05. Juli 2023 08:00

Parteienherrschaft Jenseits der Brandmauer

Was für die AfD spricht und was gegen das Wählen

von Oliver Gorus

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Bildquelle: DesignRage / Shutterstock (AfD) Wählen oder nicht wählen: Das ist hier die Frage

Vermutlich hatte es bereits Bernd Lucke versaut, der zwar intelligent, aber nicht besonders klug im ersten Höhenflug nach der Parteigründung jedes dahergelaufene Parteigevölks in die AfD hineinließ. So wurde leider aus dem freiheitlichen, marktwirtschaftlichen, subsidiären Politikentwurf, der zu Beginn eigentlich eine Antithese zum Auslaufmodell „Partei“ gewesen war, einfach nur eine weitere kollektivistische, durch demokratische Negativauslese verdumpfende, den starken Staat beschwörende Partei.

Aber was sie bis heute immerhin einlöst: Innerhalb des morschen Rahmens der Parteiendemokratie bietet sie eine Alternative an. Wenn nun innerhalb von zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden erstmals ein Landrat und erstmals ein Bürgermeister unter der blauen Flagge ihre Stichwahlen gewannen, dann sieht man an den Reaktionen der sogenannten „Altparteien“, dass die „Neupartei“ tatsächlich auf der anderen Seite eines tiefen Grabens steht, der sich quer durch die einstige Republik zieht.

Mit der elenden Brandmauer, die die Politiker der sozialistischen Einheitsfront von Union, SPD, Linken, Grünen und FDP verbal errichtet und jüngst noch Flüche ausstoßend verstärkt haben, versuchen diese, die nationalen Sozialisten der AfD zu isolieren. Sie zwingen damit jeden Bürger, sich zu positionieren: Wenn du nicht für uns bist, bist du gegen uns!

Die Chuzpe, mit der ausgerechnet die Parteien, die gemeinsam im Thüringer Landtag eine reguläre demokratische Wahl rückgängig gemacht haben, sich selbst als Demokratiefreunde und die AfD als Demokratiefeinde bezeichnen, zwingt früher oder später jeden von uns, auch Sie und mich, Farbe zu bekennen: Sind Sie ein guter Demokrat oder sind Sie ein Rechter, Nazi, Faschist, Klimaleugner, Schwurbler, Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker, Rassist, Nationalist, Reaktionär, Fleischesser, Verbrennerfahrer, Putinfreund und Schwulenhasser? Sie haben die Wahl.

Dabei gehen die Politiker der Einheitsfront natürlich beinhart eine Wette ein: Sie gehen davon aus, dass sie mit ihrer radikalen Polarisierung am Ende immer noch die Mehrheit halten werden – und sei es mit einer SED- und Blockparteien-Koalition aus Linken, Grünen, SPD, FDP und Union. Wenn die Protagonisten des sich an die Macht klammernden Parteienkartells da mal nicht grob verrechnet haben!

Die Verteufelung der Schwefelpartei, die Rigorosität der Abgrenzung der „Guten“ gegenüber der „Höcke-Partei“, die literally Hitler sei, stellt uns allen jedenfalls die neue deutsche Gretchenfrage: Nun sag’, wie hast du’s mit der AfD?

Wählen oder nicht?

Na gut, wie halte ich es denn mit der AfD?

Zunächst mal steht für mich die individuelle Freiheit über allem, sowohl in wirtschaftlicher als auch in gesellschaftlicher Hinsicht. Und zwar nicht nur meine eigene Freiheit, sondern die Freiheit aller Menschen (was schon mal die meisten Anhänger der AfD genauso wenig verstehen wie die meisten Anhänger der anderen Parteien). Aus meiner Sicht darf der Staat niemals wieder über dem Individuum stehen. Das war auch die Ansicht Adenauers und Erhards, was in der CDU aber schon lange vergessen ist und woran sich in der AfD ebenfalls kaum jemand erinnert.

Leider steht aber heute der Staat wieder de facto über dem Individuum, so wie im Dritten Reich und in der DDR. Die Parteien, die dafür verantwortlich sind, sind die grün-gelb-rot-schwarzen, denn die haben in Bund und Ländern in den letzten Jahrzehnten regiert und sie dominieren auch Justiz, Medien, Schulen und Universitäten.

