Weltgeschichte: Der große Plan
… oder einfach nur viele Zufälle?
von Stephan Unruh
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In seiner Drei-Groschen-Oper ließ der Kommunist Bertolt Brecht einen der Protagonisten, den Bettlerkönig Jonathan Jeremiah Peachum, „Das Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens“ singen:
„Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch ’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.“
So heißt es da in der zweiten Strophe und Peachum beziehungsweise Brecht treffen damit einen wesentlichen Kern des menschlichen Daseins. Wir planen viel, aber am Ende entwickelt sich alles ganz anders. Wer ein Unternehmen führt, kennt dies nur zu gut – was aber nicht bedeutet, die ganze Planerei von Anfang an sein zu lassen, sondern nicht so naiv zu sein und zu erwarten, dass man am Ende exakt dort landet, wo man ursprünglich hinwollte, und dies genau auf dem Weg, den man anvisiert hatte.
Wer es christlich-philosophisch-intellektueller mag und es im Allgemeinen vielleicht auch mit kriminellen Bettlern und linken Dichtern nicht so hat, dem seien die Gedanken des großen französischen Philosophen und Mathematiker Blaise Pascal ans Herz gelegt – genau, das ist der mit der Wette! Ungleich poetischer als Peachum schrieb er in seinen „Pensées“: „Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähle ihm von deinen Plänen.“ Der große Lenker im Himmel (so man denn an ihn glauben mag, aber das erschließt sich ja logisch durch Pascals Wette) hat eben andere Pläne und da müssen die unsrigen zurückstehen.
Last, but not least sei auf den liberalen Denker und Publizisten Robert Nef verwiesen, der das grundsätzliche Scheitern aller großen Pläne in jenes wunderbare Bonmot goss, das heutzutage zumeist Albert Einstein zugeschrieben wird: „Planen heißt, den Zufall durch den Irrtum zu ersetzen.“
Auch er trifft den Nagel auf den Kopf. Die Weltgeschichte ist voller Zufälle, kurioser Wendungen und Ähnlichem. Stellen Sie sich nur einmal vor, die russische Zarin Elisabeth hätte ein Jahr länger gelebt: Das Mirakel des Hauses Brandenburg wäre ausgeblieben, Preußen hätte den Siebenjährigen Krieg mit Pauken und Trompeten verloren und wäre vermutlich wieder auf die Größe einer weltpolitisch unbedeutenden Regionalmacht zurückgestutzt worden. Die folgenden 250 Jahre wären insbesondere im deutschen Kulturraum völlig anders verlaufen – vielleicht hätte es sogar niemals einen deutschen Nationalstaat gegeben, einen Ersten und Zweiten Weltkrieg vermutlich ebenfalls nicht. Oder wenn Friedrich I., besser bekannt als Barbarossa, nur ein etwas fähigerer Schwimmer gewesen wäre, hätte er mit seinem Kreuzzug Jerusalem vermutlich erneut von den Mohammedanern befreit, anstatt irgendwo in Südostanatolien jämmerlich zu ertrinken. Auch in diesem Fall hätte die Geschichte zweifelsohne eine andere Abbiegung genommen. Oder der berühmte Fall des Krösus, dem das Orakel zu Delphi verkündete, wenn er den Halys überschreite, werde er ein großes Reich zerstören – sofort macht er sich an die Planungen, das Perserreich zu zerstören. Aber er irrte sich hinsichtlich der Auslegung des Orakelspruchs und zerstörte am Ende sein eigenes …
Ich könnte nun seitenlang so weitermachen. Dabei will ich noch gar nicht einmal negieren, dass es jede Menge Gruppierungen gibt, die sinistre Pläne (oder vielleicht auch vermeintlich gute und freundliche Pläne) verfolgen … aber dass sie mit diesen Plänen langfristig erfolgreich sind, wage ich zu bezweifeln, und dass diese Gruppen in der Lage wären, über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte diese Pläne zu verfolgen oder überhaupt als Gruppe zusammenzustehen, bestreite ich entschieden.
Zu schnell ändert sich der Zeitgeist, zu viel hängt am Zufall, und eine kleine Fehlstellung hier, eine Missinterpretation dort und schon bricht alles zusammen. Denken Sie beispielsweise nur an den Vietnamkrieg: Mittels einer False Flag Operation (Zwischenfall im Golf von Tonkin) schoben bestimmte Interessensgruppen die USA in den Krieg. Zweifelsohne eine Verschwörung gewisser Gruppen (gegen Vietnam, gegen die US-Verfassung, gegen die von den USA in Nürnberg generierte Werteordnung, Stichworte Angriffskrieg, Verbrechen gegen die Menschheit und so weiter), und für die Planer im Pentagon war die Sache klar: eine Supermacht gegen ein paar Hinterwälder, Schweinehirten und Reisbauern, da kann nichts schiefgehen – und dann?
