohne elektrischen Strom dastehen würden, dann sei Habecks Antwort, dass wir eben noch mehr Windräder bräuchten.
Als auch hier die Lacher verklungen sind, bemerkt Vaatz noch, das sei ganz und gar nicht zum Lachen, eher tieftraurig, denn dass solche Gestalten über unsere Art zu leben, unser Schicksal zu bestimmen in der Lage seien, sei doch einzig und allein unsere Schuld, unser eigenes Versagen.
Für Arnold Vaatz und seine Mitlacher ist eine intellektuelle Auseinandersetzung mit Robert Habeck, dem gefestigten marxistisch-leninistischen Grünideologen, Neudenker des Kommunistischen Manifests, wohl bereits nicht mehr lohnend, weshalb nur noch Ironie und Spott infrage kommen. Doch darum wissen auch Herrschende seit alters her, weshalb sie in Bezug auf die Spötter vorgesorgt haben, indem sie Gesetze, drakonische Gesetze verabschiedeten, die dem Spötter zeigen, wer das Sagen hat und wer sich besser im Schweigen üben sollte.
So konnte in jenen längst vergangenen Zeiten laut Paragraph 95 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich eine Beleidigung des Landesherrn mit Gefängnis nicht unter zwei Monaten oder mit Festungshaft von zwei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden.
Die DDR hatte natürlich auch ihr Strafgesetzbuch, und mit Paragraph 106 („Staatsfeindliche Hetze“) gab es auch das passende Instrument, solche Despektierlichkeiten einzudämmen: „Wer … Repräsentanten … oder die Tätigkeit staatlicher oder gesellschaftlicher Organe und Einrichtungen diskriminiert … wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.“
Eine solche Strafandrohung ist nicht ohne, auch wenn es eher, wie schon zu Kaisers Zeiten, ein Gummiparagraph war, der nur anzuwenden war, wenn es darum ging, jemanden mundtot zu machen oder bei der Sanktionierung anderer politischer Vergehen noch eins draufzusetzen. Im Bereich des Privaten blieb so etwas eigentlich folgenlos und war allenfalls ein Fall für die Stasiakte.
Allerdings kam in der DDR, anders als beim Kaiser, sobald der Fall erst mal vor Gericht landete, niemand mehr mit zwei Monaten Haft davon. Die Mindeststrafe schnellte gleich auf ein Jahr hoch, nur die Höchststrafe blieb bei fünf Jahren, und da steht sie heute noch, denn auch unser ach so freiheitliches, liberales Staatswesen hat ja erst vor gut zwei Jahren ein ganzes Gesetzespaket gegen Hass und Hetze verabschiedet. Zentraler Punkt ist hier der neu aufgelegte Paragraph 188 gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung, hier mal in Auszügen wiedergegeben:
„(1) Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (Paragraph 11 Absatz 3) eine Beleidigung (Paragraph 185) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Das politische Leben des Volkes reicht bis hin zur kommunalen Ebene.
(2) Unter den gleichen Voraussetzungen wird eine üble Nachrede (Paragraph 186) mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren und eine Verleumdung (Paragraph 187) mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“
Das nenne ich mal Nägel mit Köpfen und wehrhafte Demokratie, und das politische Universaltalent, das später als Verteidigungsministerin dann doch, beinahe hätte ich gesagt wegen Unfähigkeit, zurückgetreten ist – den wahren Grund habe ich aber vergessen, wie ich hoffentlich bald Christine Lambrecht ganz vergessen werde –, war 2020 noch Justizministerin, als sie erklärte: „Unser Gesetzespaket dient dem Schutz aller Menschen, die im Netz bedroht und beleidigt werden. Die Wellen des Hasses sind in der Pandemie noch aggressiver als zuvor …blabla“, weiterer Wortlaut unter dem Link unten, wobei noch anzumerken bleibt, dass mit den „Wellen des Hasses in der Pandemie“ keinesfalls staatsnahe Medien mit ihren grünlinken Schmierfinken und sogenannte Komödianten oder „im politischen Leben des Volkes stehende Personen“, eben Politiker, darunter Ministerpräsidenten, Bürgermeister, Verbandsvorsitzende, Inhaber von Ämtern und anderem Führungspersonal gemeint waren, die sich wechselseitig in vorher nie gekanntem Ausmaß mit ihren Hasstiraden und Gewaltphantasien zu übertreffen suchten, die ausnahmslos gegen jenen Teil des Volkes, der den bedingungslosen Kadavergehorsam für ein gentechnisches Experiment mit ungewissem Ausgang verweigerte, gerichtet waren.
