Vertagte Richterwahl: Extremistische Kandidaten für das Verfassungsgericht vorerst gescheitert
Wirkt die Grundgesetzänderung vom Dezember?
von Christian Paulwitz drucken

Am 11. Juli sollten im Deutschen Bundestag drei Richterstellen durch Wahl neu besetzt werden. Bei solchen Veranstaltungen treten dann immer die systemischen Merkwürdigkeiten besonders deutlich zu Tage, die zu ignorieren sich unsere Demokraten stillschweigend verständigt haben. Das wichtigste Legislativorgan, das mit seiner Mehrheit die von ihm gänzlich unabhängige Regierung trägt, die in ihren Ministerien die Gesetzentwürfe für den Beschluss durch die vollkommen unabhängige Legislative entwickelt, wählt also die Angehörigen des von Legislative und Exekutive absolut unabhängigen höchsten Organs der Judikative. Fast noch merkwürdiger ist aber das in Kartellabsprachen ausgehandelte Vorschlagsrecht, wobei die SPD aufgrund einer Quotenregel, die vermutlich noch aus der Kaiserzeit stammt, in diesem Falle zwei Kandidaten für die neu zu besetzenden drei Positionen benennen darf. Von den insgesamt acht Richtern, die vom Bundestag gewählt werden, schlagen jeweils drei Kandidaten Union und SPD vor. Wie das in funktionierenden Kartellen üblich ist, sind die Personalvorschläge der Partner gegenseitig jeweils mitzutragen – wenn nicht, droht Ungemach.
Doch genau dieser undenkbare Fall ist nun eingetreten. Das unspektakuläre einvernehmliche Abnicken von Personalien abseits der öffentlichen Wahrnehmung hat diesmal nicht funktioniert. Die Wahl wurde abgeblasen, da zu viele Angehörige der Unionsfraktion als der entscheidende Kartellpartner die Wahl einer der Kandidatinnen nicht mittragen wollten. Beide SPD-Kandidatinnen haben offenbar weniger ein rechts- als ein linksstaatliches Verständnis vom Sinn einer Verfassung und scheinen in dieser weniger einen Schutzmechanismus für das Individuum gegenüber der Macht des Staatsapparats zu sehen als ein Instrument zur letztgültigen Absegnung angeordneter Zwangsmaßnahmen: „Klimaschutz“, Verstaatlichung von Eigentum, Verbot einer großen Oppositionspartei, Zwangsimpfung – um einige Stichworte zu nennen, bei denen die Kandidatinnen mit für Verfassungsrechtler fragwürdigen Positionen öffentlich in die Kritik geraten sind. Kann man ein Amt als Verfassungsrichter ausüben, wenn man aufgrund früherer Positionierungen, als die Fragen noch gar nicht zur Entscheidung anstanden, als befangen gelten muss?
Aber natürlich, wenn man erst einmal gewählt ist. Das versteht man in „unserer Demokratie“ unter Unabhängigkeit.
Da erinnert man sich doch an den Dezember 2024 zurück, als die damalige rot-grün-gelbe Bundesregierung zusammen mit der Union das Grundgesetz änderte, um – so die offizielle Propagandaformel, unter der das stattfand – das Bundesverfassungsgericht vor politischer Einflussnahme zu schützen. Hat dies nun erstmals funktioniert, als die Wahl zweier polit-aktivistischen Juristinnen abgeblasen wurde? Natürlich nicht, da die Absetzung der Wahl nichts mit den Änderungen am Grundgesetz zu tun hat. Es wurden dort vor allem die bisherigen bundesgesetzlichen Regeln zur Organisation des Gremiums, wie die zwölfjährige Amtszeit der Richter, aufgenommen und sind nun schwerer zu ändern.
Wollte man in der SPD angesichts des fortlaufenden eigenen Bedeutungsverlusts rechtzeitig vor der Nachwahl ihrer Kandidaten hier vorbauen und die politische Einflussnahme langfristig sichern? Zumal in diesen Zeiten der Machtkampf härter und rücksichtsloser geführt wird als je zuvor in der Republik und es dazu das geeignete Personal in die Positionen zu bringen und zu halten gilt? In bewährter sozialistischer Taktik wirf man diese Absicht dem Gegner vor, während man selbst die Weichen für sich stellt. Da trifft es sich doch günstig, dass man mit der Änderung des Grundgesetzes zufällig noch eine Regelung mit in das Bundesgesetz aufgenommen hat, nach der bei Nichtwahl eines Kandidaten im zuständigen Wahlorgan – Bundestag oder Bundesrat – die Nachwahl durch das andere Verfassungsorgan wahrgenommen werden könne. Genau dies war unter anderem von der AfD bei der Verfassungsänderung kritisiert worden.
Die Fraktionsführungen waren sich einig bei der Wahl der SPD-Kandidatinnen, von denen im Vorfeld vor allem Frauke Brosius-Gersdorf mit ihren Positionen in die öffentliche Kritik geraten war; inhaltlich zu Unrecht, wenn auch zu diesem Zeitpunkt taktisch sinnvoll, hat man kaum über die andere Kandidatin Ann-Kathrin Kaufhold gesprochen, die nie zuvor als Richterin tätig war. Zu viele Unionsabgeordnete verweigerten den Gehorsam, was einer kleinen Sensation gleichkommt. Glücklicherweise musste man nicht die ideologischen Probleme als Grund für die Gehorsamsverweigerung ansprechen, sondern konnte sich auf die zeitlich optimal erhobenen Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Gersdorf zurückziehen. Nicht die AfD war also der das Kartell störende Faktor, aufgrund dessen möglicherweise noch auf das rechtzeitig installierte Ersatzwahlverfahren zurückgegriffen wird, sondern die Abgeordneten der Unionsfraktion. Wer hätte das gedacht?
Da dieser Mechanismus besteht, ist es auch unter den Koalitionären relativ friedlich. Zwar wird seitens der SPD formal ein gewisser Unmut geäußert, aber gleichzeitig mit Blick auf die Regierungsarbeit auch beschwichtigt. Die SPD steht zur Koalition und zur guten Zusammenarbeit auf Kosten der Regierten. Es wird wohl in den nächsten Wochen noch ein bisschen über das weitere Vorgehen diskutiert; ob Frau Brosius-Gersdorf für ein mögliches Ersatzwahlverfahren zur Verfügung steht oder nicht, ist vermutlich auch noch nicht gesichert und hängt von der medialen Aufnahme der nächsten Wochen ab. Mal sehen, wie gut das mediale Beschweigen eingehalten wird. Wird man sich im Bundestag nicht einig, weil die Unionsfraktion weiterhin nicht spuren sollte, lässt man die Wahl eben vom Bundesrat vollziehen, wo Landeskabinette aus Union und SPD entscheiden und unbotmäßige Abgeordnete nichts mitzureden haben. Die politische Einflussnahme auf das Bundesverfassungsgericht bleibt gesichert.
Quellen:
Bei Lanz: Brosius-Gersdorf disqualifiziert sich endgültig (Haintz Media)
Die Bedrohung im Schatten: Ann-Katrin Kaufholds Nominierung für das Verfassungsgericht (Haintz Media)
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