Die AfD hat zu dieser Misere der individuellen Freiheit bislang nichts beigetragen, aber vermutlich würde sie das, sobald sie an der Macht wäre. Denn es ist eben auch nur eine Partei innerhalb eines politischen Systems, das erstarrt und vollkommen reformunfähig ist und dessen sklerotische Institutionen im Versuch, sich selbst zu erhalten, das gesellschaftliche Gefüge zerstören. Das heißt, die Institutionen und die erstarrten Strukturen dieses Staats sind in der Phase des Niedergangs so dominant, dass einer, der Grundlegendes daran ändern wollte, glatt einen neuen gründen müsste.

Ich sehe also keinen vernünftigen Grund, das zerbröselnde politische System mit meiner Wahlstimme zu legitimieren. Das würde sich so anfühlen, wie einen Vertrag zu unterschreiben, den ich eigentlich gerne kündigen möchte.

Oder anders gesagt: Ich könnte zwar mich daran beteiligen, die bestehende freiheitsfeindliche Katastrophenregierung abzuwählen, aber ich würde damit gleichzeitig ein System stabilisieren, das genau solche feindseligen Politiker, Parteien und Regierungen wie die aktuellen hervorbringt. Und ich würde womöglich eine Partei an die Macht wählen, die ich nach ihrem Sieg sofort wieder bekämpfen müsste, weil sie sich im Machtrausch als nicht weniger paternalistisch und etatistisch gerierte als die alte.

Vernunft steht eben leider nicht zur Wahl.

Notwehr

Andererseits bleibt einem Wähler, der primär die grün dominierten Regierungen in Bund und Ländern abwählen möchte, derzeit gar nichts anderes übrig, als die AfD zu wählen. Durch die dämliche Brandmauer und die von den etablierten Parteien forcierte Spaltung und Polarisierung des Landes gibt es nur noch zwei Möglichkeiten, genauso wie bei den Stichwahlen in Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz: für Rotgrünschwarzgelb oder dagegen. Für immer höhere Steuern und Abgaben oder dagegen. Für die Besteuerung der Luft oder dagegen. Für die Enteignung der Immobilienbesitzer oder dagegen. Für Korruption oder dagegen. Für Einwanderung in die Sozialsysteme oder dagegen. Für Vogelschredder-Anlagen oder dagegen. Für Atomausstieg oder dagegen. Für Wirtschaftssanktionen oder dagegen. Für Impfzwang oder dagegen. Für Zwangsfunk oder dagegen. Für Genderterror oder dagegen. Für sozialistische Indoktrination in den Schulen oder dagegen. Für Frühsexualisierung oder dagegen. Für Planwirtschaft oder dagegen. Für Energiewende oder dagegen. Für Hitzeschutzplan oder dagegen. Für Lockdowns oder dagegen. Für Zensur oder dagegen. Für digitales Zentralbankgeld oder dagegen. Und so weiter.

Selbstverständlich bin ich gegen das alles!

Und da erscheint natürlich auch eine AfD, die möglicherweise, eventuell und vielleicht in der Zukunft mal etwas kaputtmacht, als das viel geringere Übel im Vergleich zu den aktuellen Regierungen in Bund und Ländern, die gerade ganz aktuell und ganz real und ganz sicher und definitiv alles Mögliche kaputtmachen – von den Staatsfinanzen über das Vermögen der Bürger, den allgemeinen Wohlstand, die Bildung, die mittelständische Wirtschaft, den inneren und äußeren Frieden bis hin zur inneren Sicherheit und zur Gesundheit der Bürger.

Keine Frage: Die Grünen müssen so schnell wie möglich weg vom Fenster, und da kann ich sehr gut verstehen, dass viele, sehr viele Wähler taktisch, aus Trotz oder gar aus Notwehr AfD wählen, obwohl sie eigentlich gar keine Parteianhänger sind, vielleicht mit deren schwülstiger patriotischer Romantik, der Fremdenfeindlichkeit, Höckes Erneuerung des Volks und dem rechtskollektivistischen Etatismus nichts am Hut haben. Ich halte das für legitim.

Psychologische Effekte

Ohnehin ist das Momentum auf der Seite der AfD, was einige weitere psychologische Effekte zu ihren Gunsten mit sich bringt.

