Waffenrecht in den USA: Rote Flagge für die Verfassung
Nicht jedes Verbrechen kann verhindert werden
Seit vergangener Woche gibt es in 20 US-Bundesstaaten sogenannte „Red Flag Laws”. Diese sollen laut ihren Befürwortern Verbrechen verhindern, bevor sie begangen werden. Das jüngste „Rote-Flagge-Gesetz“ in Michigan sieht vor, dass Familienmitglieder, Psychiater, Polizisten, aber auch Dating-Partner oder geschiedene Ehepartner Personen melden können, die sie für eine Gefahr für sich und andere halten. Die denunzierte Person muss dann vor Gericht beweisen, dass sie keine solche Gefahr darstellt, andernfalls werden ihre Waffen dauerhaft eingezogen.
Dass ein solches Gesetz inklusive einer rechtsstaatlichen Grundsätzen Hohn sprechenden Beweislastumkehr der Willkür Tür und Tor öffnet, ist offensichtlich. Dass die Befürchtungen jener, die in „Red Flag Laws“ ein Einfallstor sehen, den Zweiten Verfassungszusatz zu unterminieren und in Ermangelung anderer rechtlicher Möglichkeiten US-Bürgern ihr Recht, eine Waffe zu besitzen, durch die Hintertür streitig machen, nicht weit hergeholt sind, zeigt ein Blick nach New York.
Als das „Red Flag Law“ im Empire State 2019 in Kraft trat, wurde Skeptikern noch versichert, dass es hier nur um besonders gefährliche Einzelfälle gehe. 245-mal wurden in jenem Jahr Waffen konfisziert. 2022 stieg diese Zahl auf 4.257. Bis Mitte Mai des aktuellen Jahres verzeichnet die Statistik bereits 2.743 solcher Fälle. Hintergrund: Der Oberste Gerichtshof erklärte im vergangenen Jahr New Yorks restriktive Waffengesetze für unvereinbar mit der US-Verfassung. Mit Red Flag Laws gegen die vom Obersten Gericht angeordnete Liberalisierung – viele Demokraten-Politiker in New York machen aus dieser Absicht noch nicht einmal einen Hehl. Doch als Payton S. Gendron im vergangenen Jahr in Buffalo zehn Menschen in einem Einkaufszentrum erschoss, erwies sich das Gesetz als ziemlich zahnlos. Auch im Fall des Fedex-Schützen von Indianapolis 2021, Brandon Scott Hole, sah offenbar kein Angehöriger im Vorfeld eine rote Flagge, obwohl die Gesetze im Bundesstaat Indiana die Möglichkeit dazu geboten hätten.
„Red Flag Laws“ verstoßen gegen gleich mehrere Zusätze zur US-Verfassung. Gegen das Zweite Amendment natürlich, aber auch gegen das Vierte, das Fünfte und das 14. Amendment. Der Versuch, auf diese Art und Weise ein Verbrechen zu verhindern, bevor es begangen wird, trägt autoritäre Züge.
Ich habe große Sympathie für Menschen, die nach Schulmassakern oder anderen Amokläufen emotional mitgenommen sind und sich darüber Gedanken machen, wie solche Verbrechen in Zukunft verhindert werden können. Der sicher schlechteste Weg, Gewalt zu verhindern, ist jedoch, staatlicher Gewalt gegen unbescholtene Bürger das Wort zu reden. Und ja, selbstverständlich geht es, wenn man es bis zum Ende denkt, um Gewalt. Denn was, wenn der auf Basis eines Red Flag Law Denunzierte nicht bereitwillig seine Waffen der Polizei aushändigt? Spätestens seit Ruby Ridge sollte das jeder verstanden haben. So weit muss man allerdings gar nicht gehen. Oft dringen amerikanische Polizisten, gerade wenn es um den Entzug von Schusswaffen geht, auch ohne anzuklopfen ein. Dabei gibt es nicht selten Tote. Gesetze, die Todesopfer verhindern sollen, führen so erst zu Toten.
