28. Juni 2023 08:00

Demokratie kaputt Das politische Vorbeben von Sonneberg

Wie die Parteien die Kontrolle verlieren

von Oliver Gorus

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Bildquelle: Tohuwabohu1976 / Shutterstock Erster AfD-Landrat Robert Sesselmann: Schnappatmung bei den restlichen Parteien

Es ist nur ein Landrat in einem unbedeutenden Wahlkreis im fränkisch geprägten Süden von Thüringen. Aber es ist auch der erste Wahlsieg eines AfD-Politikers überhaupt. Kein politisches Erdbeben, aber immerhin ein Vorbeben – 2024 stehen Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen an. Und jetzt dreht so mancher durch.

Der SED-Politiker Positano rief sogar die Ausländer und Schwarzen in Sonneberg dazu auf, den Landkreis zu verlassen, als ob sie jetzt dort in Gefahr wären, nach der Machtergreifung von Nationalsozialisten in Konzentrationslagern interniert zu werden. Eine derartig übertriebene, geschichtsvergessene, übergriffige, rassistische und den Nationalsozialismus verharmlosende Instrumentalisierung von Bevölkerungsgruppen durch einen Besserwessi ist eigentlich kaum mehr kommentierbar.

Kontrollverlust

Wahrscheinlich hat sich der Hochmut der Parteipolitiker in den letzten Tagen deshalb in Panik verwandelt, weil erstens die regionale Stichwahl im Landkreis Sonneberg mit den Umfrageergebnissen der Meinungsforschungsinstitute zusammenfiel, wonach die AfD mittlerweile im Bund zweitstärkste Partei ist, nur ganz knapp hinter der CDU (ohne die CSU) und weil zweitens in Sonneberg die Bildung einer sozialistischen Einheitsfront aus allen Parteien außer der AfD nicht ausgereicht hat, um gegen den AfD-Kandidaten anzukommen. Die Strategie der Ausgrenzung beziehungsweise die Errichtung einer sogenannten „Brandmauer“ wurde also erstmalig als wirkungslos entlarvt. Vermutlich ist sie sogar kontraproduktiv. Und jetzt ist alles möglich …

Wenn aber eine Brandmauer nicht funktioniert, dann bleibt für die Politiker und ihre Anhänger nur noch ein guter Rat: einfach zusätzlich noch fest mit dem Fuß aufstampfen!

Wählerbeschimpfung

Da die bisherigen Strategien der Berufspolitiker, ihre Pfründe und Privilegien, ihre Pöstchen und Pensiönchen gegen die neue Konkurrenz zu verteidigen, nun obsolet werden, fangen sie an, sich gegenseitig die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben. Die Ampel-Politiker beschuldigen die Unionspolitiker und umgekehrt. Und alle miteinander beschimpfen sie die Wähler.

Der sozialdemokratische Verfassungsrechtler Prof. Huster etwa fragte: „Was kann man tun, damit diese ideologisch verführten, vertrottelten Vollpfosten wieder in die Spur kommen?“

Das ist einfach zu beantworten. Die Bürger brauchen lediglich eine Möglichkeit, Leute wie ihn abzuwählen und von Machtposten fernzuhalten. Da das derzeit ausschließlich mit Stimmen für die AfD geht, wählen sie eben AfD. Man muss kein Professor sein, um das zu kapieren.

Analysen von unten

Und ja, es gibt auch einige Politiker, die das kapiert haben. Typischerweise sind das Hinterbänkler oder Leute von der Parteibasis, die eben noch keine Pöstchen und Pensiönchen zu verlieren haben und die möglicherweise den Kontakt zu den Bürgern in ihrem Wahlkreis noch nicht ganz gekappt haben. Und typischerweise sind sie im Osten aufgewachsen.

Katja Adler zum Beispiel, die Bundestagsabgeordnete der FDP für den Wahlkreis Hochtaunus/Hessen, die an der polnischen Grenze in der DDR aufgewachsen ist. Sie sagte nach dem Wahlsieg der AfD: „Wer den Menschen nicht zuhört, ihre möglicherweise nicht unbedingt linke oder grüne Meinung gerne als rechtsradikal framt, Wähler als Nazis oder Idioten beschimpft und ihnen am Ende sogar Demokratieverständnis abspricht, wundert sich ernsthaft noch, dass genau diese Menschen genau jenes Mittel nutzen, das ihnen in unserer Demokratie bleibt? Sie stimmen ab.“

