25. Juni 2023 14:00

Die Freiheit und ihre Feinde Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen

Critical Race Theory – warum die wahrhafte Deutung dieses Begriffs verleugnen?

von Reinhard Günzel

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Bildquelle: A MZ / Shutterstock Die Geschichte hat uns mehr als einmal gelehrt: Totalitarismus tötet

Kürzlich, nach der Rückreise von Erfurt, wo ich eine Veranstaltung besucht hatte, legte ich in Weimar einen Zwischenstopp ein, um bei schönstem Frühlingswetter im Naturschutzgebiet „Südhang Ettersberg“ ein paar Stunden zu wandern. Das Gebiet, das erst 1997 unter Schutz gestellt wurde, war zuvor, wie anhand vorhandener Gebäudereste leicht erkennbar, von der Sowjetarmee als Truppenübungsplatz genutzt worden. Doch das ist nicht die einzige historische Belastung des Ettersbergs, denn weiter oben, gleich neben dem Naturschutzgebiet, befand sich das Konzentrationslager Buchenwald mit seiner bivalenten Geschichte. Von den Nationalen Sozialisten gleich nach der in schöner Offenheit auch so benannten Machtergreifung errichtet, war Buchenwald ein Ort der physischen und psychischen Vernichtung von Gegnern des Regimes, wobei der Status „Gegnerschaft“ leicht zu erreichen war. Schlimmstenfalls genügte eine Denunziation durch Arbeitskollegen oder Nachbarn.

1945 endete dieser Terror, um nach kurzer Pause erneut aufzuflammen. Diesmal als Speziallager des sowjetischen Geheimdienstes, der hier Gegner der Besatzungsmacht, ehemalige Funktionäre des NS-Regimes oder einfach nur – aus meiner Sicht die Mehrheit – Menschen einpferchte, die nach absurden Beschuldigungen von einem Tribunal der Besatzer abgeurteilt wurden, in einem Verfahren, das alles war, nur nicht rechtsstaatlich, ohne den Hauch einer Chance für die Angeklagten, und auch jetzt wurde wieder die physische und psychische Vernichtung der Häftlinge praktiziert. Für beide Opfergruppen des KZ Buchenwalds gibt es nach langem Hin und Her Gedenkstätten auf dem Berg.

Diese Gedenkstätten habe ich nicht besucht, da ich mich überhaupt nicht darauf vorbereitet oder innerlich eingestellt hatte, schließlich wollte ich ja wandern, doch allein schon der beim Wandern ständige unvermeidliche Anblick des zur Gedenkstätte gehörenden Glockenturms genügte, um in mir all die tief unten vergrabenen Erinnerungen der frühen Kindheit hervorzuscheuchen.

Zuallererst an eine Tante meines Vaters – in Schlesien geboren und, wie ihr bescheinigt worden war, von arischer Abstammung –, die glücklich und verliebt einen säkularisierten Juden geheiratet hatte, was allzu bald schon in den Augen des Staates ein böses Vergehen war, das noch dadurch verschlimmert wurde, dass sich das junge Paar abgesetzt, sich dem wachsenden Druck der Nationalen Sozialisten entzogen hatte und in das benachbarte Böhmen, in die Sudeten, übersiedelt war. Das ging eine Weile gut, doch dann kam das Münchner Abkommen, und sie zogen weiter, nach Prag, obwohl sie lieber gleich nach Palästina gegangen wären, doch diesbezügliche Visa stellten die Engländer als Mandatsmacht nicht aus. In Prag schnappte dann die Falle nach dem Einmarsch der Wehrmacht zu, beide wurden verhaftet und sollten sich nie wiedersehen. Der Onkel wurde nach Theresienstadt verbracht, von wo aus es Ende 1944, wahrscheinlich mit einem der letzten Transporte, nach Auschwitz ging, während die Tante in das KZ Buchenwald gesperrt wurde. Die langen Zählapelle in Holzpantinen, bei bittersten Frösten der Vierzigerjahre, kosteten die Tante mehrere erfrorene Zehen, doch immerhin überlebte sie Buchenwald und auch diesen verbrecherischen, totalitären Staat, der ihr das angetan, ihr Lebensglück zerstört hatte.

Also nie wieder Faschismus? Wenn es doch nur so einfach wäre! Nach dem Zusammenbruch des NS-Staates stand meine Heimat unter sowjetischer Besatzung, und wer auch immer den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus hochjubelt, darf dabei nicht vergessen, dass die Rote Armee der bewaffnete Arm eines menschenverachtenden totalitären Regimes war. Und das bekam die Bevölkerung des besetzten Gebiets sehr schnell zu spüren, somit auch meine Verwandten, denn gleich im Sommer 1945 wurde die Nichte der soeben aus Buchenwald entkommenen Tante, gerade einmal 14 Jahre alt, unter der abwegigen Anschuldigung, den Werwölfen anzugehören, verhaftet und verschwand für vier Jahre in einem Speziallager des NKWD, des sowjetischen Inlandsgeheimdienstes, das sie wie durch ein Wunder überlebte. Ebenfalls im Sommer 45 wurde einer meiner Großväter, ein kräftig gewachsener Bauer, verhaftet und in ein Speziallager eingeliefert, der erst vier Jahre später, zum Skelett abgemagert, wieder auftauchte.

