Arbeitswelt der Zukunft: Der Mensch wird nicht digital ersetzt – im Gegenteil
Nicht künstliche Intelligenz – nur das handelnde Individuum löst Knappheitsprobleme
von Christian Paulwitz drucken
In den letzten Jahrzehnten entwickelte sich eine merkwürdige Vorstellung von der Arbeitswelt der Zukunft, deren wachsende Widersprüchlichkeit zur Realität ständig zunimmt. Die These: Die digitale industrielle Revolution mache die Arbeit des Menschen immer überflüssiger und er werde als Arbeitskraft immer weniger benötigt. Weltwirtschaftsforum-Vordenker Yuval Harari rätselt gar darüber, was man mit all den „wertlosen“ Menschen machen solle, die im Produktionsprozess überflüssig geworden seien, und lässt dystopische Ideen zur massenhaften bespaßenden Narkotisierung anklingen. Doch gleichzeitig vergeht kaum ein Tag, in dem nicht ein Politiker einen zunehmenden „Fachkräftemangel“ konstatiert und uns mit seinen untauglichen Lösungsansätzen für ein Problem belästigt, das wir zunehmend im Alltag als real erleben.
Wenn man in Zukunft kaum noch Arbeitskräfte benötigt – warum erleben wir gerade auf dem Weg in diese Zukunft nicht einen Schritt in die Richtung dieser Entwicklung, sondern das Gegenteil? Die Antwort ist einfach: Weil die These falsch ist. Sie entstammt demselben technokratischen Denken, das bereits vorweg dafür gesorgt hat, einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung durch bespaßende Narkotisierung aus den Produktionsprozessen zu ziehen, um mit ihm abhängig gemachte Unterstützermassen für das politische Krebsgeschwür der Gesellschaft heranzuzüchten. Die Konsequenz: Menschen als handelnde Subjekte werden vermisst. Die Technokraten liegen offenkundig und erkennbar falsch für jedermann, der die Augen aufmacht. Ihr System steht nicht am Anfang, sondern vor seinem Ende.
Als ich so um 2001/2002 in der Industrie meine erste Schulung zur Personalführung erhielt, war der Geist der, den Mitarbeiter als teure und daher effizient zu nutzende Ressource zu sehen. Mit diesem Satz würde der Sozialist sofort „Ausbeutung“ wittern, tatsächlich zielte die Sicht eher auf das menschenfreundliche Gegenteil ab. In den 90er Jahren war der Kostendruck für im Wettbewerb stehende Unternehmen ein stets gegenwärtiges Entscheidungskriterium. Die Märkte waren globaler geworden und eröffneten neue Chancen, auch die, mit günstigerer Produktion im Ausland den Kostendruck zu senken, der in Deutschland durch steuerlichen Zugriff und bürokratische Zwänge längst ein erträgliches Maß überschritten hatte. Trotzdem bot der Standort auch noch viele Vorteile wie verlässliche Infrastruktur (das waren noch Zeiten!) und eben auch gut ausgebildetes Personal. Bei gegebenen hohen Personalkosten hatte derjenige einen Wettbewerbsvorteil, der die Fähigkeiten des Personals besser auszuschöpfen in der Lage war. Arbeitszeiten sind beschränkt und relativ teuer.
Im System von oben nach unten und mit engen Vorgaben, wie die knappe Zeit genau zu nützen ist, kann man je nach Arbeitsinhalt kaum besser abschneiden als der Wettbewerb. Der Schlüssel zum Erfolg ist der mitdenkende Mitarbeiter, der sich mit Arbeitsinhalt, Kunden- und damit Unternehmensnutzen identifiziert, Ideen entwickelt, die möglicherweise unvermittelt in der Entspannungsphase in der Freizeit ihre Wurzel hatten, diese einbringt und durch ihre nützliche Umsetzung weiter zu effizienten Prozessverbesserungen motiviert wird. Die Schlüsselrolle des unmittelbaren Fach- und Personalvorgesetzten war, die Fähigkeiten des Mitarbeiters, die ja über seine formale Qualifikation hinausgehen, zu erkennen, zu nutzen, aber auch den Mitarbeiter nicht zu überfordern, sondern die betrieblichen Anforderungen nach Möglichkeit mit dessen persönlichen Zielen zum Ausgleich zu bringen. – Nur so bleibt die Motivation dauerhaft erhalten, und die Investition in das Personal trägt Früchte.