Zehn Jahre und rund 60.000 tote US-Soldaten später musste die Supermacht gedemütigt aufgeben und aus dem Land fliehen. Ein nationales Trauma war für Jahrzehnte generiert, das Vertrauen in die Grundfesten der USA erschüttert – national wie international (Stichwort Schließung des Goldfensters) –, und wäre die andere damalige Supermacht nicht ein paar Jahre später dem Verlangen erlegen, den imperialistischen Kapitalisten zu zeigen, wie man es gegen ein paar Hinterwälder, Opiumbauern und Ziegenhirten richtig anstellt und in Afghanistan einmarschiert, hätte das Vietnamtrauma noch deutlich länger und stärker in den USA gewirkt, als es das ohnehin tat. Die US-Regierung hatte 1964 mit Kriegseintritt sicherlich anderes im Sinn gehabt. Ebenso die hinter der US-Regierung stehenden Gruppierungen. Selbst wenn man berechtigterweise einwenden mag, dass der militärisch-industrielle Komplex seinen Schnitt sicher gemacht hat, war das Ganze doch ein Debakel sondergleichen und für die Machtposition der USA alles andere als lohnend.
Gelernt hatten die Planer übrigens nur für kurze Zeit etwas. Im ersten Irakkrieg setzte man die Lehren aus dem Vietnamkrieg noch um, im zweiten schon nicht mehr. Es ist eben wie immer in der Geschichte. Neues Personal, beispielsweise ein neuer Staatssekretär, Außenminister und so weiter, plant neu und will seine eigenen Ideen durchsetzen, und schon geht das Spiel von Neuem, nur vielleicht in eine andere Richtung, los. Das ist übrigens unabhängig von der Staatsform so – auch in Monarchien oder Diktaturen geben immer Menschen den Takt vor. Ein neuer Diktator, ein neuer geheimer Rat oder vielleicht auch eine neue Mätresse, und plötzlich ändert sich die Marschrichtung.
Im Augenblick lässt sich dies sehr schön in China beobachten: Hu Jintao war ein Technokrat und dem Reformprozess von Jiang Zemin verpflichtet. Gemeinsam mit Jiang baute er Xi Jinping als Nachfolger auf. Aber dann entpuppte sich der neue starke Mann als Bauerntrampel, der jenseits der Maobibel wenig beherrscht, noch nicht einmal die eigene Muttersprache, dafür aber über einen Machtinstinkt wie Mao Zedong persönlich verfügt, und plötzlich wird der alte Förderer und Vorgänger Hu mitten auf dem Parteitag ins Altersheim abgeführt und die Uhren im Reich der Mitte beginnen wieder rückwärtszulaufen.
Ähnlich verhält es sich eigentlich immer. Covid, das ich hier oft genug als „Plandemie“ bezeichnet habe, stammt wohl sehr sicher aus dem Labor, und ob es dort durch einen Unfall (angesichts des chinesischen Umgangs mit Hygieneregeln halte ich das für einigermaßen wahrscheinlich) oder gezielt freigelassen wurde, ist dabei eigentlich nebensächlich. Jede Regierung hat relativ bald die Chancen erkannt, die eine „globale Pandemie“ bot. China beispielsweise konnte nur dank des Virus Hongkong befrieden und fast drei Jahre lang das absurdeste Test- und Kontrollregime durchsetzen … und dann gab es plötzlich die ersten echten politischen Proteste in der Volksrepublik gegen das kommunistische Mörderregime seit 1989. Fast schon panisch legte Xi eine 180-Grad-Wende hin – denn damit hatte er sicher nicht gerechnet. Mit Schwabs Great Reset, dem Transhumanismus oder dem allgemeinen und breiten Einsatz von KI wird es am Ende ähnlich laufen.
Aber warum glauben auch und gerade jene, die es eigentlich besser wissen müssten, an den großen Plan? Zum einen vermutlich, weil all die Irrungen, Wirrungen und Zufälle im geschichtlichen Ablauf im Nachhinein so wirken, als seien sie unausweichlich gewesen – eben wie geplant. Zum anderen aber ist es vielleicht für den kleinen menschlichen Geist auch wichtig, an etwas zu Größeres als sich selbst zu glauben. Ob das dann Gott, Buddha oder eben der eine große Plan ist, erscheint erst einmal egal, vielleicht kommen wir uns selbst einfach nicht mehr ganz so verloren vor, wenn wir an eine unsichtbare Hand glauben (hat tip to Mr. Smith), die das ganze Chaos steuert …
Last, but not least ist es aber leider auch so, dass Erkenntnis allein nicht vor Irrtum schützt, wofür der eingangs erwähnte Bert Brecht als bestes Beispiel dienen mag. Die menschlichen Pläne klappten nicht, schrieb er, und doch war er Kommunist. Dabei ist der Plan, sei es in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder auch historischer Hinsicht, das zentrale Element der Marx’schen Mordideologie. Wenn er aber ständig scheitert, muss auch der Kommunismus ständig scheitern und kann somit sein Kernversprechen – das Leben aller Menschen zu verbessern – nicht einlösen. Mit einer solchen Erkenntnis kann man eigentlich kein Kommunist mehr sein, und doch war Brecht bis zum Lebensende ein solcher. Der Mensch ist in seinem Geist eben widersprüchlich und keinesfalls so konsistent, wie wir uns das gerne einreden – und auch Libertäre sind nicht davor gefeit.
Brechts Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens
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