Gut, das war jetzt alles etwas ausführlich und auch sehr persönlich, in der Absicht verfasst, die Auswirkungen totalitärer Strukturen in Erinnerung zu rufen – Strukturen, die katastrophale Folgen hatten für ganz normale Menschen, für Menschen, denen nichts, aber auch gar nichts vorzuwerfen war und die dennoch, wegen banaler oder rein persönlicher Handlungen und Vorlieben, vielleicht auch nur wegen Zugehörigkeiten, die sie sich nicht ausgesucht hatten, oder wegen einer abweichenden Meinung, einer abweichenden Benennung von Sachverhalten oder eines falschen Wortes oder weil sie zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren, also aus beliebigen, von den Machthabern postulierten Gründen bei passender Gelegenheit vom Räderwerk des Totalitarismus erfasst und zerrissen wurden. Das ist die Lehre aus der jüngeren deutschen Geschichte: Totalitarismus tötet, nicht nur die, die sich gegen ihn stellen, sondern er ist auch tödlich für die Gesellschaft als Ganzes. Ein System, das den Keim der Entwicklung zum Totalitarismus in sich trägt, entwickelt sich auch dahin, immer und immer wieder, gelangt früher oder später in sein zerstörerisches totalitäres Endstadium, und der Sozialismus gehört in diese Kategorie, was er bereits zweimal in Deutschland unter Beweis stellte. Wozu dann noch der dritte Versuch, zu dem sich das Land gerade anschickt? Wer auch nur einen Funken Verstand besitzt, muss sich diesem Versuch entgegenstellen, auch wenn der Ausgang dieses Kampfes ungewiss ist.

Lassen wir das mal hier so stehen und gehen zurück nach Erfurt, denn dorthin hatte ich mich ja vor der Wanderung aufgemacht, um eine Veranstaltung von Freunden der Freiheit zu besuchen. Solche Veranstaltungen mit Gleichgesinnten sind wichtig für den mentalen Ausgleich, denn hier wird Kritik am Staat, an seinen Maßnahmen und Institutionen auch intellektuell unterfüttert, und es besteht unter den Teilnehmern eine weitgehende Übereinstimmung im Bestreben, wie Freiheit und Wohlstand verteidigt und für die Zukunft gesichert werden können.

Es ist schon seit Langem nur eine ziemlich kleine Minderheit in Deutschland, die offen für Freiheit und Privateigentum eintritt und staatliche Eingriffe in ebendiese Bereiche entschieden zurückweist. Und dennoch kommt es auf diese Minderheit an, weshalb es umso wichtiger ist, den Blick für alle Formen sozialistisch-kollektivistischer Irrlehren und Anmaßungen zu schärfen, denn nur dann, wenn auch wirklich klar ist, wie das Räderwerk des Totalitarismus beschaffen ist und wie wir mit wohlklingender, vielversprechender Rhetorik zur Aufgabe von Freiheit und Selbstbestimmung gebracht werden sollen, werden wir uns auch erfolgreich gegen den Niedergang in die Knechtschaft und Bevormundung wehren können.

Das gelingt nicht immer, wie sich auf jener Tagung bei der Podiumsdiskussion zu Genderismus, Cancel Culture und Critical Race Theory offenbarte, als ein jüngerer Teilnehmer aus dem Publikum vorschlug, künftig anstelle des Begriffes „Critical Race Theory“ die korrekte Übersetzung „Kritische Rassenlehre“ zu benutzen, ein Vorschlag, der den Diskutanten auf dem Podium förmlich das Entsetzen ins Gesicht malte, in deren Köpfen sich wohl Szenen randalierender Studenten und peinlicher Gespräche mit Fachkollegen abspielten. Nein, der Begriff sei historisch belastet, so weit wolle man dann doch nicht gehen.

Dabei ist es doch genau das, was die „Critical Race Theory“ beinhaltet: unverfälschte Rassenlehre reinsten Wassers, ideales Rüstzeug, eine leicht einzusetzende Waffe im nächsten Kreuzzug gegen die Freiheit.

Der Sozialismus in allen seinen Spielarten und wechselnden Verkleidungen, seinen schmeichelnden Versprechen oder seinem Terror, das ist der Erlkönig mit seinen Töchtern am düsteren Ort. Es sind eben nicht die alten Weiden so grau und es ist auch kein Nebelstreif, nein, es ist der Erlkönig mit Kron’ und Schweif, der schmeichelnd schöne Spiele am Strand verspricht und sich am Ende mit Gewalt nimmt, was er begehrt.

Wir dürfen auf keinen Fall vergessen: Wer für Freiheit und Eigenverantwortung eintritt, der darf zuallererst nicht davor zurückscheuen, die Dinge beim Namen zu nennen und sie so zu sehen, wie sie tatsächlich sind. Critical Race Theory – warum die wahrhafte Deutung dieses Begriffs verleugnen? Eine solche Steilvorlage wird uns nicht oft gegeben, übersetzen wir daher stets korrekt mit Kritischer Rassenlehre, und alles ist gesagt, weitere Erörterungen zum Thema erübrigen sich danach. Vergessen wir nicht: Es führt mehr als nur ein Weg nach Buchenwald.


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