03. Juni 2023

Patriotismus-Debatte Eigene Identität statt Volkskollektiv

Nationalstolz ist immer unangebracht

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: 360b / Shutterstock WM-„Sommermärchen“ im Jahr 2006: Auf einmal wurden wieder zahlreiche Deutschland-Fähnchen geschwenkt …

„Ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau“, sagte einst der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann. Es ist eines von wenigen Politikerzitaten, dem ich vorbehaltlos zustimmen kann. Menschen, die sich selbst als Patrioten bezeichnen, habe ich oft als einfältig und leicht manipulierbar kennengelernt. Auf gerade diese Klientel schielt die CDU mit ihrem jüngsten Vorstoß für mehr institutionalisierte Vaterlandsliebe. Mehr Flagge, mehr Hymne, mehr Grundgesetz, das soll laut Philipp Amthor auch zur besseren Integration von Ausländern führen. Glaubwürdig ist es sicher nicht, nun feierlich das Grundgesetz hochzuhalten, das man nicht erst in den vergangenen drei Jahren mit Füßen getreten hat.

Patriotismus hat es in Deutschland aus nachvollziehbaren Gründen heute schwerer als in anderen europäischen Ländern. Nicht nur aufgrund der alles in allem doch recht unrühmlichen Geschichte dieses knapp über 150 Jahre alten Kolosses im Herzen Europas. Und ein Volk sind die Deutschen eben auch nicht, sondern eher ein zusammengewürfelter Haufen verschiedener deutschsprachiger Völker, deren Eigenstaatlichkeit dem preußischen Großmachtstreben Platz machen musste, was wiederum den Boden für die großen Katastrophen des 20 Jahrhunderts bereitet hat.

Warum sollte sich ein heimatverbundener Bayer mit schwarz-rot-goldener Fahne und „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland“ identifizieren? Noch vor 200 Jahren hätten sich die allerwenigsten Menschen etwa im ländlichen Oberbayern als Deutsche bezeichnet. Es ist eine Kunstidentität, die den Menschen von der Nordseeküste bis zum Alpenland übergestülpt wurde, die viele allzu bereitwillig annahmen, die nur zu gerne dem Blödsinn von der „verspäteten Nation” geglaubt haben.

Denn entgegen der für mich rein akademischen Unterscheidung zwischen einem guten Patriotismus und einem bösen Nationalismus richtet sich „Nationalstolz“, vor allem in Deutschland, wo die ethnische Komponente einfach nicht totzukriegen ist – immer am Ende gegen andere. Da hat die Linken-Vorsitzende Janine Wissler durchaus recht, wenn sie sagt: „Gesunder Patriotismus klingt für mich ein bisschen wie gutartiger Tumor.“ Ich werde nie einen Vorfall aus Erlangen vergessen, wo ich damals studiert habe, als Deutschland im Halbfinale – ich denke, es war die Fußball-Europameisterschaft 2008 – die Türkei besiegte. Deutschland-Fans in voller schwarz-rot-gelber Montur gingen damals von einem türkischen Restaurant zum anderen und skandierten: „Ihr seid nur ein Dönerlieferant.“ Und dabei handelt es sich „nur“ um die gerne als Party-Patriotismus verharmloste Gestalt des deutschen Nationalismus. Nicht im viel gescholtenen Osten, sondern in der Siemensstadt Erlangen mit schon damals vergleichsweise hohem Ausländeranteil.

Patriotismus macht auch blind für die Schandtaten des eigenen Landes. Das fällt selbst beim eher offenen Patriotismus in den USA auf, bei dem, anders als in Europa, Herkunft und Ethnie keine Rolle spielen. Ich muss zugeben, dass ich für amerikanischen Verfassungspatriotismus grundsätzlich mehr Verständnis aufbringen kann als für den bestenfalls inhaltsleeren, schlimmstenfalls aggressiven Patriotismus hierzulande. Und doch ist eben auch amerikanischer Patriotismus nicht zu denken ohne unkritische Verehrung des Militärs, Verharmlosung von Angriffskriegen und einen naiven Glauben an staatliche Gesetze und einen aggressiven Polizeiapparat. 

In meinem Zimmer hängt keine Deutschland-, noch nicht mal eine Bayernfahne. Lediglich die Fahne Oberfrankens ziert dort die Wand. Es ist meine Heimatregion, mit der ich mich teilweise verbunden fühle, ohne freilich meine Identität als Individuum an diesen Landstrich zu koppeln. Bis ich Mitte 20 war, habe ich den Main nur für einen Urlaub im Frankenwald überquert. Ich habe über 20 verschiedene europäische Länder bereist, dazu die Karibik und den Nahen Osten, bevor ich zum ersten Mal nach Berlin kam. Welchen Bezug sollte ich zu Deutschland haben, ein viel zu groß geratenes Land, von dem ich weite Teile bis heute noch nie gesehen habe und von dem ich glaube, dass es die Alliierten 1945 besser in seine ursprünglichen Bestandteile hätten zerlegen sollen? Das hindert deutsche Nationalisten nicht daran, mich und meine Identität immer wieder zwangseingemeinden zu wollen: „Du bist Deutscher durch Geburt, ob du das willst oder nicht“, habe ich in mehr als nur einer Facebook- und Twitter-Debatte vom schwarz-rot-goldenen Narrensaum um die Ohren geworfen bekommen. Danke, aber wer ich bin und wem oder was ich mich zugehörig fühle, ist eine Entscheidung, die ich gerne selbst treffe. Ich bin Passdeutscher, sonst nichts.

Selbst für meine Heimatregion Oberfranken gilt: Nur weil ich hier von Geburt an gelebt habe und meine Vorfahren von hier stammen, kann ich deswegen keine besonderen Rechte auf dieses Gebiet ableiten. Das einzige Land, das einem Menschen gehört, ist das Stück Land, das er privat besitzt, ungeachtet seiner Herkunft. Stolz kann man nach meinem Dafürhalten am Ende immer nur für das empfinden, was man selbst geschaffen hat und sein Eigen nennen kann, sicher nicht für ein Land, in das man zufällig hineingeboren wurde und das zunächst mal niemandem gehört. Warum selbst ansonsten freiheitlich denkende Menschen einen Teil ihrer Identität in einer solchen „Volksgemeinschaft“ aufgehen lassen wollen, ist mir nie klar geworden. Ich jedenfalls fühle mich einem jeden freiheitsliebenden Afrikaner mehr verbunden als einem staatshörigen deutschen Patrioten.


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