Und wer allen Ernstes fordert, dass Psychiater Patienten an die Polizei melden sollen, die daraufhin deren Waffen einzieht, der stellt damit nur eines sicher: dass es sich Waffenbesitzer mit psychischen Problemen in Zukunft zweimal überlegen werden, ob sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Warum Expartner hier wenig glaubwürdige Informanten sind, bedarf keiner weiteren Erklärung.
Der Kongressabgeordnete aus Texas, Dan Crenshaw, brachte die Problematik auf den Punkt: „Mit einem Rote-Flagge-Gesetz versucht man quasi das Gesetz durchzusetzen, bevor es gebrochen wurde. Und das ist eine problematische Sache, es ist schwierig zu bewerten, wer eine Bedrohung darstellt.“
Auch das Argument, es gehe vor allem um Personen, die bereits durch Gewalt oder Gewaltandrohung aufgefallen seien, lässt Crenshaw nicht gelten. „Wenn eine Person jemand mit einer Waffe bedroht hat, dann hat sie bereits das Gesetz gebrochen. Warum also ein weiteres Gesetz?“ Zumal verurteilte Straftäter ja bereits nach jetziger Rechtslage keine Schusswaffen besitzen dürfen. Eine Regelung, die man in ihrer Pauschalität übrigens auch kritisieren kann.
Einer der wenigen republikanisch regierten Staaten mit einem Rote-Flagge-Gesetz ist übrigens Florida. Als das Gesetz 2018 beschlossen wurde, gehörte der heutige Gouverneur und republikanische Präsidentschaftskandidat Ron DeSantis noch zu den lautstärksten Kritikern. Doch Anstrengungen, in puncto Waffenbesitz zu den Grundsätzen der US-Verfassung zurückzukehren, machte DeSantis in seinen nun über vier Jahren als Gouverneur nicht. Darüber kann auch das von ihm jüngst unterzeichnete „Constitutional Carry“-Gesetz nicht hinwegtäuschen, durch das das Waffentragen im Sunshine Staat nicht mehr an eine staatliche Erlaubnis geknüpft ist. Dass das „Rote-Flagge-Gesetz” in Florida vor allem von Demokraten wie Senator Chris Murphy aus Connecticut in höchsten Tönen gelobt wird, sollte jedem Konservativen zu denken geben.
Es ist ein Irrglaube, dass Amokläufe im Einzelfall verhindert werden können, und ein noch schlimmerer und folgenschwererer Irrglaube ist, dass der Staat mit seinem Gewaltapparat solche Verbrechen verhindern kann. Damit aufzuhören, Schulen und andere öffentliche Gebäude zu sogenannten waffenfreien Zonen zu erklären, wäre sicher ein erster Schritt in Richtung Prävention. 98 Prozent aller Amokläufe passieren in diesen „gun free zones“, in denen Attentäter leichtes Spiel haben.
Ein weiterer Schritt wäre, Lehrern nicht nur das Waffentragen zu erlauben, sondern sie auch im Umgang mit Schusswaffen auszubilden. So abgedroschen das Motto der Waffenlobbyorganisation NRA klingen mag, so wahr ist es bis heute: Nur ein guter Kerl mit einer Waffe, kann einen bösen Kerl mit einer Waffe stoppen. Die Beispiele hierfür sind zahlreich. Laut einem Bericht des Crime Prevention Research Center wurden von den 204 Amokläufen zwischen 2014 und 2021 in Gebieten, wo Bürgern das Tragen von Waffen erlaubt war, 104, und damit mehr als die Hälfte, von einem „good guy with a gun“ gestoppt. Wer bei der Bekämpfung von Schusswaffengewalt übrigens nur an durchgeknallte Amokläufer denkt, verkennt die Realitäten. 1.100 Menschen wurden im vergangenen Jahr in den Vereinigten Staaten durch Polizisten umgebracht. Wer Psychopathen entwaffnen und dabei seine Glaubwürdigkeit nicht verlieren will, darf Polizisten hier nicht von vornherein ausnehmen.
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