14. Juli 2023 08:00

Arbeit und Wert – Teil 5 Lässt sich der Preis abschaffen?

Preisbildung als ein sozial unvermeidliches Phänomen

von Stefan Blankertz

von Stefan Blankertz drucken

Artikelbild
Bildquelle: iwciagr / Shutterstock Ein zurückgezogenes, völlig autarkes Leben: Die einzige Möglichkeit, um Preisbildung zu vermeiden

Dass die Dinge des täglichen Lebens wie diejenigen, die die Begehrlichkeit auf Luxus wecken, einen Preis haben, erscheint den Antikapitalisten als ein Skandal höchsten Ranges. Durch den Preis werde die Achtung vor dem wahren Wert der Dinge vernebelt; zudem schaffe der Preis die Diskrepanz zwischen den Reichen, die sich mehr leisten können, und den Armen, die kaum das Nötigste zum Leben haben.

Von einem existenziellen Standpunkt aus gesehen müsste die Luft den höchsten Wert haben. Von allen Dingen, denen der Mensch beraubt sein kann, kann er ohne Luft am kürzesten überleben. Dann kämen das Wasser und schließlich die Nahrung. Freilich, wenn man ihn mit einer Waffe bedroht, wäre es möglich, dass er noch schneller sterben würde als ohne Luft. Ist demnach die Sicherheit das Gut, dem der höchste Wert zugesprochen werden müsste? Die Wertfrage hat eine hohe Komplexität; sie liegt im Schnittpunkt von subjektiver Bewertung der Wichtigkeit und objektiver Verfügbarkeit (mehr zum Verhältnis von Wert und Preis nächste Woche).

Die Luft hatte keinen Preis. Lange Zeit diente sie in der Ökonomik als Beispiel dafür, dass ein Gut, wie existenziell wichtig es auch sein mag, dann keinen Preis hat, wenn es umstandslos für jeden erreichbar ist. In der Zwischenzeit jedoch liegt die Sache aufgrund der Luftverschmutzung anders. Für Antikapitalisten ist die geringe Luftqualität in industriellen Ballungsgebieten (in denen die meisten Menschen der Erde heute leben) Beweis dafür, dass die kapitalistische Produktion aufgrund ihrer Profitorientierung mit existenziell wichtigen Gütern, die keinen Preis haben, rücksichtslos umgehe.

Freilich widerspricht sich der Antikapitalismus an dieser Stelle offenkundig selbst: Er kritisiert einerseits, dass die Dinge unter dem Gesichtspunkt des Preises bewertet werden, andererseits beklagt er, dass die Preislosigkeit gewisser Ressourcen (wie die der Luft) zur Verschwendung führe. Damit wird, logisch gesehen, zugestanden, dass Dinge, die keinen Preis haben, tatsächlich so behandelt werden, als würden sie unbegrenzt zur Verfügung stehen. Nur Preis und Profitstreben grenzen den Verbrauch ein.

Nun ist die Preislosigkeit der Luft gar kein naturwüchsiges Phänomen, das dem Markthandeln entspringt, sondern eines, das die Staatsgewalt herbeiführt: Sie deklariert den gesamten Luftraum über dem von ihr beherrschten Boden als ihr Eigentum. Sie stellt ihn privilegierten Gruppen kostenlos oder zu einem Preis, der unter dem Marktwert liegt, zur Verfügung. Wenn Ihr Nachbar grillt, können Sie ihn gegebenenfalls wegen Geruchsbelästigung verklagen; das Chemiewerk in der Nähe nicht, auch nicht den Straßenbetreiber (das ist nämlich der Staat selber), weil von seinem Gebiet aus Schadstoffe in Ihren Vorgarten dringen. Wenn das Chemiewerk seinen Abfall in Ihren Vorgarten abladen oder ein Autofahrer sein ausgedientes Fahrzeug auf ihm entsorgen würde, sähe das anders aus. Unter Marktbedingungen würde die Luft einen Preis haben, und dieser Preis würde dafür sorgen, dass Produzenten mit dieser Ressource rücksichtsvoll umgingen.

Ein Preis entsteht immer dann, wenn für irgendeine Tätigkeit das Eigentum oder die Arbeit anderer gebraucht wird. Wer sich ausschließlich auf eigenem Grund autark der Subsistenzwirtschaft befleißigt, der muss für nichts einen Preis zahlen. Die Preisbildung setzt allerdings sofort und unvermeidlich ein, wenn ein Gut gegen ein anderes getauscht wird oder wenn für die Arbeit des einen der andere ein Gut gibt. Insofern lässt sich der Preis nicht abschaffen, außer über den Weg in die Autarkie der reinen Subsistenzwirtschaft. Umgangssprachlich gibt es sogar in der Subsistenzwirtschaft einen Preis: Wer zum Beispiel nicht für den Winter vorsorgt, zahlt den bitteren Preis des Hungers. Diese umgangssprachliche Ausdrucksweise zeigt, dass der Preis als Konsequenz eines Tuns nicht nur monetär, ja, nicht einmal nur im Tausch begründet, sondern vielmehr als Teil eines jeden Handels zu betrachten ist. Die Preisbildung in dem Sinne, dass für ein Gut oder eine Dienstleistung (Arbeit) innerhalb einer Wirtschaftsregion ein einheitlicher Tauschwert erhoben wird, ist freilich ein ganz und gar sozialer Vorgang; schon begrifflich ist sie außerhalb eines sozialen Zusammenhanges nicht möglich.

