13. Juni 2023 08:00

Schützenhilfe durch: Serdar Somuncu Ein Endspurt gegen den Gesinnungsterror

Wie ein Kabarettist das betreute Denken sprengt

von David Andres

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Bildquelle: Wikimedia Commons / Stefan Brending Beendet aufgrund eines verblödeten Publikums seine Karriere: Serdar Somuncu

Bevor jetzt die ersten von Ihnen aufschreien – ja, der Kabarettist, Schauspieler und Autor Serdar Somuncu polemisiert gegen die AfD. Hat er immer. Macht er noch. Und ja, er teilt sich regelmäßig die Bühne mit Florian Schroeder, einem widerlichen Meister der subtilen Selbstherrlichkeit. Ein Mann, der vaselineglatte Systemtreue noch als echte Reibung zu verkaufen vermag. Aber hier geht es eigentlich schon los, denn das Podcast-Format „Schroeder und Somuncu“ nutzt Letzterer, um vor Mainstream-Publikum und auf Basis einer stabilen Männerfreundschaft seinem Buddy Florian teils erstaunlich widerständig einzuschenken. Wirksame Schützenhilfe für ein Leben abseits des betreuten Denkens ist gerade dort vonnöten, wo die Menschen sitzen, die gerade erst skeptisch zu werden beginnen. In diesem Sinne hat der türkischstämmige Kulturberserker, der stets eine Art Christoph Schlingensief der Kabarett- und Theaterlandschaft war, schon immer Bewegung in die Sache gebracht.

Doch jetzt kürzlich das. Paukenschlag! Serdar Somuncu beendet seine Karriere. Noch eine Tournee im Herbst, dann ist Schluss. Wie er es begründet, wo er das tut und was stattdessen folgen soll, all das macht ihn endgültig zum Kandidaten für diese Rubrik.

„Ich habe keine Lust mehr, auf eine Bühne zu gehen, während im Publikum Leute sitzen, die alles mitschreiben und sofort auf einer scheiß Social-Plattform posten, wenn sie Erregungspotenzial erkennen“, zitiert die BILD den Mann, dessen Schaffen davon gelebt hat, den ganzen Kontext zu begreifen. In den späten Neunzigern bis in die Nullerjahre hat er als szenische Lesung „Mein Kampf“ gespielt und satirische Effekte allein dadurch erzielt, dass er innere Widersprüche und Idiotien des Buches aufzeigte. Entlarvung und Verspottung des Bösen rein durch dessen eigene Worte. 2023 als Programm undenkbar, damals fast eineinhalbtausend Mal vor einer Viertelmillion Zuschauern aufgeführt, auch vor Ex-KZ-Häftlingen. Heute, so sagt er, sei es „mir nicht mehr möglich, auf einer Bühne zu stehen und irgendwas zu sagen, ohne dass die Leute vermuten, das meint der ernst. Ich kann als Künstler gar nicht mehr mit Illusionen arbeiten.“ Das eine große Warum seines Endes lautet also, dass die Leute schlichtweg zu ideologischen Drohnen geworden sind, zu ungebildeten Empörungsautomaten. 

Mit dem zweiten Warum gibt er endgültig all denen Schützenhilfe, die den Rest ihrer Verwandtschaft und Bekanntschaft endlich aus der Hypnose durch die etablierte Politik und ihre buckelnden Medien ziehen wollen. „Noch nie war Satire so angepasst, so brav und so regierungskonform“, äußert sich Somuncu klipp und klar gegen 90 Prozent seiner Kollegen beim Interview in der Welt – und legt sofort nach mit Aussagen, die ihn eben nicht regierungskonform zeigen. „Wir haben eine Scheißregierung, die macht, was sie will. Eine Außenministerin, die sich durch die Weltgeschichte stottert und überall Porzellan zerbricht. Und keiner schafft es, eine dezidierte Kritik zu äußern. Oder zu sagen: Nicht alle, die die Ukraine-Politik der Bundesregierung kritisieren, sind Rechte oder der AfD nah, sondern es gibt einen Großteil in dieser Bevölkerung, der das, was sie gerade macht, nicht gut, sogar gefährlich findet.“

Neben offener Attacke gegen die Regierung begeht Somuncu – und das wirkt im Grunde noch angstlösender für Menschen der längst heimlich wütenden Mitte  – ferner den Tabubruch, mit Medien zu sprechen, die seinesgleichen sonst meiden wie der Teufel das Weihwasser. „Danke auch von mir, dass ich als Mensch mit Migrationshintergrund in so einem ausländerfeindlich verseuchten Zombiekabinett zu Gast sein darf“, steigt er im Interview durch Sebastian Vorbach mit übermütigem Sportsgeist ein. Doch da sitzt er eben, im YouTube-Kanal „Stimmt! Der Nachrichten-Talk“, einem weiteren politisch provokativen Ableger des neuen Medien-Konglomerats von Julian Reichelt. Zugleich wirft er sich im Rahmen seines anderen, eigenen Podcasts namens „Die Boygroup der Hardcore-Katholiken“ mit Sarah Wagenknecht in eine Querfront gegen den aktuellen Krieg oder macht gemeinsam mit seinem Kollegen Bent-Erik Scholz klar, dass einem die Unkultur der Dauer-Hysterie, in der man sich immer „sofort in drei Sätzen positionieren muss, um dann in eine von zwei Schubladen eingeordnet zu werden“, schlichtweg „scheißegal“ werden muss. So scheißegal wie, ob andere einen als „rechts“ oder „misogyn“ oder sonstwie einordnen, denn sobald man sich davon entkoppele, funktioniere die „Einschüchterung“ nicht mehr.

Kurzum: Mindestens den Rest seiner öffentlichen Laufbahn nutzt dieser Mann nun, um das ganze System des Gesinnungsterrors, das dieses Land im Griff hat, zu sprengen und so lange an der beengenden Kiste zu rütteln, bis alle Schrauben und Nägel herausgesprungen sind. Ein weiteres wichtiges Signal der Erlaubnis an bislang stillschweigende Menschen.    

Quellen:

„Ich habe keinen Bock mehr“ (Welt)

Bühnen-Aus! DESHALB hört Serdar Somuncu auf (BILD)

Exklusiv: Serdar Somuncu ++ Jetzt rechnet der Kabarettist ab (Stimmt! Der Nachrichten-Talk, YouTube)

Die Boygroup der Hardcore-Katholiken (Spotify)


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