22. Juni 2023 20:00

Als der Fußball unschuldig war Vor genau 50 Jahren rangen Borussia Mönchengladbach und der 1. FC Köln um den DFB-Pokal

Das legendäre Spiel im Düsseldorfer Rheinstadion zeugt von einer anderen Zeit in einem anderen Land mit anderen Menschen

von André F. Lichtschlag

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Bildquelle: Von Youtube Legendär: Günter Netzer

Morgen auf den Tag vor 50 Jahren fand am 23. Juni 1973 im Düsseldorfer Rheinstadion eines jener vielleicht fünf bis zehn Fußballspiele statt, das auch nach Jahrzehnten unvergessen bleibt. Ja, dieses Pokal-Endspiel zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln war womöglich tatsächlich jenes „beste Spiel aller Zeiten“, nach dem regelmäßig gefragt und das dann sehr oft genannt wird.

Es war, Fußballkenner wissen es, jene Partie, in der Gladbach-Hirn Günter Netzer „sich selbst einwechselte“ und dann in seinem letzten Spiel im Trikot der Fohlen das Siegtor zum 2:1 in der Verlängerung schoss, bevor er zu Real Madrid enteilte. Netzers Treffer wurde zum „Tor des Monats“ und er selbst zum „Fußballer des Jahres“ gewählt.

Für Nostalgiker: Die Domstädter gingen als Favorit in dieses Spiel, Meister war in dem Jahr gerade der FC Bayern geworden (damals erst zum vierten Mal), das bärenstarke Rheinland folgte geballt auf den Rängen zwei bis fünf: 1. FC Köln (Zweiter), Fortuna Düsseldorf (Dritter), Wuppertaler SV (Platz vier), Borussia Mönchengladbach (in der Endabrechnung 1973 Tabellenfünfter).

Fachlich, was den Fußball und seine Geschichten betrifft, ist über dieses Spiel vermutlich alles gesagt und geschrieben worden. Im Mittelpunkt der unzähligen Anekdoten stehen „der Jünter“ und sein ihm in Hassliebe verbundener Wundertrainer Hennes Weisweiler, den es selbst später auch in die weite Welt nach Barcelona und mit Franz Beckenbauer zu New York Cosmos zog. Und der, was dieses Lokalderby noch brisanter machte, ein Kölner Urgestein in Diensten der Borussia war. Don Hennes wurde später dann auch noch mit dem 1. FC Köln Deutscher Meister, somit eine Trainer-Legende beider Clubs bis heute.

Auch die besondere Fan-Rivalität zwischen dem Effzeh und dem VfL – die ausgerechnet in Düsseldorf zum Showdown aufeinandertrafen – soll hier nicht Thema sein. Vielmehr blicken wir auf dieses Spiel (auf Youtube zwar in voller Länge, aber leider nicht mit Original-Kommentar zu finden und immer mal wieder auch im TV wiederholt) mit den Augen von heute – und staunen. Auch über Randaspekte.

Die inklusive Einwechslungen 26 Spieler beider Mannschaften hatten nämlich ausnahmslos allesamt lange Haare. Von heute aus betrachtet spielten da zwei VW-Busse voll Hippies gegeneinander. Und mit einer einzigen Ausnahme (dem Dänen Henning Jensen für Gladbach) waren ausnahmslos Kartoffeldeutsche am Ball (und auf der Trainerbank). Zudem kamen die meisten Spieler jeweils aus Städten, Stadtteilen oder Dörfern der unmittelbaren Umgebung von Köln und Mönchengladbach wie Berti Vogts aus Büttgen, Jupp Heynckes aus Holt, Herbert Neumann aus Hürth oder Wolfgang Overath aus Siegburg.

Hier tänzelten nicht wie heute irgendwelche reichlich tätowierten Legionäre aus fernen Ländern und Kontinenten bei ihrem aktuellen Lebensabschnittsklub als einer von einem Dutzend internationaler Karrierestationen, sondern da bolzte mit entsprechender Inbrunst und viel Herzblut die alte Dorfjugend vom Niederrhein gegen den Rivalen von Kindheit an aus dem Rheinisch-Bergisch-Kölschen Umland.

Man könnte nun annehmen, dass es deshalb auf dem Rasen sehr viel brutaler als heute zugegangen sein könnte. Das Gegenteil ist zu beobachten: Spätestens in der Nachspielzeit hat kein Feldspieler mehr Schienbeinschoner an! Mit heruntergelassenen Stutzen und allerletzter Kraftreserve vertrauen die zu Legenden gewordenen Männer aus dem Rheinland einander ihre Gesundheit an – und niemand trägt Blessuren davon. Man achtet einander. Respekt war noch nicht zur politisierten Floskel verkommen, sondern schlicht allgegenwärtig. 22 Freunde!

Ja, man kann dieses Spiel mit viel Gewinn auch heute noch anschauen, auch wenn die Mannschaften von damals gegen eine durchschnittliche Bundesliga-Elf von heute nicht den Hauch einer Chance hätte. Dazu hat sich taktisch und athletisch der Fußball viel zu sehr professionalisiert.

Heutige Profis wurden als Kinder bereits im Fußballinternat diszipliniert, glattgeschliffen für die internationale Karriere und von morgens bis abends auf moderne Taktik geschult. Damals spielten mit nackten Schienbeinen Straßenkicker gegeneinander um den Pokal, am Spielfeldrand wurde anschließend eine Zigarette geraucht (auf den beiden langen Trainerbänken während des Spiels übrigens pausenlos von fast allen).

Auch die Zuschauer waren gänzlich „anders“. Die Fankurven und ihre Gesänge proletarischer, unorganisierter, spontaner, unbeholfener als heute – mit viel „Heja“ und so. Die Fachbesucher auf den Geraden männlicher und kartoffeldeutscher als heute. Fußball war noch reiner Männersport.

So sehen wir bei der Rückschau auf diese nach wie vor begeisternde Partie vor allem einen Sport und ein Land aus einer anderen Zeit und wie aus einer anderen Welt. Und ja, da kommt Wehmut auf, auch ganz unabhängig von der Geschichte um Günter Netzer, Hennes Weisweiler und all den anderen Helden dieses Spiels am 23. Juni 1973 im Düsseldorfer Rheinstadion.    


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