Niedergang: Ein neues Land für meine Kinder
Wie weit die Selbstzerstörung der deutschen sozialistischen Utopie fortgeschritten ist
von Oliver Gorus
von Oliver Gorus drucken
Letzte Woche hatten wir Besuch aus den Vereinigten Staaten von Amerika. Das Paar ist gebildet, gut situiert, kultiviert, hat vernünftige Ansichten und zwei verwöhnte Hunde. Sie ordnen sich selbst politisch den Demokraten zu, aber nicht den woken Neulinken, sondern den guten alten Dems von vor 20 oder 30 Jahren, also aus der Zeit, in der Demokraten und Republikaner miteinander heftig diskutieren konnten, nur um sich am Ende darauf zu einigen, nicht einer Meinung zu sein, und anschließend ein Bier miteinander zu trinken. Also etwa so wie in Deutschland vor 40 Jahren, als es noch einen zivilisatorischen Grundkonsens zwischen Links und Rechts gegeben hat.
Wir diskutierten über mehrere Tage. Meine Frau und ich interessierten uns für Informationen aus erster Hand über die Lage in den USA, und das amerikanische Paar interessierte sich für die gesellschaftlichen Details in Germany.
Internationale Einigkeit
Obwohl ich meine Ansichten näher bei den Libertarians und den Republicans als bei den Democrats sehe, gab es interessanterweise kaum eine Frage, in der wir weit auseinanderlagen. Wir waren uns zum Beispiel einig darin, dass wir sowohl die extremen Rechts- als auch die extremen Linkskollektivisten stark ablehnen, dass weitverbreiteter privater Waffenbesitz vollkommen in Ordnung und im Sinne der Freiheit vor staatlicher Herrschaft sogar notwendig ist, nur eben nicht jeder psychisch Kranke eine AR-15 haben sollte, dass die Grundordnung der Wirtschaft die Marktwirtschaft sein muss und der Staat nicht selbst als Wirtschaftsakteur auftreten darf, dass eine lokal oder kommunal organisierte Sozialhilfe gut, aber die Umverteilung eines Wohlfahrtsstaats schlecht ist, dass die Besten an die Spitze der Verwaltung gehören und nicht die Verdorbensten, dass niedrige Steuern und Abgaben besser sind als hohe Steuern und Abgaben, dass niemand zu einer Impfung gezwungen werden darf, dass Political Correctness, Wörterverbote und Genderismus lächerlich sind, dass die Korruption in der Wirtschaft genauso bekämpft werden muss wie die Korruption in der Politik, dass niemand über dem Gesetz steht, auch kein amerikanischer Präsident und kein Bundeskanzler, dass Einwanderung geregelt und legalisiert, illegale Einwanderung aber konsequent unterbunden werden muss und so weiter.
Einige Nuancen und Unterschiede gab es auch: Wir waren uns zwar einig darin, dass keine Klimakatastrophe stattfindet, aber die beiden glauben an die Geschichte vom menschengemachten Klimawandel durch Kohlendioxid-Emissionen, ich sehe da eher andere Faktoren im Spiel, auf die der Mensch keinen Einfluss hat. Bei der Abtreibung bin ich sicherlich konservativer und prinzipieller eingestellt. Und sie empfinden Steuern nicht als Raub oder organisierte Kriminalität, während ich mit jeder Art von Zwang und Gewalt meine Probleme habe.
Aber wir konnten auch alle Unterschiede unserer Positionen offen austauschen, ohne einander grundsätzlich abzusprechen, gute, wohlwollende, friedfertige, umgängliche Menschen zu sein.
Keine Ordnung für alle
Ich habe keinen Zweifel daran, dass es möglich wäre, mit solchen vernünftigen Leuten aus aller Herren Länder ein freiheitliches und stabiles Gesellschaftssystem aufzubauen. Gleichzeitig erzählten wir uns gegenseitig, wie wir in unseren beiden westlichen Ländern jeweils unter den Extremisten leiden, die den öffentlichen Diskurs bestimmen, wie gespalten unsere Gesellschaften sind und welche Schwierigkeiten das aufwirft, wie kaputt die Bildungssysteme sind, wie gering das Vertrauen in die Politiker und die Medienleute geworden ist, wie sehr sich der viel zu mächtige Staat in Privatsachen einmischt. An einer Stelle, als ich detailliert meine Probleme als Unternehmer mit der bürokratischen Überregulierung des Arbeitsmarkts beschrieb, rief der Amerikaner aus: „But that is communism!“ – ja, in der Tat!
Der größte Unterschied zwischen uns war: Die beiden glauben noch immer an das politische System der Vereinigten Staaten und daran, dass die vorhandenen gesellschaftlichen Probleme auf demokratischem Wege gelöst werden können. Ich dagegen glaube nicht mehr an die Selbstheilungskraft des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Ich habe zeit meines Lebens dabei zugesehen, wie die Politiker und die von ihr gestaltete Gesellschaft immer sozialistischer geworden sind. Und wie bei jedem sozialistischen Versuch der Geschichte steht am Ende die Zerstörung der Ordnung. Also die Selbstzerstörung der Utopie. Was durchaus eine Chance für Neues in sich birgt.
Über mehrere Tage hinweg unser Land, unsere Politik und unsere Gesellschaft in einer Fremdsprache zu schildern, zu erklären, zu analysieren, hat für mich noch mal einen Gesamtzusammenhang hergestellt und einen Ort auf der abschüssigen Rutschbahn des Niedergangs markiert: Es ist erschreckend, wie tief wir in Deutschland schon gesunken sind, wie verwahrlost dieses Land und wie eingeschränkt die individuelle Freiheit bereits sind.
Wie auch immer es weitergeht: Mein Wunsch wäre es, dass meine Kinder und Enkel mit solchen Leuten wie unseren amerikanischen Gästen in Freiheit in einem neuen Land zusammenleben könnten. Egal, wo dieses Land ist. Und das muss ganz bestimmt keine Ordnung für alle sein – im Gegenteil: Ich hätte nichts dagegen und fände es angemessen, wenn ein großer Teil der Menschen freiwillig in einem totalitären sozialistischen Superstaat lebte.
Das Wort „freiwillig“ ist dabei das entscheidende.
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.