08. Juli 2023 20:00

Affirmative Action Von Spaltung keine Spur

Doch war der Oberste Gerichtshof überhaupt zuständig?

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: michaeljung / Shutterstock US Supreme Court: Erklärt den leichteren Zugang zu Elite-Universitäten für nichtweiße Menschen für verfassungswidrig

Deutsche Medien überschlugen sich in ihrer Kritik: „Ein Urteil, das Rassismus fördert“, sieht die Wochenzeitung „Die Zeit“ in der jüngsten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in den USA, die Hautfarbe als Auswahlkriterium bei der Hochschulzulassung zu verbieten. Der Deutschlandfunk beklagt, es werde künftig „weniger ethnische Vielfalt an US-Unis“ geben. Die „Tagesschau“ spricht von einem „Urteil, das polarisiert“. 

Aber stimmt das eigentlich? Ist Amerika über das Ende von Affirmative Action polarisiert und gespalten? Nicht, wenn man den Zahlen glauben darf. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos im Auftrag von ABC News unterstützen 52 Prozent der US-Bürger die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, die ethnische Herkunft als ein Auswahlkriterium an Hochschulen zu verbieten, was in der Praxis zu einer Bevorzugung von Schwarzen und Latinos bei der Universitätszulassung geführt hat, auch wenn eine feste Quotierung nach ethnischer Herkunft seit 1978 verboten war.

Nur 32 Prozent der US-Amerikaner kritisieren demnach die von der konservativen Gerichtsmehrheit getroffene Entscheidung: eine Differenz von 20 Prozentpunkten. Zum Vergleich: Die Entscheidung des Supreme Courts, Bidens Erlass von Studentenkrediten für verfassungswidrig zu erklären, unterstützen 45 Prozent der US-Bürger, während 40 Prozent dagegen sind. Ein weiteres kürzlich ergangenes Urteil, das sich mit einem Webdesigner beschäftigte, der sich weigerte, eine Website für ein homosexuelles Paar zu erstellen, sieht Amerika sogar noch gespaltener (43 zu 42 Prozent).

Doch in Bezug auf Affirmative Action ist Amerika nicht gespalten. Als die Demokraten vor drei Jahren in Kalifornien einen Anlauf unternahmen, Proposition 209 abzuschaffen, die dem Staat Kalifornien die Berücksichtigung von Rasse, Geschlecht und ethnischer Herkunft in allen öffentlichen Belangen untersagt, schoben 57 Prozent der Wähler im Golden State diesem Vorhaben einen Riegel vor. Selbst im linksliberalen Kalifornien ist Affirmative Action keine Forderung, mit der man Wahlen gewinnt. 

Das liegt auch daran, dass Affirmative Action kein abstrakt politischer Sachverhalt ist. Zahlreiche weiße und vor allem asiatischstämmige Amerikaner haben seit Jahrzehnten unter dem System gelitten. Doch mehr noch: Affirmative Action ist auch kulturell nur schwer mit der amerikanischen Mentalität zu vereinbaren. Die Idee, benachteiligte Gruppen zu definieren, die vom Staat Starthilfe ins Erwachsenenleben brauchen, halten viele Amerikaner ethnienübergreifend für schlicht unamerikanisch. Zumal struktureller Rassismus in den USA ein längst überwundenes Problem ist. Nun endlich auch im Bereich der Hochschulzulassung, möchte man sich da zunächst mal über das Urteil freuen. 

Doch bei näherem Hinsehen wirft der Richterspruch auch neue Probleme auf. Die beklagte Harvard-Universität, die nun ihre Zulassungsvorschriften ändern muss, ist eine private Einrichtung. Ist es wirklich in Ordnung, wenn neun Bundesrichter eine private Bildungsinstitution zu bestimmten Aufnahmekriterien zwingen? Oder nehmen wir die ebenfalls beklagte University of North Carolina. Klar, sie ist anders als Harvard eine öffentliche Hochschule, allerdings keine Bundeseinrichtung, obgleich beide natürlich auch ordentlich mit öffentlichen Geldern des Bundes gefördert werden.

Dennoch: Warum ist der Supreme Court in Washington hierfür überhaupt zuständig? Schließlich gibt es kein Bundesgesetz zu Affirmative Action, es handelt sich um Regelungen der einzelnen Staaten. In einigen Staaten wie eben Kalifornien, aber auch Washington, Arizona oder Florida ist Affirmative Action sogar verboten. Die Obersten Richter machten aus der Begründung für ihre Zuständigkeit keinen Hehl: der 14. Verfassungszusatz, eines der Reconstruction Amendments nach dem Bürgerkrieg, die es der Bundesregierung erstmals qua Verfassung erlaubten, in bestimmten Fällen in die Angelegenheiten der Bundesstaaten hineinzuregieren. Die „Bill of Rights“, die ersten zehn Zusatzartikel zur US-Verfassung, die ursprünglich nur das Handeln des Kongresses beschränken sollten, gelten seitdem auch – entgegen der Absicht der meisten Gründerväter – für die einzelnen Bundesstaaten.

Das zugrunde liegende Problem der Debatte über Affirmative Action ist, dass es sich der Staat überhaupt anmaßt, Hochschulen zu betreiben beziehungsweise private Hochschulen mit Steuerzahlergeld zu subventionieren. Der Staat darf natürlich niemanden wegen seiner ethnischen Herkunft diskriminieren, insofern müsste eine Politik, die Menschen aufgrund ethnischer Merkmale diskriminiert, wie Affirmative Action an staatlichen Hochschulen, von vornherein Anathema sein. Und die Zulassungskriterien privater Hochschulen gehen den Staat nichts an.

Welches Weltbild den Befürwortern von Affirmative Action zugrunde liegt, illustrierte vortrefflich die damalige Supreme-Court-Richterin Sandra Day O’Connor in ihrer Urteilsbegründung zu Grutter versus Bollinger aus dem Jahr 2003. Die von Ronald Reagan ernannte Juristin schrieb damals in ihrer Verteidigung von Affirmative Action, die Verfassung „verbietet nicht die Nutzung von Ethnie als Zulassungskriterium, um ein triftiges Interesse an der Erzielung von Bildungsvorteilen zu fördern, die sich aus einer vielfältigen Studentenschaft ergeben“. Noch 25 Jahre werde Affirmative Action gebraucht, beschloss O’Connor damals. So reden Gesellschaftsingenieure in ihrer Beltway-Blase, denen die Rechte des Individuums nie etwas bedeutet haben, die weniger an den Einzelschicksalen abgewiesener Bewerber mit der falschen Hautfarbe interessiert sind als an ihrer Utopie einer Gesellschaft, die nur vom Staat vielfältig und gerecht gemacht werden kann. 

Die politischen Lager überspannende Einigkeit herrscht in den USA laut der Ipsos-Umfrage allerdings nicht nur beim Thema Affirmative Action. Auch dazu, wie die Richter zu ihrer Urteilsfindung gelangen, haben die Amerikaner eine klare Meinung. 53 Prozent glauben, die Urteile spiegeln lediglich die persönliche Meinung der Richter wider. Nur 33 Prozent bescheinigen dem von Chefrichter John Roberts geführten Gericht, es würde auf Basis von Recht und Gesetz urteilen. 


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