18. Juni 2023 14:00

Zunehmende Rechtsunsicherheit Die Gleichheit vor dem Gesetz

Über den von der Politik getriebenen Zerfallsprozess der deutschen Justiz

von Reinhard Günzel

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Bildquelle: Frank Wagner / Shutterstock Justitia: In Deutschland zunehmend auf einem Auge blind?

Die Augen verbunden, denn ihre Urteile sollen ohne Ansehen der Person ergehen, in den Händen Schwert und Waage, um abzuwägen, was für und was gegen den Beschuldigten spricht, um danach das Urteil mit aller Schärfe des Gesetzes umzusetzen: So begegnet uns oftmals Justitia in den Gerichtsgebäuden, unnahbar und Respekt einflößend, denn mit einer Frau, die ein Schwert führt, ist nicht zu spaßen, auch wenn die Todesstrafe in Deutschland nicht mehr verhängt werden kann. Die Augenbinde trägt Justitia erst seit 500 Jahren, zuvor war sie blind. Die Augenbinde steht, wie gesagt, für ein Urteil ohne Ansehen der Person, doch oftmals finden die Urteile nicht die Billigung des Volkes, das dann unter Anspielung auf Justitias Blindheit zu kommentieren pflegt, sie sei wohl nur auf einem Auge blind gewesen. Die Ursache für diese partielle Blindheit ist institutionell gegeben, denn während in zivilrechtlichen Streitigkeiten die Voraussetzungen für ein unparteiisches Urteil gegeben sind – jede Partei, die meint, vom Richter aus verschiedenen Gründen benachteiligt zu werden, kann Befangenheitsanträge stellen –, schaut die Sache schon mal ganz anders aus, sobald der Anwalt des Staates ins Spiel kommt.

Die deutsche Justiz als Institution des Staates steckt hier in der Klemme, denn wie soll in politischen Prozessen ein unabhängiges Urteil ergehen? Der Staatsanwalt – weisungsgebunden und in jeder Beziehung abhängig von seinen Dienstherren – betreibt entweder aus Eigenantrieb ein Verfahren, das er manchmal auch auf höhere Intervention hin einstellen muss, oder er wird angewiesen, in einer Sache tätig zu werden, empfängt also gegebenenfalls Weisungen von der Exekutive, die auch politisch motiviert sein können und es wohl oftmals auch sind. Hinzu kommt die politische Besetzung der Richterwahlausschüsse, die zu einer entsprechenden Politisierung des Richterstandes führt.

Es gibt Fälle, in denen Richter oder Staatsanwälte unter Druck gesetzt, versetzt oder abberufen wurden, weil sie unliebsame Entscheidungen getroffen oder Ermittlungen geführt haben. Ein faires Gerichtsverfahren und ein unparteiisches Urteil in politisch motivierten Strafsachen sind in Deutschland daher a priori nicht mehr gegeben, das demokratische Grundprinzip der Gleichheit vor dem Gesetz ist also ausgehebelt, obwohl in Deutschland die Gleichheit vor dem Gesetz bereits bei der Verkündung der Grundrechte des deutschen Volkes am 27. Dezember 1848 gefordert wurde und der Artikel 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland die Gleichheit vor dem Gesetz garantiert.

Doch wen wundert es noch? In einem Deutschland, das sich die Parteien zur Beute gemacht haben, wo, um nur ein Beispiel zu nennen, die Gremien des öffentlichen Rundfunks von Parteien dominiert werden und der so zum Staatsfunk verkommen ist, da ereilt es eben auch irgendwann die Justiz und ihr durch die Politik getriebener Zerfallsprozess offenbart sich eben zuerst in politischen Verfahren.

Kritik an der in Deutschland immer noch hochangesehenen Justiz kommt mittlerweile auch aus Gremien, von denen man das gar nicht erwarten würde. So hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits im Mai 2019 entschieden, dass die deutsche Staatsanwaltschaft wegen fehlender Unabhängigkeit keine Europäischen Haftbefehle ausstellen darf. 

Welch eine Klatsche von ganz oben, in den Medien fast totgeschwiegen, nur am Rande erwähnt. Der EuGH bemängelte, dass die Staatsanwaltschaft Weisungen von der Exekutive erhalten kann und daher nicht vor politischer Einflussnahme geschützt ist. Auch der Deutsche Richterbund (DRB) und die Neue Richtervereinigung (NRV) haben im Juli 2020 eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in der sie mehr Unabhängigkeit für die Justiz fordern. Sie kritisieren unter anderem die politische Besetzung von Richterwahlausschüssen und die mangelnde Transparenz bei der Auswahl von Richtern an den obersten Bundesgerichten.

