12. Juli 2023 08:00

Systemkritik Immerwährende Opposition

Wagenknecht, Aiwanger, Maaßen, AfD & Co und Ihre Wahl

von Oliver Gorus

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Bildquelle: Michael Lucan / Wikimedia Hubert Aiwanger von den Freien Wählern: Spielt zurzeit gekonnt den bayerischen Volkstribun

Eine Frage: Würden Sie sich vom Staat einen Orden verleihen lassen? Also, würden Sie einen Verdienstorden annehmen, der Ihnen von einem Amtsträger des Bundes oder Ihres Bundeslandes angeheftet würde? Anlässlich der Verleihung des Bayerischen Verdienstordens durch Ministerpräsident Söder an die Vorsitzende des Ethikunrates Buyx habe ich diese Frage meiner sozialen Blase auf Twitter gestellt.

Wenig überraschend würden etwa neun von zehn meiner Follower keinen Orden vom Staat annehmen. Ich würde das übrigens auch nicht, unter keinen Umständen. Manche sagten, dass es darauf ankomme, was keine grundsätzliche Ablehnung ist. Einige, die sich mit der Hanse identifizieren, antworteten, ein Hanseat würde generell keine Orden annehmen, leiten also somit die Ablehnung von einer Sitte ab.

Wie aber lässt sich das Unbehagen gegenüber Ordensverleihungen grundsätzlich begründen? Diese Frage finde ich interessant, weil sie ganz reale praktische Folgen für die politische Positionierung hat.

Klassenbewusstsein

Hinter dieser Frage, ob jemand einen Orden annehmen würde, steckt meines Erachtens die tiefere Frage, ob der Gefragte bereit ist, sich anderen Menschen im sozialen Rang unterzuordnen oder nicht.

Warum der Empfang eines Ordens eine Unterordnung unter einen anderen Menschen ist? Nun, ein Kollektiv kann ja keine Orden verleihen. Das wäre eine Anthropomorphisierung, eine Vermenschlichung des Staats: Indem man so tut, als könne der Staat Handlungen begehen, setzt man ihn mit einer Person gleich.

In Wahrheit können nur Menschen Orden verleihen und nur dann, wenn sie ein Amt „bekleiden“, das sie durch Amtsprivilegien aus der Masse der Menschen heraushebt. So ein Staatsvertreter darf Dinge tun, die Sie nicht dürfen, worunter das Verleihen von Orden vergleichsweise Peanuts sind.  

Ein Staatsvertreter ist also durch seine Privilegien ein Mensch höherer Klasse, was auch mit dem Wort „Herrschaft“ ausgedrückt wird. Ein Vertreter des Staats gleicht somit den orwellschen Schweinen aus der „Farm der Tiere“: ein Tier, das gleicher ist als die anderen Tiere. Das ist heute in der Bundesrepublik grundsätzlich nicht anders als im Heiligen Römischen Reich oder im Kaiserreich oder in der Weimarer Republik oder im Dritten Reich oder in der DDR: Im Rahmen seines Amts beherrscht der Staatsvertreter Sie ein mehr oder weniger großes Stückchen. Je höher das Amt, desto größer der Anteil des Amtsträgers an der Herrschaft über Sie.

Guter Untertan!

Verleiht Ihnen einer einen Orden, dann drückt sich darin zweierlei aus. Zum einen, dass jemand über Ihnen steht, Sie also Untertan sind. Denn würde Ihnen der Ihnen gleichgestellte Nachbar einen Orden verleihen, vielleicht fürs zuverlässige Erledigen der Kehrwoche, wäre das zwar lustig, aber ansonsten bedeutungslos. Und dass jemand sich den Orden schnappt und ihn sich selbst verleiht, so wie Napoleon sich die Krone selbst aufgesetzt hat, ist gelinde gesagt unüblich. Der Orden muss schon „von oben” kommen.

Zum anderen drückt sich darin aus, dass Sie den Menschen, die der höheren Klasse angehören, gedient haben. Die Obrigkeit drückt dann ihre Zufriedenheit mit Ihnen aus: Guter Untertan!

