Zeitgeschichte: Laudatio für den Kontrafunk
Redetext vom 9. Juni 2023 in Erfurt
von Carlos A. Gebauer (Pausiert)
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Nachdem ich gefragt worden war, ob ich die Laudatio für den Radiosender Kontrafunk – Die Stimme der Vernunft aus Anlass der Verleihung des diesjährigen Netzwerkpreises der Hayek-Gesellschaft am heutigen Abend halten würde, hatte ich zügig eine Idee entwickelt, welchen Inhalt diese Lobrede haben könnte.
Bei der Umsetzung meiner dahingehenden Textabsichten merkte ich indes schnell, wie sehr sich die Inhalte änderten. Mir wurde klar: Burkhard Müller-Ullrich ist nicht einfach der Gründer eines Radiosenders. Er, sein gesamtes Team, alle seine Unterstützer, Geldgeber, Ideengeber und Berater: Sie alle werden faktisch für ein Projekt geehrt, das weiter geht als die Gründung einer Homepage oder einer Zeitschrift.
Das, was die im Kontrafunk versammelten Menschen leisten, hat eine herausragende Dimension. Ich will das erläutern und würdigen. Dass ich dabei davon absehe, neben seiner Ehefrau, Katja Lückert, weitere Mitwirkende namentlich zu nennen, hat einen einfachen Grund: Mit jeder Namensnennung ist das Unterlassen der Nennung eines weiteren Namens verbunden. Diese Unangemessenheit soll umschifft werden. Der Name Burkhard Müller-Ullrich mag also bitte für sämtliche Köpfe stehen, die den Kontrafunk prägen.
Warum also schreibt das Projekt Kontrafunk mit seiner Arbeit in Tat und Wahrheit ein Stück Mediengeschichte und mithin auch ein Stück europäische Menschheitsgeschichte?
Uns Kindern der alten Bundesrepublik ist möglicherweise nicht immer hinreichend klar, dass die Geschichte der Informationsweitergabe jedenfalls auch in unserem Kulturkreis stets auch eine Geschichte der Zensur war und ist. Die Verbreitung von Nachrichten gerät nämlich schnell zum Kampf um die „wirkliche“ Wahrheit und zum Kampf um die „richtige“ Deutung von Sachverhalten. Daher ist das Projekt Kontrafunk gerade in diesen Tagen von besonderer Bedeutung, an denen wir hören, dass der Sender ServusTV sich aus gut erreichbaren Sphären in Deutschland verabschiedet und auch die „Bild-Zeitung“ ihr zuletzt so erfolgreiches Format „Viertel nach Acht“ nicht fortführen möchte. Neben der jüngsten bemerkenswerten Nachricht aus dem Umfeld von Elon Musk, Löschungsversuche an Twitter künftig veröffentlichen zu wollen (was ich – in Anlehnung an Odo Marquards legendäre Inkompetenzkompensationskompetenz – einen Akt der medialen „Intransparenztransparenz“ nennen möchte), ist der Kontrafunk von eminenter Bedeutung bei der Weitergabe von aktuellen deutschsprachigen Informationen.
Ein Blick auf die Geschichte erweist, dass der Berufsstand der sogenannten „Faktenchecker“ nicht nur eine transitorische Schwierigkeit beschreibt, sondern gleichermaßen als persistierendes Menschheitsproblem daherkommt. Im Einzelnen: Das Unterdrücken von Botschaften hat in der gut dokumentierten europäischen Geschichte einen Horizont von bald 2.000 Jahren. Im Jahre 325 nach Christus ließ Kaiser Konstantin I. nach dem Ersten Konzil von Nicäa die Bücher des christlichen Presbyters Arius aus Alexandria verbrennen und stellte den Besitz dieser Werke unter die Androhung der Todesstrafe. Der Presbyter hatte eine abweichende Theorie zur Trinität veröffentlicht. Im Jahre 446 nach Christus wies Papst Leo der Große an, die Schriften der Manichäer zu verbrennen. Seinerzeit stritt man darum, ob asketische Auserwählte eine Gemeinde leiten und den einfachen Hörern („auditores“) übergeordnet seien.