Justizministerin zu jener Zeit, als diese Kritiken öffentlich wurden, war eine holde Maid, die es danach nochmals glücklos als Verteidigungsministerin probierte – die allseits bekannte Christine Lambrecht – und nichts geschah und nichts ist seither geschehen, auch nicht unter Justizminister Buschmann von der FDP.

Die deutsche Justiz ist also nicht unabhängig genug von der Politik und dem Einfluss von Lobbygruppen. Wie gesagt, gibt es etliche öffentlich gewordene Fälle, in denen Richter oder Staatsanwälte unter Druck gesetzt, versetzt oder abberufen wurden, weil sie unliebsame Entscheidungen getroffen oder Ermittlungen geführt haben. Diese Einflussnahme der Politik führt immer zu einer Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren und zu einer Beeinträchtigung des Rechtsschutzes für die Bürger. Die deutsche Justiz ist auch zu wenig transparent und bürgernah. Es gibt mangelnde Informations- und Beteiligungsrechte für die Öffentlichkeit, eine unzureichende Rechenschaftspflicht der Justizorgane und eine geringe Diversität in der Zusammensetzung der Richterschaft. All diese Mängel des deutschen Justizwesens führen zu einer Gefährdung der Rechtssicherheit und der -staatlichkeit und damit neben der bereits genannten Beeinträchtigung des Rechtsschutzes auch zu einem Vertrauensverlust und einer sich mehr und mehr verringernden Akzeptanz der Justizentscheidungen, letztendlich zur Beschädigung des demokratisch legitimierten Rechtsstaats. 

Schauen wir uns zur Verdeutlichung einmal zwei Urteile an, die in Sachsen, jeweils vom gleichen Richter, gesprochen wurden. Da wäre zunächst das Verfahren gegen die Gruppe Freital mit etwa zehn Mitgliedern, einer als rechtsterroristisch eingestuften Vereinigung. Die Gruppe war zunächst durch Angriffe gegen linke Organisationen, bei denen die Windschutzscheibe eines Autos zertrümmert wurde, und Angriffe mit gebündelten sogenannten „Polenböllern“ – Böller, mit denen Sachbeschädigungen an Flüchtlingsunterkünften verübt wurden – aufgefallen. Gegen die Gruppe wurde in Dresden ermittelt, allerdings in den Augen etlicher Beobachter nicht entschlossen genug, und im April 2016 übernahm die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen, die im November zum Prozess führten, in dem den acht Angeklagten die Bildung einer terroristischen Vereinigung, versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung sowie die Herbeiführung von Sprengstoffexplosionen vorgeworfen wurde. Alle wurden auch wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung schuldig gesprochen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten aufgrund einer rechtsextremen Gesinnung in wechselnder Besetzung und Tatbeteiligung 2015 insgesamt fünf Sprengstoffanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und politische Gegner in Freital und Dresden verübt hatten. Die verhängten Freiheitsstrafen betrugen bis zu zehn Jahre. Der jüngste Tatbeteiligte erhielt nach Jugendstrafrecht vier Jahre Gefängnis. In der Folge kam es noch zu Verfahren gegen weitere Beteiligte, die auch mit Gefängnisstrafen endeten.

Angesichts der Tatsache, dass einige der Anschläge zwar als Mordversuch gewertet wurden, aber tatsächlich keine nennenswerten Personenschäden auftraten, sind dies eigentlich harte Urteile, die hauptsächlich damit begründet sind, dass den Angeklagten die Bildung einer terroristischen Vereinigung zur Last gelegt wurde – aber im Kampf gegen den Terror muss eine Demokratie eben auch mal Härte zeigen.

