21. Mai 2023

„Last Generation“ Klimakleben in China?

Nur auf Anordnung von ganz oben

von Stephan Unruh

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Bildquelle: Blue Planet Studio / Shutterstock Chinesische Jugend: Zwischen Arbeit und TikTok keine Zeit und kein Interesse für Klimaaktivismus

Mein erster spontaner Gedanke war freilich der, dass es nicht allzu lange friedlich bleiben würde und die Autofahrer noch lange vor dem Eintreffen der Polizei die Straße eigenhändig geräumt hätten – sicher ohne allzu große Rücksichtnahme auf die körperliche Unversehrtheit. Vielleicht würde der eine oder andere auch einfach mit Einsetzen der Grünphase losfahren und erst durch Rumpelgeräusche bemerken, dass er da gerade über irgendwas oder -wen gefahren ist (und vermutlich schulterzuckend weiterfahren, weil es jetzt ja eh zu spät zum Anhalten wäre).

Aber je länger ich über so ein Szenario nachdachte, desto mehr kam ich zu dem Schluss, dass es eigentlich völlig ausgeschlossen ist, dass junge Chinesen überhaupt auf einen derartigen Blödsinn kämen. Das beginnt schon damit, dass der durchschnittliche junge Chinese keinerlei Zeit für Aktivismus hat: Bis zum Gao Kao (das chinesische Pendant zum Abitur) ist der Tag komplett durchgetaktet und -geplant. Falls es neben Schule und Hausaufgaben überhaupt freie Zeit gibt, ist diese angefüllt mit Klavier- oder Geigenstunden, Extra-Mathematik- und/oder Fremdsprachenclubs, und auch Kaligraphie sowie Leibesertüchtigung stehen auf dem Programm. Planetenrettung jedoch definitiv nicht.

Während des Studiums – meist das erste Mal, dass Chinesen nicht mehr 100-prozentig unter elterlicher Aufsicht stehen – gibt es zwar plötzlich etwas mehr Freizeit, aber auch hier ist und bleibt der Konkurrenzdruck hoch. Die vorhandene Freizeit nutzt man eher zum Anstehen beim angesagtesten Bubble-Tea-Stand, zum Knabbern von Hühnerfüßen, während man völlig sinnbefreite TikTok-Videos konsumiert, oder gar für die ersten zarten Annährungsversuche an das andere Geschlecht – immerhin sollte man, zumal als Frau, bis spätestens 25 verheiratet sein. Das klappt zumeist auch recht gut, nicht zuletzt deshalb, weil es hier halt nach wie vor nur zwei Geschlechter gibt und sich so die zwischengeschlechtliche Verwirrung einigermaßen in Grenzen hält.

Aber auch sonst: Chinesen gehen ihren Mitmenschen eigentlich nur recht ungern auf die Nerven. Meine Nerven liegen zwar nach inzwischen einer Dekade in China nahezu blank, und geradezu täglich gehen sie mir auf den Geist, wenn sie mal wieder am Ende der Rolltreppe einfach stehen bleiben (gerne auch mitten im Ausgang), wenn sie jedes Talent zum Autofahren vermissen lassen, dem Ruf der Natur am nächsten Baum oder Strauch Folge leisten oder mir mal wieder vor die Füße rotzen beziehungsweise sich halt einfach wie normale Chinesen benehmen. Aber: Nichts davon passiert in der Absicht, den Mitmenschen zu belästigen oder durch derartige Handlungen gar zu irgendetwas zu nötigen. Es ist einfach so, dass Chinesen die Abermillionen anderer Menschen, die um sie herumwuseln, ausblenden können und deshalb eben einfach mal mitten im Ausgang stehen bleiben, um eine WeChat-Nachricht zu beantworten. Das andere Menschen unter Umständen auch den Ausgang benutzen wollen, fällt ihnen in dem Augenblick gar nicht ein, weil ein psychologischer Schutzmechanismus diese anderen Menschen ja ausblendet. Völlig unbekannte Menschen zu nötigen, damit sich eine dritte Partei zu einem bestimmten Verhalten bekennt, wäre schon sehr unchinesisch, und zudem würde den meisten Chinesen sofort auffallen, dass derartige Handlungen unlogisch sind – sie würden sich direkt an diese dritte Partei wenden. Die Klimakleber sollten sich also besser vor dem Kanzleramt festkleben, und die chinesische Version würde dann dazu vielleicht die Volkskongresshalle in Peking nutzen.

