Formel-1-Kontroverse: Rassismus ist eine Meinung
Nelson Piquet, Lewis Hamilton und ein teures Urteil
Sein Einspruch scheiterte und nun scheint es offiziell: Umgerechnet rund 884.000 Euro kostet den früheren Formel-1-Fahrer Nelson Piquet eine politisch wenig korrekte Äußerung über Lewis Hamilton. Der dreifache Weltmeister aus Brasilien hatte den siebenfachen Weltmeister aus Großbritannien bereits 2021 mit dem Wort „Neguinho” betitelt. Hintergrund war das Manöver Hamiltons in der zweiten Runde des Großen Preises von Großbritannien in Silverstone im selben Jahr, als er den Red Bull von Max Verstappen nach Ansicht vieler von der Strecke räumte und in die Streckenbegrenzung beförderte. Verstappen musste nach dem heftigen Einschlag mehrere Stunden im Krankenhaus verbringen. Meiner Meinung nach handelte es sich um einen normalen Rennunfall, wie er gerade in der Anfangsphase eines Grand Prix nun mal vorkommt, aber das soll hier nichts zur Sache tun. „Kleiner schwarzer Mann“, so könnte man „Neguinho” vielleicht übersetzen. Um ein offensichtlich rassistisches Wort handelt es sich laut meinen portugiesischsprachigen Quellen nicht – ein Begriff, mit dem im Übrigen auch Weiße gerne einmal bezeichnet werden. Dennoch ist es wohl keine sehr höfliche Art zu reden. Auch der Homophobie-Vorwurf stand wegen einer anderen Äußerung über Hamilton im Raum.
Piquet hatte sich nach Bekanntwerden der Äußerungen „von ganzem Herzen“ bei Lewis Hamilton entschuldigt und nannte seine Wortmeldung „schlecht durchdacht“. Er wolle klarstellen, „dass es sich bei dem verwendeten Begriff um einen Begriff handelt, der im brasilianischen Portugiesisch umgangssprachlich als Synonym für ‚Kerl‘ oder ‚Person‘ weitverbreitet und historisch gewachsen ist und dass er niemals beleidigend gemeint war“. Besonders brisant: Piquets Tochter Kelly ist die Lebensgefährtin des derzeit in der Weltmeisterschaft führenden Titelverteidigers Max Verstappen, der Piquet daraufhin auch in Schutz nahm. Piquet sei kein Rassist, betonte der Red-Bull-Pilot.
Viele Medien konzentrierten sich nach Beginn der Kontroverse um Piquet vor allem auf das Wort „Neguinho“. Doch gilt es hier zwei Kategorien auseinanderzuhalten. Die Bewertung der Äußerung oder von Piquet als Menschen auf der einen und die Strafverfolgung auf der anderen. Was die menschliche Bewertung angeht, spielt es in der Tat keine unwichtige Rolle, was Piquet gesagt und wie er es gemeint hat. Hat sich Piquet rassistisch geäußert? Diese Frage zu stellen, ist legitim, und je nachdem, wie man seine Aussagen interpretiert, kann man hier möglicherweise zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Sicher verständlich war dann auch noch die unmittelbare Reaktion Hamiltons, der Piquet eine „archaische Denkweise“ unterstellte, die „keinen Platz in unserem Sport“ habe. Auch Piquets darauffolgende Sperre für das Formel-1-Paddock, so übertrieben diese auch erscheinen mag, fällt in diese Kategorie.
Dass die Formel 1 mittlerweile ein Club von politisch korrekten Duckmäusern und Feiglingen ist, hätte Piquet wissen können. Der Brasilianer bediente sich jedoch auch schon in seiner aktiven Zeit einer ziemlich derben Sprache. Dabei lederte er gegen alles und jeden, besonders gegen seinen damaligen Teamkollegen Nigel Mansell, den er mehrfach als „Arschloch“ und „Idioten“ bezeichnete. „Wenn meine Frau so hässlich wäre wie die von Mansell, würde ich jeden Tag einen Grand Prix fahren, um nicht daheim sein zu müssen“, sagte er einmal. Den vierfachen Weltmeister Alain Prost nannte er „einen Holzfäller, der in das Haus seiner Freunde geht und ihnen die Frau stiehlt. Nur so kann er etwas erreichen, weil er sehr hässlich ist.“ Mir scheint: Piquet beleidigt einfach nur gerne andere Menschen, völlig unabhängig von deren Hautfarbe.
Ein absoluter Skandal hingegen ist die Verurteilung in Brasilien. Um diese zu bewerten, braucht man keine Kenntnisse der portugiesischen Sprache und man muss sich nicht um eine kulturelle Einordnung des Wortes „Neguinho“ bemühen. Was Piquet über Hamilton gesagt hat, spielt keine Rolle. In sozialen Netzwerken war die „Rassismus ist keine Meinung“-Fraktion schnell dabei, die Strafe zu bejubeln. Dabei ist Rassismus, der sich nur in Worten und abfälligen Bemerkungen äußert, genau das: eine Meinung. In den USA wäre es undenkbar, dass Piquet für eine solche Aussage verurteilt worden wäre. Der Verweis auf den Ersten Verfassungszusatz hätte wohl ausgereicht, zu verhindern, dass es überhaupt zu einer Anklage kommt. Es sagt viel über einen Staat aus, in dem die freie Rede vor Gericht endet.
Und es sagt viel über einen Menschen aus, der einer solchen staatlichen Verfolgung auch noch das Wort redet. Und spätestens hier endet all mein Verständnis für Lewis Hamilton, ganz egal, welch traumatische Rassismus-Erfahrungen er nach eigener Aussage in seiner Jugend durchmachen musste. „Ich möchte der brasilianischen Regierung meine Anerkennung aussprechen“, kommentierte Hamilton die Verurteilung. „Ich finde es ziemlich erstaunlich, was sie getan hat, indem sie jemanden zur Rechenschaft gezogen und den Menschen gezeigt hat, dass Rassismus und Homophobie nicht toleriert werden und in unserer Gesellschaft keinen Platz haben“, sagte er. „Ich finde es toll, dass sie gezeigt hat, dass sie für etwas steht. Ich wünschte, mehr Regierungen würden das tun.“
Wie der siebenfache Champion in den vergangenen Jahren den Sport politisch instrumentalisiert hat, ist mir immer sauer aufgestoßen, ganz egal, ob es dabei um seine unkritische Unterstützung für Black Lives Matter oder seinen heuchlerischen Klima-Aktivismus ging. Zuletzt hatte er im Vorfeld des Großen Preises von Miami in diesem Jahr die Situation von Schwulen und Lesben in Saudi-Arabien indirekt mit jener der LGBTQ-Community in Florida unter Gouverneur Ron DeSantis verglichen. Über solche offensichtlich dummen Aussagen kann man die Stirn runzeln. Aber einem Kritiker die Staatsmacht an den Hals zu wünschen und sich auch noch in dessen Schaden zu suhlen, ist schon noch mal ein anderes Paar Schuhe und zeugt von einem extrem schlechten Charakter. Die Chance, Größe und Souveränität zu zeigen, hat Hamilton einmal mehr verstreichen lassen. Die Verteidigung der freien Rede ist auch und gerade dann angebracht, wenn die eigenen Befindlichkeiten verletzt werden.
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