Getrieben durch die Automobilindustrie und deren Qualitätsanforderungen nahmen Dokumentationspflichten in einem Maße in der Arbeitswelt zu, das man bürokratisch nennen könnte. Es galt nicht mehr nur, gute Arbeit zu leisten, sondern alles dafür zu tun, um im Zweifel nachweisen zu können, alles dafür getan zu haben, gute Arbeit zu leisten. „Was nicht dokumentiert ist, hat auch nicht stattgefunden“ war der Spruch, den Auditoren führten und den ich auch selbst zum Maßstab gemacht habe. Es half ja nichts. Trat ein Fehler beim Produkt eines Automobilherstellers auf, stand sofort ein Lieferant im Verdacht, diesen durch qualitative Mängel verursacht zu haben, mit entsprechenden Kompensationsforderungen. Ohne die entsprechende Dokumentation können Prozesse nicht auf zuverlässigen Ablauf überwacht und bei Bedarf nachgesteuert werden. Wehe dem, der sich nicht entlasten, den Schaden, so er ihn zu verantworten hat, eingrenzen und überdies lückenlos nachvollziehen konnte, dass alle Qualitätswerkzeuge benutzt wurden. Dieses Verständnis spiegelte sich dann zunehmend in den Qualitätssystemen wider, auch dort, wo es nicht unmittelbar um Produkte für den Automobilbereich ging.
Der stets wachsende staatliche Sektor hat in der Folgezeit versucht, das in der Industrie entstandene systematische Qualitätsdenken zu übernehmen und es dabei – wie könnte es auch anders sein? – in sein Gegenteil verkehrt. Die Bürokratie des Staates, der als Monopolist und Entscheider durch Zwang nicht den Kostendruck im Wettbewerb und die dadurch gesteuerte Ressourcenallokation, sondern nur die Bürokratie als Steuerungskriterium kennt, hat die industriellen Qualitätssysteme als ihr wesensverwandt missverstanden und gründlich pervertiert. Aus „Was nicht dokumentiert ist, hat auch nicht stattgefunden“ wurde so „Es ist dokumentiert, also hat es stattgefunden“. Während noch vor wenigen Jahrzehnten eine in einer realen Welt mit richtiger Familie aufgewachsene durchschnittliche Kindergärtnerin wusste, dass ein Kind für seine Entwicklung vor allem soziale Nähe, einen geschützten Raum, Zuwendung und die damit verbundene Zeit, aber nicht zuletzt auch Freiräume benötigt, dokumentiert ihre Nachfolgerin von heute Kompetenzvermittlungseinheiten hinsichtlich sozialer, musischer, motorischer und was weiß ich noch sonstiger Entwicklung und benötigt dafür Zeit, die genau für das, was sie dokumentiert, verloren geht.
Auch in den anderen theoretisch „sozialen“ Dienstleistungen wie der Pflege ist das Prinzip durchgängig. Der als Dienstleister Handelnde und sein Arbeitgeber sind nicht demjenigen letztlich rechenschaftspflichtig, an dem die Dienstleistung erbracht wird – oder im Falle von Kindern dessen Eltern –, sondern einem bürokratischen Regelwerk, durch das die kostentragenden staatlichen Instanzen gesteuert werden; die eigentlichen Kunden in diesem System, das nur Frustrierte kennt: Demotivierte Mitarbeiter, deren Arbeitsqualität nur im Sinne des vergütungsfähigen bürokratischen Regelwerks gefragt ist, nicht aber fachlich im vorgeblichen Zweck ihrer Arbeit; die Zielpersonen der Dienstleistungen; aber auch die Steuerungsorgane, denn natürlich herrscht in einem solchen System zunehmende Knappheit, und das bürokratische Regelwerk muss ständig angepasst werden, um der Knappheitsverwaltung gerecht zu werden. Je schlechter es funktioniert, desto mehr Qualitätskriterien und daraus hervorgehende zusätzliche Dokumentationspflichten werden geschaffen, die sich immer weiter von der Wirklichkeit entfernen. Die Dokumentation ermöglicht die Propaganda, mit der ein am Nutzen der betroffenen Menschen orientiertes System vorgespiegelt wird, das von der Masse weiter akzeptiert werden soll. Wer in einem solchen System arbeiten muss, passt sich als analoger Roboter an oder zieht sich soweit möglich um des Selbstschutzes willen zurück und trägt dabei zur Knappheit im System bei.