Und dann sind wir schon bei dem vermutlich zentralen Punkt, weshalb es niemals Klimakleber in China geben wird: Chinesen sind im Allgemeinen völlig unpolitisch. (Klar, andernfalls fährt die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) halt auch mal gerne und schnell Panzer auf.) Grundsätzlich herrscht hier die Vorstellung, dass man Politik den Profis überlassen sollte und dass diese Profis (also die KPCh) schon wissen, was das Beste für das Land ist. Und die Erfahrungen und Entwicklungen der letzten 40 Jahre geben den Chinesen da scheinbar recht (mein Einwände, dass die Entwicklung trotz und nicht wegen der KPCh so lief und dass China vermutlich das geilste Land der Welt sein könnte, wenn es die verfluchten Kommunisten nicht gäbe, werden jedes Mal komplett ignoriert).

Zwar gibt es hier schon auch Proteste (und nicht gerade wenige), aber dabei dreht es sich nicht um grundsätzliche politische Fragen, sondern meist ums Geld: Als beispielsweise vor zwei Jahren eine Reihe von Regionalbanken pleitegingen, standen in der Provinzhauptstand von Anhui, Hefei, plötzlich 500.000 Menschen auf der Straße und wollten ihr Geld wieder haben: Die Provinzregierung ließ erst Panzer auffahren (siehe oben), reagierte dann aber pragmatisch und ersetzte allen Sparern die Guthaben bis – nach meinem Wissen – 100.000 Renminbi (CNY). Damit hatte man 98 Prozent der Menschen von der Straße, und den verbliebenen zwei Prozent fehlten nun zum eine die Masse, um weitere Forderungen durchsetzen zu können, zum anderen waren es meist Multimillionäre, die die Millionen eh bald wieder verdienen würden … Aber keiner der Protestler forderte einen Rücktritt der Provinzregierung oder ein Umdenken in der Geldpolitik.

Überhaupt dürfte die Idee, durch öffentliche Aktionen Einfluss auf die Politik nehmen zu können, für die meisten Chinesen völlig absurd sein. Weshalb die Covid-Proteste Ende Dezember des vergangenen Jahres ein so unerhörtes Novum waren – aber das ist ein anderes Thema. Politik an sich ist kein öffentliches und auch kein privates Diskussionsthema in China, und deshalb gibt es hier keine Klimakleber und wird es auch nie welche geben.

Tatsächlich wären Klimakleber in China nur dann denkbar, wenn es staatlich vorgegeben würde. Wenn die Jugend täglich indoktriniert würde, wenn das Staatsfernsehen sie zum Handeln aufriefe und die versammelte Lehrerschaft täglich die mutigen Klimakleberkämpfer als mutige Vorbilder priese und Xi Jingping den Studenten öffentlich zuriefe: „Klebt euch fest!“ Das Entstehen einer solchen Gruppe müsste also gezielt von oben angestrebt werden. Ganz so wie der Psychopath und Massenmörder Mao das Entstehen der Roten Garden während der Kulturrevolution gezielt befeuerte und anstrebte.

Spätestens da fällt dann der Groschen: Denn das ist ja genau der Zustand in der BRD (und mit Abstrichen) im gesamten Westen – die Klimakleber sind tatsächlich keine tapferen Widerständler, die sich gegen die Gesellschaft und das System als solches stellen, sondern die Fußtruppen staatlicher Agitation. Von Politik, Medien, Polizei und Justiz protegiert und in ihrem Handeln von weiten Teilen der Öffentlichkeit bestärkt, ist die „Letzte Generation“ (und andere Vorfeldorganisationen des grünen Milieus) das Pendant zu den Roten Garden der chinesischen Kulturrevolution. Maos Rote Garden brachten die Volksrepublik an den Rand eines Bürgerkriegs und den „Großen Steuermann“ selbst zurück an die Macht.

Ähnliches haben die Steuermänner der „Letzten Generation“ vermutlich auch im Sinn.


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