Das Geschäft, schriftliche Botschaften an der Verbreitung zu hindern, wurde durch die Erfindung des Buchdruckes mit beweglichen Lettern von Johannes Gutenberg im Jahre 1450 zu Mainz erheblich erschwert. Im Jahre 1515 sah Europa die Einführung der Vorzensur für beabsichtigte Druckwerke zu deren genehmigender bischöflicher Approbation. Sollten nicht approbierte Druckwerke aufgefunden werden, wären sie zu beschlagnahmen und zu verbrennen. Im Jahre 1542 ernannte Papst Paul III. dann sechs Kardinäle zur Zentralisierung der universalisierten Römischen Glaubenskongregation. Sie hatten die Aufgabe, gegen Protestantismus und andere Formen der Häresie zu kämpfen. Es ging darum, die widersprüchlichen, dezentralen juristischen Entscheidungen der Inquisitoren zu beenden und für eine einheitliche Rechtsprechung beim Zensieren zu sorgen.
Im Jahre 1559 erblickte der Index librorum prohibitorum – das Verzeichnis der verbotenen Bücher – das Licht der Welt und ihm folgte zu seiner Konkretisierung im Jahre 1751 gleich auch eine förmliche Indexkongregation. Deren Tätigkeit währte faktisch bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil.
Kurz vor diesem Konzil formulierte Papst Paul VI. im Jahre 1963 allerdings ein auch heute beachtenswertes Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel. In dem Werk „Inter Mirifica“ heißt es unter anderem wörtlich: „Unter den erstaunlichen Erfindungen der Technik, welche die menschliche Geisteskraft gerade in unseren Zeiten mit Hilfe Gottes entwickelt hat, richtet sich die besondere Aufmerksamkeit der Kirche auf jene, die sich unmittelbar an den Menschen selbst wenden und neue Wege erschlossen haben, um Nachrichten jeder Art, Gedanken und Weisungen leicht mitzuteilen. Unter ihnen treten vor allem jene ‚Mittel‘ hervor, die in ihrer Eigenart nicht nur den einzelnen Menschen, sondern die ganze menschliche Gemeinschaft erreichen und beeinflussen können: die Presse, der Film, der Rundfunk, das Fernsehen und anderer gleicher Art. Man nennt sie daher zu Recht ‚soziale Kommunikationsmittel‘. Die Rechtebenutzung der sozialen Kommunikationsmittel setzt bei allen, die mit ihnen umgehen, die Kenntnis der Grundsätze sittlicher Wertordnung voraus und die Bereitschaft, sie auch hier zu verwirklichen. Vor allem sind für den Gebrauch der sozialen Kommunikationsmittel bei allen Beteiligten klare Gewissensgrundsätze notwendig. Dies gilt besonders für gerade in unserer Zeit heftig umstrittene Probleme. Vor allem ist die gute Presse zu fördern. Gute Rundfunk- und Fernsehsendungen sind zu unterstützen. Die Auswirkung der sozialen Kommunikationsmittel geht über die Grenzen der Nationen hinaus und macht die Einzelnen gleichsam zu Bürgern der ganzen Menschheit.“
Bevor dies in der Kirche erkannt wurde, zensierten allerdings die weltlichen Herrscher deutlich weiter: In England herrschte von 1713 bis 1930 eine Genehmigungspflicht für die Aufführung von Theaterstücken. Österreich bekämpfte missliebige Literatur ab dem 1795 mit Vorzensur und Importkontrollen. In Deutschland dominiert im Hinblick auf seinen Prüfungsmaßstab das Zensuredikt von Friedrich II. von 1772, mit dem er den Schutz der moralischen bürgerlichen Ordnung bezweckte. Auch die Karlsbader Beschlüsse von 1819 handeln von einer Präventivzensur im Deutschen Bund. Und selbst die Schweiz kannte in den Jahren 1915 bis 1919 eine Pressekontrollkommission.
Auf dem Höhepunkt der Exzesse gegen das Lesen von Büchern wurden am 10. Mai 1933 von dem Nationalsozialistischen Studentenbund und Professoren der heutigen Humboldt-Universität auf dem Berliner Bebelplatz mehr als 20.000 Bücher jüdischer, kommunistischer, liberaler und sozialkritischer Autoren vor großem Publikum verbrannt. Man mache sich klar: Zwischen dieser auch heute noch allgemein als barbarisch konsentierten Bücherverbrennung in Berlin und dem Dekret „Inter Mirifica“ liegen nur 30 Jahre.