Rechnet man die CSU aus der Union heraus, was angesichts der Wahlrechtsreform und dem somit drohenden Scheitern der CSU an der Fünfprozenthürde durchaus sinnvoll ist, und zählt CDU und CSU also getrennt, dann ist die AfD in den Umfragen bereits jetzt stärkste Partei in den bundesweiten Umfragen. Und wächst weiter. Gewinner wirken attraktiv. Das ist der Matthäus-Effekt („Wer hat, dem wird gegeben“).

Außerdem gibt es da Solidarisierungseffekte mit den Außenseitern: Wenn Lanz einen rhetorisch minderbegabten AfD-Provinzfürsten in die Talkshow einlädt, um ihn wie einen Tanzbären am Nasenring durch die Manege zu ziehen, erreicht er mittlerweile das Gegenteil des Gewünschten: Immer mehr Leute solidarisieren sich mit dem Unterlegenen, dem von den aggressiven, unfairen und arroganten Platzhirschen jeder Satz abgeschnitten und jedes Wort im Mund herumgedreht wird. Lanz schafft mit seiner Quote auf diese Weise jedes Mal ein paar Zehntelprozente mehr Zustimmung für die AfD.

Des Weiteren gibt es den Gewöhnungseffekt. Beim ersten Wahlsieg ist es noch etwas Besonderes. Aber mit jedem weiteren Wahlsieg der AfD sammeln die Wahlbürger die Erfahrung, dass nichts Schlimmes passiert, keine Kleinkinder gefressen werden, keine Nachbarlandkreise überfallen werden und keine Pogrome stattfinden. Das konterkariert die jahrelangen hysterischen Warnungen der Etablierten und sorgt für ein völliges Verpuffen der Diffamierungen und Wählerbeschimpfungen. Den Etablierten fallen alle bisherigen Waffen aus der Hand. Sie wirken zunehmend hilflos, haben der AfD nichts entgegenzusetzen. Das ist nicht sonderlich attraktiv.

Und die zunehmende Panik der Grünen vor dem Wachstum der AfD sorgt außerdem für immer drastischere Versuche, die grüne Agenda und die „Transformation“ der Gesellschaft mit Hochdruck voranzutreiben, wie man am hastig zusammengestöpselten Heizungsgesetz erkennen kann. Druck erzeugt aber Gegendruck: Die Leute, denen der grüne Irrsinn zunehmend an die finanzielle Substanz geht, beginnen, grüne Regierungen abwählen zu wollen. Eine Wechselstimmung baut sich auf, die früher oder später die grüne Religion aus den Regierungen fegen wird. Davon profitiert nur die AfD, da alle anderen „mitgemacht“ haben.

Ach ja, und die Kulturkriege in Frankreich und in der Ukraine sind selbstverständlich ebenfalls nur als Argumente für die AfD interpretierbar.

Hoffentlich ohne Gewalt

Die wirklich nationalsozialistischen Anteile der AfD-Führungszirkel müssen sich derzeit nur ganz still verhalten, denn alles läuft in ihre Richtung. Was passieren wird, wenn sie 30 Prozent haben und niemand mehr an ihnen vorbeikommt, wird sich zeigen. Eine ausgegründete Werteunion und bundesweit agierende Freie Wähler können die Union und die FDP jedenfalls ebenfalls kräftig rupfen und die CSU und die FDP aus dem Bundestag fegen. Eine AfD-geführte Regierung im Bund ist realistischerweise nicht mehr auszuschließen. In den Ländern sowieso nicht.

Also: Abseits aller Spekulationen kann ich den gegenwärtigen Trend hin zur AfD sehr gut nachvollziehen. Gut finde ich, dass so die Grünen nicht mit Gewalt, sondern mit demokratischen Mitteln gestoppt werden. Dafür wünsche ich allen AfD-Wählern viel Glück und Erfolg. Auch ich befinde mich somit jenseits der Brandmauer und damit auf der schwefeligen bösen Hälfte des Landes.

Aber ich selbst habe mit dem Wählen ein für alle Mal abgeschlossen, ich habe keine Lust, mich von der nächsten Partei hinters Licht führen zu lassen und erneut enttäuscht zu werden. Ich traue keiner Partei und keinem Politiker mehr und gebe unabhängig von den kommenden Wahlerfolgen der AfD diesem politischen System keine Überlebenschance. Eher noch wird es zerfallen, was durch den hoffentlich gewaltfreien Kampf zwischen den durch die Brandmauer voneinander geschiedenen Seiten beschleunigt werden wird.

Und dann wird es interessant.


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