Anders verlief das kürzlich abgeschlossene Verfahren gegen die von Lina E. geführte Hammerbande. Auch hier etwa zehn Mitglieder, die mindestens von Oktober 2018 bis Frühjahr 2020 Überfälle auf echte und vermeintliche Rechtsextreme begingen und diesen schwerste, zum Teil lebensgefährliche Verletzungen zufügten, darunter ein Kanalarbeiter, vermutlich eher unpolitisch, der eine Mütze mit dem falschen Symbol trug. Dieser wurde so sehr verletzt, dass er jetzt für immer eine Metallplatte im Gesicht tragen muss. Anderen Opfern wurden mit einem Hammer die Gelenke zertrümmert oder sie wurden mit Säure übergossen. Ermittelt und angeklagt wurde auch – und hier gilt es aufzumerken – wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, was zu erheblich geringeren Strafen als bei terroristischen Vereinigungen führt. Bei der Haupttäterin Lina E. waren das fünf Jahre Gefängnis, was angesichts der entsetzlichen Personenschäden ein im Vergleich zur Gruppe Freital sehr mildes Urteil ist, dessen Milde, so war der Presse zu entnehmen, darauf zurückzuführen war, dass das Gericht eben nicht von der Bildung einer terroristischen Vereinigung ausging, sondern es bei der Beschuldigung „kriminelle Vereinigung“ beließ. Nun gibt es zwar keine allgemein anerkannte Definition, was eine terroristische Vereinigung sei, doch einige Merkmale lassen sich durchaus feststellen, die zur Unterscheidung beider Vereinigungen beitragen.

So hat eine Straftat einen kriminellen Hintergrund, wenn sie aus persönlichen oder materiellen Motiven begangen wird, ohne eine politische oder ideologische Absicht zu verfolgen, eine Klassifizierung, der auch juristische Laien ohne Weiteres zustimmen werden. Von einem terroristischen Hintergrund müssen wir bei Straftaten ausgehen, wenn sie darüber hinaus mit der Intention ausgeführt werden, die staatliche Verfassung zu beseitigen oder zu beeinflussen, politische Ziele zu erreichen oder zu verhindern und dergleichen mehr. Auch dies ist wieder eine einfache, leicht verständliche Regelung.

Die Hammerbande suchte gezielt nach Opfern, denen eine tatsächliche oder mutmaßlich rechtsextreme Gesinnung unterstellt wurde. Wo ist eine lückenlose und nachvollziehbare Beweisführung, warum es sich dann im Fall der Hammerbande keinesfalls um eine terroristische Vereinigung gehandelt haben soll, zu finden? Und wie gesagt, beide Verfahren, beide Urteile standen unter Vorsitz des gleichen Richters, was nur dann unter einen Hut zu bringen ist, wenn der Richter einen ausgeprägten Hang zur Willkür hat, wovon nicht auszugehen ist, oder eben politischer Druck aufgebaut wurde, der letztendlich zu diesen so wenig zueinander passenden Urteilen führte.

Schon während der Untersuchungshaft und erst recht nach der Urteilsverkündung wurde Lina E. in der linken und Antifa-Szene zu einer Märtyrerin, die zu Unrecht oder zu hart vom Staat verfolgt werde. Für ihre Freilassung gab es zahlreiche Solidaritätsaktionen, aber auch Gewalttaten und Drohungen gegen die Ermittlungsbehörden, die ihren Höhepunkt nach der Urteilsverkündung in schlimmen Krawallen in Leipzig fanden. Generell wurde von links der Einsatz des Paragraphen 129 StGB, der sich mit kriminellen Organisationen befasst, kritisiert, doch dass es sich bei der Hammerbande auch um die Bildung einer terroristischen Vereinigung handeln könnte, davon war nirgends die Rede. Vielmehr wurde seitens der linken Organisationen und der Presse die Notwendigkeit des Kampfes gegen rechte Positionen betont, ein Kampf, der – wie von der Antifa hinzugefügt wurde –, durchaus aus, sofern der Staat nicht die gewünschten Maßnahmen ergreife, auch in die eigenen Hände genommen werden müsse.

Die Medien, allen voran der ÖRR, standen in ihrer Berichterstattung diesen Forderungen seitens der Demonstranten ziemlich unkritisch gegenüber, stellten kaum erforderliche Nachfragen und versuchten stattdessen, den Polizeikräften unangemessene Praktiken beim Einsatz zu unterstellen, gaben vermummten Demonstranten breiten Raum, ihre Sicht auf das Gerichtsverfahren darzulegen und sich über den Polizeieinsatz zu beschweren, da die Ermittlungen der Personalien mehrere Stunden gedauert habe – kein Interview mit den Geschädigten, keine Erwähnung von deren durch die Straftaten der Hammerbande verursachten langanhaltenden körperlichen und psychischen Gebrechen. Unübersehbar ist die dahinterstehende Absicht der Medien, doch eins ließ sich nicht verbergen: Gewalt gegen Personen ist in der linksextremen Szene längst akzeptiert.

Die institutionelle Unabhängigkeit der Justiz in Deutschland – ein Defizitbefund – Verfassungsblog


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