Die viel gehörte Argumentation, mit der Ordensverleihung würde ein Dienst an „der Allgemeinheit“ beziehungsweise an „der Gesellschaft“ ausgezeichnet, denn der Staat, das seien doch schließlich wir alle, ist nicht nur inhaltlich falsch, sondern auch irreführend, denn selbstverständlich würden Sie bei einer Tat, die der ganzen Gesellschaft zugutekäme, aber der herrschenden Klasse nicht gefällt, keinen Orden erhalten. Stattdessen werden Sie dann möglicherweise verfolgt und drangsaliert, wie etwa Prof. Bhakdi oder der Blogger Hadmut Danisch oder viele, viele weitere Beispiele von „Unbequemen” in der Geschichte.

Wenn Sie nun in der gesellschaftlichen Ecke der Anarchisten stehen, die Herrschaft ablehnen oder dieser Ecke als Freiheitsliebender, Libertärer, Minimalstaatler oder klassisch Liberaler zumindest nahestehen, dann haben Sie ein natürliches Problem damit, sich als Untertan zu identifizieren. Sie akzeptieren grundsätzlich nicht oder weitgehend nicht, dass jemand Sie beherrscht, egal, ob diese Herrschaft durch Verwandtschaft mit einem „edlen Geschlecht“, also der Zugehörigkeit zum Adel, begründet wird oder durch demokratische Wahl.

Anmaßung und Vorrechte

Am ehesten würden Freiheitliche noch eine Meritokratie akzeptieren, also eine Herrschaftsform, in der Einzelne aufgrund ihrer anerkannten Leistungen oder Verdienste oder ihres Könnens Führungspositionen besetzten, so wie das zum Beispiel in gut funktionierenden Unternehmen der Fall ist. Nun ist aber die gegenwärtige Form der Parteiendemokratie ja gerade eine Herrschaftsform, die einen meritokratischen Zugang zu Machtposten systematisch unterbindet und stattdessen systematisch Leute, die wenig geleistet haben und wenig können, in Machtpositionen hievt.

Mich anderen Menschen unterzuordnen, widerspricht generell jedem freiheitlichen Funken, der in mir steckt, um für mich zu sprechen, aber mich ausgerechnet solchen Leuten unterzuordnen wie denen, die gerade herrschen, löst in mir geradezu Brechreiz aus, so sehr widert mich das an.

Weder will ich dieser arroganten Fürstenklasse dienen, noch akzeptiere ich deren fürstliche Privilegien, die sich zum Beispiel darin ausdrücken, dass der ehemalige Kanzler Merkel (doch, das Amt heißt Kanzler, nicht Kanzlerin) auch heute noch als Privatperson im Schnitt täglich über 100 Euro für Frisur und Maske dem Steuerzahler in Rechnung stellt, zusätzlich zu ihrer sehr großzügigen Pension.

Wenn Sie sich fragen, warum sich der eine Mensch von den anderen Menschen das Schminken oder die Fußpflege bezahlen lassen kann, ist die Antwort einfach: Weil er’s kann. Weil er die Macht dazu hat. Weil er der Herrscher ist und Sie der Untertan.

Opposition aus Prinzip

Ein anderes Beispiel für solcherlei Privilegien ist das Steuerprivileg: Die Angehörigen der ordensverleihenden Fürstenklasse können Ihnen und mir einfach so viel Geld wegnehmen, wie sie wollen, und dieses Raubgut ausgeben, wofür sie wollen. Und Sie und ich können nichts dagegen tun, denn die Fürsten haben die Waffen und die Gefängnisse. Ein anständiger Mensch würde sich dafür schämen, ein Angehöriger der Fürstenklasse empfindet das hingegen als ganz normal, so wie viele Untertanen solches Gebaren als angemessen empfinden.

Die patzige Argumentation, dass ich in einer Demokratie ja über das passive Wahlrecht verfüge und selber eine Partei gründen könne, hieße ja nicht, dass ich etwas gegen die Beraubung und das Fürstengehabe tun, sondern dass ich selbst die Seiten wechseln und zum Räuberfürsten werden könnte. Das klingt nicht nach einem ehrenwerten Vorschlag für mich.

Und der oft gehörte arrogante Vorschlag, wenn es mir hier nicht passe, könne ich ja das Land verlassen, drückt nichts anderes als den unanständigen Herrschaftsanspruch über ein Territorium aus, das auch meine Heimat ist und an dem ich rechtmäßig ein Stückchen Lebensraum als Grundbesitz eigne.

Die ganz praktische Implikation für meine politische Position daraus ist, dass ich mich mit meiner freiheitlichen Gesinnung automatisch als Oppositioneller empfinde, egal, wer gerade herrscht. Denn jede Anmaßung von Herrschaft, die aus dem jeweiligen politischen System entspringt, ist meiner Meinung nach unangemessen, wenn alle Menschen vor dem Recht gleich sind.

