Erkenntnistheoretische Kriegsführung: „Wenn’s der Zensor merkt, ist es schon schlecht“
Karl Kraus
von Andreas Tiedtke (Pausiert)
von Andreas Tiedtke (Pausiert) drucken
Kennen Sie Karl Kraus (1874–1936)? Er war zu seiner Zeit in Wien einer der bedeutendsten Publizisten, Satiriker und Aphoristiker und ein bekannter Kritiker Sigmund Freuds (1856–1939). In einem Interview eines deutschen Entertainers ließ dieser ein angebliches Karl Kraus-Zitat fallen, dessen Originalität ich leider bei meiner Recherche nicht verifizieren konnte, aber inhaltlich passt es wie die Faust aufs Auge zu Karl Kraus: „Wenn’s der Zensor merkt, ist es schon schlecht.“
Nicht erst in der Zeit, in der Zwangsmaßnahmen mit Corona begründet wurden, aber besonders in dieser wurden „Cancel Culture“, „Shadow-banning“, „Fakten-Checking“, „Kontakt-Shaming“ und so weiter als Methoden angewandt, um unliebsame Inhalte zu unterdrücken oder zu löschen. Und in den Medien lesen wir hin und wieder Berichte darüber, dass noch strengere Zensur- beziehungsweise Überwachungsvorschriften geplant wären, insbesondere auch, um sicherzustellen, dass auf Elon Musks Twitter-Kanal Beiträge, die im Widerspruch zu „offiziellen Narrativen“ stehen, von Fakten-Checkern nicht un-eingeordnet oder un-unterdrückt bleiben.
„Zwischen den Zeilen“ schreiben
Ludwig von Mises (1881–1973) meinte einst sinngemäß, in der Zeit, in der die Monarchie in Deutschland und Österreich bereits den Rückhalt im Denken vieler Menschen verloren hatte, hätte es zwar noch Zensur gegeben, aber die Menschen hätten längst gelernt gehabt, „zwischen den Zeilen“ zu schreiben und zu lesen.
Anti-Aufklärung und erkenntnistheoretische Kriegsführung
Im aktuellen anti-aufklärerischen Zeitgeist, wie man es nennen könnte, scheinen solcherlei Fähigkeiten wieder wichtiger zu werden. Wieso anti-aufklärerisch? Weil die „offiziellen Narrative“ es als überflüssig oder gar undurchführbar darstellen, sich „des eigenen Verstandes zu bedienen“, wie Immanuel Kant (1724–1804) sich ausdrückte. „Folgen Sie der Wissenschaft!“, „Hören Sie auf die Experten!“ und „Vertrauen Sie offiziellen Quellen!“ sind in diesem Sinne anti-aufklärerische Aussagen. Der Einzelne sei sozusagen gar nicht fähig, das „offizielle Narrativ“ mit seinem Verstand zu überprüfen; er sei ja schließlich kein Experte. Das Medium, der „Mittler“, ist zwar ein anderes als noch beim Orakel von Delphi oder dem Papsttum des ausgehenden Mittelalters, aber den Begriff „Medien“ für die „Wahrheitsvermittler“ verwenden wir ja immer noch.
Im Prinzip handelt es sich bei den Zensur-Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Wahrheitsanspruch „der Wissenschaft“ oder der „offiziellen Quellen“ um eine erkenntnistheoretische Kriegsführung gegen das eigene Denken und Urteilen, um einen Rückschritt in vor-aufklärerische Zeiten. Dabei können wir mit unserem eigenen Verstand leicht erkennen, dass die Experten bei der Interpretation von Daten betreffend nicht-wiederholbare komplexe Phänomene mit Rückkoppelungen, wie etwa das Erdklima, die Menschheitsgeschichte oder der Verlauf von Krankheitswellen, gerade nicht notwendigerweise zu korrekten Einschätzungen gelangen. Solche Experten können ihre Mutmaßungen a priori nicht evidenz-basiert beweisen.
Unter der Ägide dieser geistigen Oberaufsicht unserer Zeit, die an Kants Formulierungen erinnert, dass die Menschen in einen geistigen „Gängelwagen“ gesperrt werden oder man ihnen bestimmte Vorurteile „eingepflanzt“ hat, kann es wichtig werden, Beiträge so schreiben zu können, dass man „das Publikum“, wie Kant es nannte, weiterhin erreichen kann. Also so zu schreiben, dass „der Zensor“, wie Karl Kraus sich angeblich ausdrückte, es gar nicht merkt, dass hier die „geistige Oberaufsicht“ oder ein offizielles Narrativ kritisiert werden. Das kann zwar manchmal schon deswegen der Fall sein, weil der Zensor, also etwa der „Fakten-Checker“, gar nicht „checkt“, um was es eigentlich geht, beispielsweise weil er keine Ahnung von Erkenntnistheorie oder Handlungslogik hat. Es kann auch sein, dass der Zensor zu träge ist, zu recherchieren, was Begriffe wie „erkenntnistheoretische Kriegsführung“ überhaupt bedeuten sollen oder wer zum Teufel Immanuel Kant war. Oder es kann sein, dass ein Verfasser von Texten etwas so geschickt „durch die Blume“ ausdrückt oder ein Redner so gekonnt „zwischen den Zeilen“ argumentiert, dass man ihm einfach nicht „gegen den Karren fahren“ kann. „Wenn’s der Zensor merkt, ist es schon schlecht“, könnten sie im Hintergedanken haben, wenn sie einen Gedanken ausdrücken möchten, der „unverblümt“ vielleicht ein Opfer der „Cancel Culture“ werden würde.
Quellen:
Die staatlichen Corona- und Klimamaßnahmen können wissenschaftlich nicht begründet werden (Andreas Tiedtke, Misesde.org)
Leben wir in einem aufgeklärten Zeitalter? – zu Immanuel Kants 218. Todestag (Andreas Tiedtke, Misesde.org)
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