Die Bürokratie kann Mitarbeiter nicht als individuelle Ressource sehen – dazu fehlt ihr der Maßstab – sondern nur als mehr oder weniger gut funktionierendes Glied nach bürokratischem Wert. Funktioniert etwas aus bürokratischer Sicht nicht so gut, müssen weitere Regeln her – dass man dann keine Mitarbeiter mehr findet und bis dahin noch gebliebene flüchten, löst Verwunderung, wenn nicht gar Empörung aus.
Mit dem Wachsen der Staatswirtschaft in zuvor noch weitgehend privatwirtschaftliche Sektoren hinein, wie es nicht nur wie schon lange durch regulierende Vorgaben und gesetzte Dokumentationspflichten erfolgt, sondern zuletzt immer stärker durch staatlich gelenkte Nachfragesteuerung und Angebotsforderungen, passt sich auch die Arbeitswelt dort derjenigen der durch staatliche Monopole abgesicherten Branchen an, in den letzten drei Jahren bis in das Handwerk hinein. Die freiwillige Kooperation zwischen Dienstleister und Kunde wird gespalten. Das Marketing wird politisch, die Dokumentation wichtiger als das Produkt, während die Anspruchshaltung des Kunden von politisch geförderter Freibiermentalität geprägt wird, andere zahlen zu lassen, während die Politik den Unternehmer und ihre Betriebe obendrein gnadenlos schröpft.
Der Blick des Staates auf den Menschen als Versorgungsobjekt, wie es ja im Denken Hararis und vieler anderer staatsnaher Intellektueller in unvergleichlicher Naivität zum Ausdruck kommt, wurde mit Hilfe der Geldschöpfung aus dem Nichts durch Zentralbanken zur extremistischen Zuspitzung entwickelt. Man erahnt die Möglichkeiten weiterer Produktivitätssteigerung und sieht im eigenen technokratischen Denken lediglich das Problem der Verteilungsorganisation, während man die Voraussetzung für Produktion vergessen hat: Den Menschen als handelndes Subjekt, das seine individuellen Ziele zu erreichen sucht. Die Erwartung des Technokraten, Künstliche Intelligenz werde ihm künftig sein Problem der Wissensanmaßung lösen, um die Produktion „richtig“ durch zentrale Planung von oben zu steuern, ist lächerlich. Die Produktion bricht durch staatliche Organisation zusammen, wie wir es bereits an vielen Stellen als Folge der Zunahme der Staatswirtschaft beobachten.
Die Entwicklung ist nicht unumkehrbar, nur muss und wird wohl erst die Not zu Einsicht und Umkehr zwingen. Sie ist notwendig, daher wird sie stattfinden – die Frage ist nur, wann der Punkt hinreichender Einsicht erreicht ist. Mit dem Rückzug des überforderten und gescheiterten Staates aus den Wirtschaftsprozessen wird der produktive Mensch wieder als handelndes Subjekt zum Normalfall werden, da er seinen Sinn und Nutzen im Erreichen seiner Ziele aus eigener Kraft erleben kann. Seine eigene Produktivität wird es sein, ihm unter anderem den Zugang zu den Produkten der digital gesteuerten, effizienten Massenproduktion zu ermöglichen, nicht sein Wohlverhalten gegenüber einem Produktzuteiler. Die Möglichkeiten, mit anderen, produktiven Menschen in Kooperation zu gehen, um die jeweiligen Ziele zu verfolgen und den beiderseitigen Wohlstand zu vergrößern, sind grenzenlos – nur ein technokratischer Naivling kann dies auf die Nahrungsmittelproduktion und die Erfüllung der unmittelbaren Grundbedürfnisse des Lebens beschränkt sehen.
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