Den Bücherverbrennungen durch die Nationalsozialisten vorangegangen waren in Deutschland gesetzgeberische Aktivitäten zur Beherrschung des neuen Mediums des seinerzeit neuen Mediums „Rundfunk“. Der deutsche Rundfunk hatte am 29. Oktober 1923 seinen Anfang genommen. An diesem Tage eröffnete die „Berliner Radio Stunde AG“ ihren ersten regelmäßigen Sendebetrieb in Deutschland. Sie war allerdings nicht ein Produkt der Weimarer Reichsregierung oder gar der demokratischen Willensbildung, sondern ein Konstrukt, das nur einige Beamte der Deutschen Reichspost ohne politischen oder gar privaten bürgerlichen Einfluss errichtet hatten. Diese Entstehungsgeschichte nicht demokratischer und eher autoritärer Herkunft führte drei Jahre später – im Jahre 1926 – zu der juristisch herrschenden Auffassung, dass dieser deutsche Rundfunk mitnichten privatrechtlich-bürgerlich betreibbar sei, sondern dass Rundfunk die behördliche Tätigkeit einer öffentlichen Anstalt zu sein habe.
In einer Dissertation zum 50. Jubiläum des Gründungsaktes deutschen Rundfunks schrieb Ingo Fessmann im Jahre 1973 („Rundfunk und Rundfunkrecht in der Weimarer Republik“): „Rundfunkgesellschaften sollten und konnten keine eigenen Ansprüche und Abwehrrechte besitzen. Die Konsequenz hieß nicht weniger, als dass die Gesellschaften ‚rechtlos‘ waren. Die Rundfunkgesellschaften galten allein und ausschließlich als der Reichspost verpflichtet. Die dem Rundfunkteilnehmer zur Ausübung des Funkhoheitsrechtes erteilte Befugnis [war also] eine echte Konzession, ein einseitiger, rechtsbegründender, machterweiternder Hoheitsakt. Die Rundfunkgebühr konnte danach ausschließlich der Reichspost geschuldet werden, [also eine] Verwaltungsgebühr [sein]. Die Neuregelung des Rundfunkwesens von 1926 zeigte somit als wesentliches Merkmal das Entstehen eines Staatsrundfunks. Der Rundfunk [nahm] die Züge eines Regierungsorgans [an]. Diese beiden zentralen Punkte der Neuregelung von 1926 haben dann 1933 [den] Rundfunk mehr oder weniger bruchlos zum bloßen Machtinstrument des totalitären Staates [werden lassen], zum ‚gleichgeschalteten Einheitsrundfunk‘ in den Händen der nationalsozialistischen Führer.“
Man erkennt nach allem ein Muster: Die hoheitliche Aufsichts-, Kontroll- und Zensurarbeit folgt menschheitsgeschichtlich den technischen Neuerungen stets nach Kräften auf dem Fuße. Da es beim Rundfunk keine substanzielle Möglichkeit mehr gibt, die einmal gesendeten Informationen durch Vorzensur oder Nachzensur zu kanalisieren, wird das Medium prinzipiell mehr und mehr dem Staat einverleibt. Die das Radiosenden prägende Dimension des allzeit nicht rückholbaren Jetzt provoziert damit staatliche Kreativität zur Einhegung der Verbreitungsrisiken. Dies betrifft sowohl die technische Seite als auch die Maßstäbe, an denen die Verbreitung von Informationen gemessen werden.