Nein, die Drohung der Lambrecht richtete sich einzig und allein gegen frei geborene Bürger, die auf ihrem angeborenen Recht auf körperliche Unversehrtheit bestanden und sich zur Abwehr dieser lebensgefährlichen Zumutungen verständlicherweise auch mal im Ton vergriffen.
Im antiken Rom pflegten sich die Prasser mit einer Pfauenfeder im Halse zu kitzeln, um während eines Festmahls Platz im Magen zu schaffen. Heutzutage sind Pfauenfedern schwer zu beschaffen, aber wenn Sie ein solches Bedürfnis verspüren, klicken Sie einfach den Link unten an und lesen Sie.
Vergleichen wir die in unterschiedlichen Epochen und Regierungsformen erlassenen Maulkorbgesetze anhand der Mindeststrafen miteinander, so wird im besten Deutschland aller Zeiten eine Verleumdung eines Politikers dreimal so hart bestraft wie im Kaiserreich die Verleumdung des Landesherrn. Verdoppeln wir demnächst die Mindeststrafe nochmals, haben wir zumindest bei Maulkorbgesetzen wieder die DDR erreicht.
Doch die von einigen Twitterern Lambrecht nachgesagte Unfähigkeit zeigte sich auch im Paragraph 188, der ein halbherziger, unfertiger Paragraph ist. Die DDR war da bereits weiter und die Iren sind es neuerdings auch, und Lambrecht hat eine Chance, sich als eiserne Lady im Kettenhemd zu präsentieren, vergeben, indem sie den unverzeihlichen Fehler beging, das Lesen und Abspeichern von verleumderischen und so weiter Inhalten auf privaten PCs nicht ebenfalls mit Strafe zu bedrohen.
Zurück zu Arnold Vaatz, der den ersten Teil seines Witzes, jene Passage über Walter Ulbricht, garantiert irgendwann einmal in der DDR erzählt und ihn danach wieder vergessen hatte. Erst beim Lesen seiner Stasiakte fand er wahrscheinlich einen Bericht, etwa so: „Während einer subversiven Zusammenkunft staatsfeindlicher Elemente in der Wohnung des Z. verleumdete die Zielperson den Genossen Ulbricht, indem er den Witz mit dem ‚tiefer graben‘ erzählte, woraufhin alle lachten. Um mich nicht zu verraten, habe ich entgegen meiner Überzeugung und meiner Hochachtung gegenüber dem Genossen Ulbricht auch mitgelacht, gez., IM Euler.“ Da fiel Vaatz alles wieder ein und es kam zu eingangs zitierten Videos.
Lieber Herr Vaatz, das hätten Sie nicht tun dürfen. Ich meine, Ulbricht lächerlich machen, das geht momentan noch durch, aber den schwer an der Energiewende arbeitenden Wirtschaftsminister Habeck – ich bitte Sie, dem sprechen Sie doch jegliche Kompetenz ab, stellen ihn ja als geradezu blöd dar. Dabei kann der doch immerhin Kinderbücher! Aber dabei belassen Sie es nicht einmal, rufen gar zu seiner Abwahl auf und – schlimmer noch – treten sein gesamtes politisches Umfeld bildlich gesprochen glatt in die Tonne. Wissen Sie denn nicht, dass Heerscharen von Tagedieben Tag und Nacht das Netz durchkämmen, mit dem einzigen Ziel, irgendetwas mit Relevanz zu Paragraph 188 zu finden, um Abweichler, Rechte, alles, was nicht links ist, also Nazis und so weiter zu denunzieren? Und habe ich nicht weiter oben klar und deutlich dargelegt, welche Strafen möglich sind?