So viel Klarheit und Mut, gegen den Mainstream auch in ihrer Partei Stellung zu beziehen, ist selten geworden. Ein anderes Beispiel habe ich noch gefunden, ebenfalls in der FDP: Paul Bressel, der Kreisvorstand der FDP Schwerin. Er bezeichnet sich als liberalkonservativ und ist Unternehmer. Sein Statement zur Stichwahl in Sonneberg: „Als Ossi empfinde ich große Frustration, dass das Demokratieverständnis von Millionen Menschen angezweifelt wird und wir pauschal als undankbar und Nazis abgetan werden. Das ist sicherlich nicht der richtige Weg, um das Wahlverhalten der Menschen zu ändern.“ Und weiter: „Kein Mitleid für die etablierten Parteien, die jahrelang ihre Wähler ignoriert und sie politisch obdachlos gemacht haben. Verzweiflung war die Folge. Dieses Debakel hätte verhindert werden können, aber stattdessen wurde dem Wohlgefallen derer nachgegeben, die sie sowieso nicht wählen. Eigene Wähler wurden vernachlässigt. CDU und FDP haben ihre Prioritäten falsch gesetzt und tun es immer noch.“

Das ist mal eine scharfe, selbstkritische Analyse! Aber selbstverständlich kommt sie zu spät und sie wird zu den Führungszirkeln und Seilschaften der Parteigranden ohnehin nicht durchdringen. Die FDP wurde von ihrem Chefstrategen Lindner komplett in die woke Sackgasse geführt. Er hat kräftig dabei mitgeholfen, die AfD groß zu machen. Ich sage nur „Klowasser trinken“, Kemmerich und Impfpflicht. Das sind nur drei Beispiele von vielen.

Neu gemischte Karten

Wollten CDU und FDP jetzt noch verhindern, dass die AfD demnächst stärkste Partei sein wird, müssten sie beide hart das Ruder herumreißen bei Migration, Energie, Klima, Corona-Aufarbeitung, ÖRR, Steuern und einigen weiteren Reizthemen. Aber das wird nie und nimmer passieren, denn das würde den momentanen Pöstchenbesetzern den Job kosten.

Das Vakuum im liberalkonservativen Bereich des Parteienspektrums wird darum zur nächsten Bundestagswahl sicherlich nicht von der FDP oder der CDU besetzt werden, sondern eher von den Freien Wählern oder der ausgegründeten Werteunion oder dem Bündnis Deutschland, das jüngst noch unter dem Namen „Bürger in Wut“ in Bremen einen Wahlerfolg erzielt hat. Und auch auf der linken Seite ist Platz für eine Wagenknecht-Partei.

Linke, SPD, Union und FDP sind offensichtlich komplett entwicklungsunfähig und haben ihre Neupositionierung gründlich verpasst. Sie werden kräftig Federn lassen, Linke und FDP vielleicht hochkant aus dem Parlament fliegen.

Angebot und Nachfrage

Dass neue Parteien zur nächsten Bundestagswahl zwangsläufig entstehen müssen, ist eine logische Folge des defizitären Wahlangebots. Der Markt wird das regeln. Und der sieht derzeit so aus: Auf der Wählerseite gibt es in Deutschland im Wesentlichen nach wie vor, genauso wie vor 40 oder 50 Jahren, nur drei größere politische Weltanschauungen: Konservative, Sozialisten und Liberale.

Dem standen auf Parteienseite früher drei passgenaue Wahlalternativen gegenüber: Union, SPD und FDP. Heute gibt es immer noch drei Wahlalternativen, aber sie sind stark deformiert und verschoben: Für konservative Wähler gibt es auf Parteienseite nur das Angebot der AfD, auch wenn die AfD-Politiker nicht alle konservativ, sondern teilweise rechtskollektivistisch sind.

Für sozialistische Wähler gibt es das Parteienangebot von Grünen, SPD, Linke, CDU/CSU und FDP. Es ist egal, welche dieser Parteien man wählt, man bekommt stets das Gleiche – nämlich Grundrechtseinschränkungen, Impfzwang, Zwangsfunk, Genderwahn, Klimahysterie, Planwirtschaft, Korruption, Wohnungsnot, unqualifizierte Zuwanderung, Bildungsmisere, Erosion von innerer und äußerer Sicherheit, Inflation, Kaufkraftverlust und wirtschaftlichen Niedergang.

Und für (klassisch) liberale oder libertäre Wähler bleibt nur das Nichtwählen oder damit identisch das Wählen einer Kleinstpartei, da es für sie kein Parteiangebot mit Aussicht auf den Einzug in den Reichstag gibt.

Eine solche Konstellation ist mangelhaft und kann nicht Bestand haben. Der erste Wahlsieg eines AfD-Politikers hat nun gezeigt, dass die etablierten Parteien die Erneuerung des Parteienspektrums nicht aufhalten können. Schon gar nicht, indem sie 20 Prozent der Wähler zu Rechtsextremen erklären und beschimpfen.

Dass das Volk beginnt, sein Wahlrecht zu gebrauchen, um eine katastrophale Regierungspolitik abzuwählen, ist ein Lebenszeichen der Demokratie, das alle echten Demokraten freuen wird.

Ich selbst halte Parteien nach wie vor für das Problem, nicht für die Lösung. Allerdings muss ich zugeben: Gäbe es eine Partei, deren Programmkern und glaubwürdiges Versprechen darin bestünde, die Bürger maximal in Ruhe zu lassen und in der Regierung außer Bürokratieabbau möglichst wenig zu tun, könnte ich schwach werden und wieder zur Wahl gehen …


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