Die Zensurgeschichte der Nationalsozialisten wurde in Deutschland bekanntlich wesentlich auf dem Gebiet der DDR fortgeschrieben. In einem Urteil des Obersten Gerichts der DDR in Strafsachen gegen Mitglieder der Zeugen Jehovas vom 4. Oktober 1950 hieß es wörtlich: „Die Mitglieder erhielten fortlaufend antidemokratische, hetzerische, nicht lizensierte Zeitschriften, Bücher und Broschüren, Predigten, Rededispositionen. Den Mitgliedern wurde zur Pflicht gemacht, die Hetzartikel zum Gegenstand ihrer Propaganda zu machen.“
Das Oberste Gericht der DDR in Strafsachen wandte zur Bestrafung der Zeugen Jehovas eine Verfassungsbestimmung der DDR analog an und entnahm den Strafrahmen aus dem Strafrecht der DDR. Die Zeugen Jehovas hatten gegen Artikel 6 Absatz 2 der Verfassung verstoßen, in dem es hieß: „Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhass, militärische Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen.“
Dass jenseits des Buchdrucks und der Rundfunktechnik die jüngere Möglichkeit der Verbreitung von Nachrichten via Internet ihrerseits neue Überwachungstechniken erfordert, liegt auf der Hand. Am 1. Oktober 2018 trat in der Bundesrepublik Deutschland das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Kraft. Dieses weiter zu betrachten, ist indes nicht Gegenstand der hiesigen Überlegungen. Wir bleiben für den Kontrafunk ganz folgerichtig bei der Frage nach dem Radio.
Am 21. Juni 2022 nahm der Kontrafunk seine Sendetätigkeit von der Schweiz aus auf. Er sendet in den gesamten deutschsprachigen Raum von Mitteleuropa. Der Grimme-Preis-Träger Andrej Reisin notierte dazu am 1. Juli 2022 auf der Online-Plattform „Übermedien“: „Auffallend ist, dass das Programm professionell vorgetragen wird, man merkt den meisten Beteiligten an, dass sie Erfahrung haben.“
Zu den Inhalten des Kontrafunks ist mit den Worten der Plattform „frauenpanorama.de“ im Grunde alles gesagt: „Endlich, endlich, endlich! Es tut gut, die Gewissheit zu haben, dass der gesunde Menschenverstand noch nicht gänzlich ausgestorben ist.“
In der Tat erweist das bald vollendete erste Sendejahr des Kontrafunks, dass der Verstand im Radio nicht ausgestorben ist. Die Macher des Kontrafunks sind mit den Grundsätzen sittlicher Wertordnung vertraut und haben die Bereitschaft, diese zu verwirklichen. Man merkt dem Projekt an, dass klare Gewissensgrundsätze bei den Kontrafunk-Sendern vorhanden sind, insbesondere auch bei heftig umstrittenen Problemen der Gegenwart. Die Hayek-Gesellschaft ist überzeugt, dass die Rundfunktätigkeit des Kontrafunks förderungswürdig ist. Den besten Schutz gegen Manipulation und unbotmäßige Vereinheitlichung von Nachrichtensendungen mitsamt allen daraus erfahrungsgemäß resultierenden politischen Risiken bietet der Wettbewerb. Der Kontrafunk bereichert das Konzert der Rundfunksender um eine wesentliche Note. Die Vielgestaltigkeit von Rundfunksendungen, die in die Ohren der Menschen überall in Europa gehen, macht sie weniger anfällig gegen Manipulationsaktivitäten. Die Professionalität der Beteiligten dient dem sehr.
Burkhard Müller-Ullrich hat durch seine bisherige Lebensarbeit bewiesen, ein echter Profi des Publizierens zu sein. Er arbeitete unter anderem für den Bayerischen Rundfunk, die „Süddeutsche Zeitung“, die „Frankfurter Rundschau“, das Schweizer Radio DRS, die „Basler Zeitung“, die „Berner Zeitung“, die „Zeit“, die „Welt“, den „Standard“, die „Weltwoche“, den „Focus“ und – ganz besonders und prägend – den Deutschlandfunk sowie SWR2.
Eine Stimme der Vernunft ist dringend nötig in einer Zeit, in der Gendersterne Texte zerstören wie Hagelkörper ein Glashaus; in der menstruierende Männer und gebärende Personen mit fiat money bezahlt werden, wenn sie Kindergartenkindern, die sich gerade als Hagebuttentee identifizieren, beibringen, nach Gehör zu schreiben; und in der Menschen aus Ländern zu uns kommen, die mehrere 100.000 Kilometer entfernt sind, um Russen mit Tierpanzern beizubringen, wie man auf einem Kirchentag Vulven malt.
Der Kontrafunk sagt, was ist. Dies hat ihn preiswürdig gemacht. Die Hayek-Gesellschaft dankt für die Arbeit und wünscht für die Zukunft gutes Gelingen.
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