Natürlich gibt es das Ministerium für Staatssicherheit nicht mehr, nicht mehr die Unmengen von IM, den aufgeblähten Apparat dahinter. Das wäre ja auch so etwas von gestern! Telefone werden heute von Computern abgehört, Denunzianten müssen nicht mehr angeworben werden, sondern rennen den Meldeportalen, diversen, mit den Angelegenheiten betrauten Stiftungen geradezu die Türen ein. Alles ist heute viel raffinierter, feiner, breiter, aalglatt und um ein Mehrfaches effektiver angelegt, nichts geht mehr in den Aktenschränken verloren, alles ist elektronisch auf immer gespeichert und, wie gesagt, das Strafmaß ist dicht dran, jedenfalls dichter als in Richtung liberales Kaiserreich. So viel Vaatz, wobei ich nicht mal weiß, ob er das je zu Gesicht bekommt, aber vielleicht hilft es.
Jetzt, zum Ende des Beitrags, eine kleine Umfrage, bitte kreuzen Sie an.
- Ja, genauso ist es
- Nein, totaler Blödsinn
Für all jene, die mit „Nein“ stimmten, geht es jetzt hier weiter.
Ist Ihnen der deutsche Youtuber Tim Kellner alias „Love Priest“ bekannt? Dieser betreibt mit seinem „Love Channel“ einen der bekanntesten und reichweitenstärksten Kanäle. Fast eine halbe Million Menschen folgen inzwischen seinen scharfzüngigen und sarkastischen Videos, in denen Kellner schonungslos den politischen und gesellschaftlichen Verfall Deutschlands dokumentiert. Auf eine Strafanzeige von Außenministerin Annalena Baerbock hin flatterte Kellner nun ein Strafbefehl, also ohne Gerichtsverhandlung ausgestellt, ins Haus, der vorsieht: acht Monate Haft auf Bewährung von drei Jahren plus Geldstrafe von 1.500 Euro.
Und warum das alles? Tim Kellner hatte unsere Annalena Charlotte Alma ganz im Stil der Medien als Expertin bezeichnet. Naja, nicht nur so allgemein als Expertin, er hat als Satiriker die Expertise stark eingeschränkt. Wie, dazu ein kleiner historischer Ausflug: Herrscher machen sich nicht gern mit dem Volk gemein, nur für die Presse beim Händeschütteln. Sie sind die Herrscher über das Volk und sehen bereits dessen Sprache als vulgär, also volkstümlich an, was man nicht sein will und nicht ist.
Und so sprechen sie ihre eigene Sprache, auch in intimeren Dingen. Die lingua populi berührt sie oftmals unangenehm.
Das indogermanische „skei“, mittelhochdeutsch „schîჳe“ wird bis in die Neuzeit gesprochen, ist immer noch sehr verbreitet, während feine Leute „Toilette“, auf Deutsch „Tüchlein“ sagen. Ich bitte Sie, wer soll sich da noch auskennen, denn im Toilettenhäuschen werden keine Tüchlein aufbewahrt – doch das nur nebenbei.
Zur Aufklärung, wie Tim Kellner zu seiner Haftstrafe kam, wird nun eine gewisse semantische Verrenkung erforderlich, denn ich habe null Bock auf Gefängnis, noch weniger als auf Arbeit. Sie sehen mir das bitte nach.
Also, Tim Kellner machte aus dem Häuschen ein Haus und ersetzte Toilette durch die aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangene neuzeitliche Bezeichnung für „schîჳe“ und meinte, Annalena sei eine Expertin dafür.
Damit ist alles gesagt.
Bundesministerium der Justiz: Gesetzespaket gegen Hass und Hetze ist in Kraft getreten
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.