Die Preisbildung lässt sich – eine arbeitsteilige komplexe Wirtschaft vorausgesetzt – nicht abschaffen, allenfalls vielleicht verbieten. Sehen wir einmal, wie (und ob überhaupt) sie sich verbieten ließe.

So müsste es verboten werden, im Tausch für irgendein produziertes Gut oder irgendeine Dienstleistung (Arbeit) ein anderes Gut oder eine andere Dienstleistung zu erhalten. Jeder müsste Güter, die er produziert, ohne Gegenleistung dem Erstbesten, der zugreift, mitgeben. Dienstleistungen müssten rein aus Nächstenliebe erbracht werden. Das eine oder andere Gut würde auf diese Weise sicherlich über den Eigenbedarf hinaus produziert werden, doch in welcher Regelmäßigkeit, in welcher Menge und in welcher Qualität, stünde in den Sternen. Die Reichweite einer Dienstleistung, wie etwa die Kranken- oder Altenpflege, wäre eng begrenzt auf die Zeit, die die Gesunden und Rüstigen neben ihrer Arbeit zur Sicherung des eigenen Unterhalts erübrigen könnten. Außerdem stellt sich die Frage, was denn diejenigen, die das Verbot der Preisbildung überwachen (und die die kriminellen Preisnehmer gegebenenfalls bestrafen), als Gegenleistung ansehen. Wie wäre das Lächeln des Gebrechlichen, dem zur Hand gegangen wird, zu bewerten? Ist es eine Gegenleistung? Ist es der Preis, den der Helfer unrechtmäßig erhält?

Dies gilt ironischerweise auch für diejenigen, die das Verbot der Preisbildung überwachen. Auch sie müssten zunächst für ihren eigenen Unterhalt arbeiten und dürften für ihre Tätigkeit der Überwachung nichts aus dem Fundus derer erhalten, die sie überwachen. Eine Herrscherschicht ohne ökonomisches Eigeninteresse, das ist psychologisch und soziologisch ein Unding. Aber sobald die Überwacher für ihre Tätigkeit aus der Arbeit anderer entlohnt werden, setzt eine Preisbildung ein: Der Preis kehrt zurück. Es ist die uralte Einsicht, dass diejenigen, die Gleichheit anstreben, letztendlich ein wenig gleicher als gleich sein werden: Die neue Herrscherklasse entsteht.

Im Rahmen eines anderen Szenarios wäre die Strategie denkbar, dass die staatliche Zentralinstanz die arbeitsteilige komplexe Wirtschaft ohne Preis steuert. Die Staatsgewalt würde von jedem eine definierte Arbeitsleistung einfordern und ihm dafür eine definierte Menge aus den erwirtschafteten Gütern zuteilen. Darüber hinaus müsste es die Staatsgewalt untersagen, dass Menschen die ihnen zugeteilten Güter untereinander tauschen; denn wenn sie Teile der ihnen zugeteilten Güter untereinander tauschten, würde es wieder eine Preisbildung geben. Neben der enormen, nicht zu bewältigenden Aufgabe, die Kooperation ohne Preise zu organisieren, würde ein großer Überwachungs- und Repressionsapparat notwendig sein, dessen Sinn sich niemandem (nicht einmal den Herrschenden) erschließen würde. Die Ansätze zu solch einem System, vornehmlich zu gewissen Zeiten in der Sowjetunion und in der Volksrepublik China sowie weiteren staatssozialistischen Ländern, haben gezeigt, dass es uneffektiv wirtschaftet, rücksichtslos mit Mensch und Umwelt umgeht und dass die Preisbildung dennoch nicht unterbunden werden kann und sei es in Form von Schwarzmärkten.

Weit davon entfernt, ein Unglück zu sein, ist die Preisbildung ein segensreicher integraler Bestandteil eines jeden wirtschaftlichen Handelns, das über Autarkie und Subsistenz hinausgeht. Die Preisbildung zwingt niemanden dazu, für die Zurverfügungstellung eines Gutes oder eines Dienstes eine Gegenleistung zu verlangen; vielmehr ermöglicht sie es, dass Menschen neben ihrer Erwerbstätigkeit auch mildtätig sein können. In Systemen, die die Preisbildung behindern und minimieren, gibt es weniger Raum und weniger Ressourcen für Freigiebigkeit.


Sie schätzen diesen Artikel? Die Freiheitsfunken sollen auch in Zukunft frei zugänglich erscheinen und immer heller und breiter sprühen. Die Sichtbarkeit ohne Bezahlschranken ist uns wichtig. Deshalb sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Freiheit gibt es nicht geschenkt. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit.

PayPal Überweisung Bitcoin und Monero


Kennen Sie schon unseren Newsletter? Hier geht es zur Anmeldung.

Artikel bewerten

Artikel teilen

Kommentare

Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.

Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.