Populisten und Opportunisten

Aber auch Opposition ist nun nicht so einfach und klar. Wenn eine politische Opposition zum Beispiel in Form eines einzelnen Politikers oder einer Partei verspricht, die Macht der Fürsten ein klein wenig zurückzudrängen und im Gegenzug den Freiraum der Bürger ein klein wenig zu erweitern, dann ist es meiner Ansicht nach nachvollziehbar und legitim, diese Opposition temporär zu unterstützen und eine Zeit lang mitzutragen, um an den Verhältnissen etwas zu verbessern.

Derzeit versprechen das beispielsweise die AfD, die künftig möglicherweise ausgegründete Werteunion, die Freien Wähler, die möglicherweise bald gegründete Wagenknecht-Partei und diverse Kleinparteien wie die Basis oder die Libertären.

Allerdings sind solche Versprechen erfahrungsgemäß oft populistische Finten, um an die Macht zu kommen, nicht um die Macht effektiv zu begrenzen. Die Politiker, die durch Wahl von der Oppositions- zur Machtseite wechseln, müssen darum erst mal Wort halten, was erfahrungsgemäß selten genug der Fall ist. Und selbst wenn ein politischer Akteur seine Macht tatsächlich nutzt, um dieselbe einzuschränken, muss er sofort wieder aus einer neuen Opposition heraus bekämpft werden, denn auch 90 Prozent Herrschaft sind noch 90 Prozent zu viel, 80 Prozent wären dann beim nächsten Mal besser – und so weiter.

Brüche

Als Beispiel, warum das mit der Opposition recht problematisch ist, nehme ich mal den bayrischen Bauernsohn Aiwanger, den Chef der Freien Wähler. Er gibt derzeit ganz geschickt den Volkstribun, indem er auf der von der Kabarettistin Monika Gruber organisierten Kundgebung in Erding dem Volk aufs Maul schaute und dessen Stimme wiedergab, wonach die da oben „ja wohl den Arsch offen hätten!“ und „wir uns die Demokratie wieder zurückholen” müssten. Außerdem bot er als Erster dem Regierungsinquisitor und fürstlichen Wortverdreher Lanz in dessen Tribunaltalkshow versiert die Stirn. Er positioniert sich also öffentlich gegen „das System“ und erntet damit Zustimmung.

Aber er ist auch Minister in der Regierung Söder und damit Herrscher, also Mann des Systems. In der Corona-Maßnahmenkrise forderte er aus dieser Position heraus Ausgangssperren, also höchst autoritäre, übergriffige Maßnahmen (ohne Maß zu nehmen). Im Bundestagswahlkampf 2021 inszenierte er sich als Ungeimpfter, also als Widerständler, aber nach der Wahl trug er die menschenverachtende und extrem autoritäre 2G-Regelung mit. Es entsteht also der Eindruck, dass Aiwanger eher etwas von Marketing hält als von individueller Freiheit, sowie der Verdacht, dass er mehr von Opportunismus versteht als von Opposition.

Genauso lassen sich neben vielen guten freiheitlichen Positionen auch bei Wagenknecht, der Werteunion oder der AfD schon jetzt inhaltliche Brüche identifizieren, obwohl diese sich natürlich erst noch in Machtpositionen beweisen müssten. Denn erst dann würde ihre wahre Gesinnung zum Vorschein kommen, wie das mit der entzauberten, ja entlarvten FDP beispielsweise längst geschehen ist.

Alles, was die zerstörerische, autoritäre, übergriffige grüne Politik derzeit stoppen kann, ist erst mal der Freiheit dienlich und darum legitim. Ich verstehe darum jeden, der die genannten Oppositionskräfte unterstützt und wählt, sofern sie zur Wahl stehen.

Dennoch bleibe ich selbst innerlich stets auf Distanz. Das politische System ist nun mal ein Herrschaftssystem, und ich identifiziere mich weder als Herrscher noch als Untertan. Wie könnte ich dann das System dadurch legitimieren, dass ich „mitmache“? Ein Anhänger eines Mächtigen oder einer Partei werde ich darum niemals werden. Grundsätzlich niemals. Lieber bleibe ich aufrecht und trotze jedem, der sich anmaßt, über mich zu herrschen.


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