Strafrecht für Stromkunden: Energiewende in mittelbarer Täterschaft?
Nur der richtige Glaube versetzt Zwerge
von Carlos A. Gebauer (Pausiert)
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Unser Planet ist ein unvollkommener Ort. Lässt man daher in wolkenlosen Nächten den Blick in den Himmel steigen, erkennt man bald bessere, hellere, schönere Plätze. Man sehnt sich hinein in das Licht ferner Welten und man ahnt, wie viel mehr Verstand, Liebe und Intelligenz beispielsweise im Sternbild des Großen Hundes begraben sein dürfte – dort also, wo der Sirius am hellsten leuchtet. So jedenfalls hat es offenbar Frau O. empfunden, von der der Bundesgerichtshof uns in seinem legendären Urteil 1 StR 168/83 berichtet. In der kommenden Woche wird diese Entscheidung vom 5. Juli 1983 – aus der Frühphase grüner Politik in Deutschland also – 40 Jahre alt. Dieser Jahrestag gibt Anlass für den Rückblick. Und wir nennen Frau O. hier nur deswegen so, weil sie das gutgläubige Opfer eines ebenso rücksichtslosen wie menschenverachtenden, verantwortungslosen Gewinnstrebens des dann Angeklagten und Verurteilten wurde.
Worum ging es? Der Bundesgerichtshof berichtet sinngemäß:1973 oder 1974 hatte der Angeklagte Frau O. kennengelernt. Es entwickelte sich eine Freundschaft, deren Gegenstand hauptsächlich Diskussionen über Psychologie und Philosophie waren. Der Angeklagte wurde zum Lehrer und Berater von O. in allen Lebensfragen. Sie vertraute ihm blindlings. Eines Tages ließ er sie wissen, er sei ein Bewohner des Sterns Sirius. Er stehe daher philosophisch auf einer weit höheren Stufe als alle Menschen. Er sei mit dem Auftrag auf der Erde, dafür zu sorgen, dass einige wertvolle Menschen nach dem völligen Zerfall ihrer Körper mit ihrer Seele auf einem anderen Planeten oder auf Sirius weiterleben könnten. Damit auch die O. dieses Ziel erreiche, bedürfe sie allerdings einer geistigen und philosophischen Weiterentwicklung.
Der Angeklagte legte sodann dar, die O. könne die Fähigkeit, nach ihrem Tode auf einem anderen Himmelskörper weiterzuleben, dadurch erlangen, dass sich ein bestimmter Mönch für einige Zeit in totale Meditation versetze. Dadurch werde es ihr möglich, während des Schlafes gleich mehrere Ebenen gleichzeitig zu durchlaufen und dabei die nötige geistige Entwicklung durchzumachen. Dafür müssten allerdings an das Kloster, in dem der Mönch lebe, 30.000 Deutsche Mark (DM) gezahlt werden. Die Zeugin beschaffte sich die geforderte Summe durch einen Bankkredit. Der Angeklagte verbrauchte das Geld für sich. Der geistige Entwicklungsschub bei der O. blieb jedenfalls aus. Schuld war, wie er ihr erläuterte, der blockierte Körper der Zeugin. Diese Blockade könne allerdings durch die Vernichtung des alten und die Beschaffung eines neuen Körpers durchaus beseitigt werden …
Die O. war noch immer völlig überzeugt von dem Plan, sich weiterzuentwickeln. Der Angeklagte erklärte ihr daraufhin, in einem roten Raum am Genfer See stehe für sie ein neuer Körper bereit, sofern sie sich von ihrem alten Körper trenne. Auch der neue Körper benötige allerdings Geld. Dieses lasse sich dadurch beschaffen, dass sie eine Lebensversicherung über 250.000 DM (bei Unfalltod 500.000 DM) abschließe und ihn unwiderruflich als Bezugsberechtigten bestimme. Anschließend müsse sie nur noch durch einen vorgetäuschten Unfall aus ihrem „jetzigen Leben“ scheiden. Nach Auszahlung werde er ihr die Versicherungssumme überbringen.
Ihr „jetziges Leben“ wollte die O. dann nach einem ersten Plan des Angeklagten durch einen vorgetäuschten Autounfall beenden. Später beschlossen dann beide, dass sie sich in eine Badewanne setze und einen eingeschalteten Fön in das Badewasser fallen lasse. Am 1. Januar 1980 schritt die O. dann in ihrer Wohnung zur Tat. Der tödliche Stromstoß blieb jedoch aus. Sie verspürte nur ein Kribbeln am Körper, als sie den Fön in das Badewasser tauchte. Den Angeklagten überraschte daher, als die O. seinen späteren Kontrollanruf persönlich entgegennahm. Rund drei Stunden lang nahm er in zehn weiteren Telefongesprächen Anläufe, ihr neuerliche Anweisungen zur Fortführung der Tat zu erteilen. Als er bemerkte, dass die aussichtslos war, beendete er die Telefonate.
Die O., heißt es in dem Urteil des Bundesgerichtshofes außerdem, handelte in völligem Vertrauen auf die Erklärungen des Angeklagten. Sie ließ den Fön in der Hoffnung fallen, sofort in einem neuen Körper zu erwachen. Der Gedanke an einen „Selbstmord im eigentlichen Sinn“ kam ihr dabei nicht. Zudem lehne sie eine Selbsttötung ab. Der Mensch habe dazu kein Recht.
Die in der strafrechtlichen Dogmatik folgenschwere Entscheidung des Bundesgerichtshofes lautete nun dahin, dass der Angeklagte mitnichten – wie er glaubte – Teilnehmer eines straflosen Selbsttötungsversuches gewesen war, sondern mittelbarer Täter eines versuchten Mordes. Deswegen studieren Juristen den Fall der Frau O.
Dieser „Sirius-Fall“ des Bundesgerichtshofes kam mir nun wieder ins Bewusstsein, als ich über die aktuelle grünpolitische „Energiewende“ Deutschlands nachdachte. Die Abschaltung und Vernichtung von inländischen Kraftwerken mit dem Zweck, eine höhere Stufe der Energieversorgung zu erklimmen, erinnert fatal an die seinerzeitige Gutgläubigkeit der Frau O., die im Schlaf eine geistige Sprunginnovation in neue geistige Höhen erleben wollte. Das zur Motivation der kraftspendenden Mönche fehlende Geld wurde (und wird) zuerst von Banken beschafft. Wenn der benötigte Finanzrahmen für den unumkehrbaren Mummenschanz mit diesem Instrument nicht mehr darstellbar ist, werden Wetten auf die Weiterexistenz abgeschlossen – bis es kein Zurück mehr gibt. Was bleibt, ist die Hoffnung auf einen roten Raum am Genfer See. Doch statt eines Sphärensprungs auf den Sirius endet das Ganze für die Vertrauensseligen hoffentlich wieder nur mit einem einfachen Körperkribbeln. Wie viele Telefonate wird der Erleuchtete noch führen, bis er diesmal aufgibt?
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