15. Juli 2023 20:00

Sterbehilfe Mein Leben gehört mir

Eine gesetzliche Regelung ist unangebracht

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: BlurryMe / Shutterstock Suizidhilfe: Ein (auch unter Libertären) umstrittenes Thema

Rund 200-mal pro Jahr assistiert in Deutschland ein Arzt beim Freitod eines todkranken Patienten. Keine hohe Zahl angesichts von etwa 10.000 jährlichen Selbsttötungen in der Bundesrepublik. Alle diese 200 Fälle zeichnet aus, dass sie individuell sehr verschieden sind. 200 Einzelfälle, mit 200 unterschiedlichen Krankheitsbildern bei 200 unterschiedlichen Patienten. Komplexer, als es ein Gesetz je regeln könnte. Gesetze scheren sich nicht um Einzelfälle, sie sind immer auf die Masse ausgerichtet. Das individuelle Schicksal eines todkranken Menschen ist Politikern egal. 

Insofern darf man schon die Frage aufwerfen, warum eine so geringe Zahl von Betroffenen aus der Sicht der Politik eine gesetzliche Regelung überhaupt notwendig macht. 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht das Verbot der Sterbehilfe teilweise aufgehoben und geurteilt, jedem Menschen stehe es frei, „sein Leben selbstbestimmt zu beenden“. Doch wie so oft beließ es das Gericht nicht bei dieser Feststellung, sondern gab dem Bundestag als Aufgabe die Ausarbeitung einer konkreten Regelung mit. 

Diese scheiterte nun vergangene Woche. Dabei standen sich zwei Gesetzentwürfe gegenüber: Eine Gruppe um den SPD-Abgeordneten Lars Castellucci wollte die Uhr wieder vor das Verfassungsgerichtsurteil zurückdrehen und – mit bestimmten Ausnahmen – auch den assistierten Suizid wieder unter Strafe stellen. Ein Gegenentwurf von einer Gruppe um die Grünen-Abgeordnete Renate Künast sah vor, diesen ganz aus dem Strafrecht herauszunehmen und Rechtssicherheit für Ärzte herzustellen. Allerdings sollte auch dieser Entwurf, analog zur Abtreibungsregelung, einen Zwang zur Beratung festschreiben, bevor tödliche Medikamente verschrieben werden dürfen. Damit bleibt der assistierte Suizid in Deutschland erlaubt, wenn auch Sterbehilfevereine nicht die gewünschte rechtliche Regelung bekommen haben. 

Für mich als Christ kommt es nicht in Frage, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Zumindest sage ich das heute mit 37 Jahren, während ich mich bester Gesundheit erfreue. Dennoch habe ich großes Verständnis für Menschen mit unweigerlich tödlichen Diagnosen und einem langen Leidensweg hinter und vor sich, die ihrem schmerzvollen Dahinsiechen ein Ende bereiten wollen. Letztendlich kommt es hier jedoch weder auf meine Meinung noch auf die der Parlamentarier noch auf irgendwelche Umfragen zu dem Thema an (die im Übrigen quer durch die Bank den Wunsch der Menschen nach Liberalisierung erkennen lassen).

Es ist das alleinige Recht des erwachsenen Individuums, in allen Lebensphasen über das eigene Leben zu bestimmen. Und dazu gehört auch, sich Hilfe beim Sterben zu holen, wenn man nicht in der Lage oder willens ist, diesen Weg allein zu gehen. An diesem Punkt wird auch klar, dass die von der Politik sauber definierte Unterscheidung zwischen aktiver, passiver, indirekter Sterbehilfe und assistiertem Suizid aus freiheitlicher Sicht nichts zur Sache tut. Das Prinzip bleibt gleich: Gesetze hin oder her, mein Körper gehört mir. Am Ende des Lebens genauso wie in jeder anderen Lebensphase. Eine mündliche oder schriftliche Willensbekundung eines volljährigen Menschen sollte genügen, um dem Arzt, der Krankenschwester oder dem Angehörigen rechtliche Schwierigkeiten zu ersparen.

Wer übrigens Abtreibung und Sterbehilfe in einen Topf wirft (und das tun christliche Lebensschutzorganisationen genauso wie ihre ideologischen Gegner) vermischt zwei völlig unterschiedliche Kategorien. Bei der Sterbehilfe geht es um das Recht auf die Beendigung des eigenen Lebens. Bei Abtreibung hingegen handelt es sich um die Tötung eines anderen Individuums. Am Ende sollten weder Abtreibung noch Sterbehilfe gesetzlich geregelt sein. Es stimmt: Abtreibung ist eine Form von Mord, aber die staatliche Verfolgung von Abtreibung wirft am Ende Probleme für die individuelle Selbstbestimmung auf, die schwerer wiegen als der mögliche Schutz ungeborenen Lebens. Auch ein von der Politik bestimmter Beratungszwang ist bei beiden Themenkomplexen kritisch zu sehen.

Staatlicher Paternalismus wird am Ende weder den Todkranken vom Sterbewunsch noch eine Schwangere von der Tötung ihres ungeborenen Kindes abbringen. Im Staat eine Organisation zu sehen, die menschliches Leben schützen soll, ist angesichts der Millionen Tote durch staatliche Gewalt ohnehin grotesk. Das werfe ich auch den christlichen Lebensschutzorganisationen vor, die sonst überwiegend eine tolle Arbeit machen. Wer glaubt, beim Schutz menschlichen Lebens im Staat einen Verbündeten zu haben, ist bestenfalls naiv. Der beste Weg, menschliches Leben zu schützen, ist Schwangeren oder Todkranken im eigenen Umfeld beizustehen, ohne dass damit freilich die Garantie eines Ausgangs ohne Freitod oder Abtreibung verbunden wäre, denn darüber hat freilich letzten Endes nur der oder die Betroffene zu entscheiden. 

Am Ende muss es darum gehen, todkranken Sterbewilligen den Abschied so leicht und angenehm wie möglich zu machen und ihnen nicht noch durch staatliche Vorgaben einen langen Kampf zuzumuten, wie ihn Brittanny Maynard 2014 führen musste. Die 29-Jährige, die an einem Hirntumor im Endstadium litt, wurde damals zur Galionsfigur für das selbstbestimmte Sterben in den Vereinigten Staaten. Mittlerweile haben zehn US-Bundesstaaten den assistierten Freitod legalisiert. Auch in Europa geht der Trend ganz klar in diese Richtung. Zuletzt sprach sich das portugiesische Parlament für die Legalisierung aus, das bereits bei der Legalisierung von Drogen einen der freiheitlichsten Wege in Europa eingeschlagen hat. 


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