Janusz Korwin-Mikke, Slawomir Mentzen und der Aufstieg der Konfederacja in Polen: Libertärer Populismus als Erfolgsmodell?
Im Osten was Neues mit viel Bier, im Westen Christian Lindner als Sinnbild deutscher Trostlosigkeit
von André F. Lichtschlag (Pausiert)
von André F. Lichtschlag (Pausiert) drucken
Ältere Leser werden sich vielleicht erinnern. Im September 2005 in Heft ef 55, also vor fast 18 Jahren, erschien ein Interview der libertären Zeitschrift eigentümlich frei mit dem polnischen Enfant terrible, Publizisten und Politiker Janusz Korwin-Mikke, einem osteuropäischen Propagandisten der libertären Monarchie. Witzigerweise damals im selben Heft mit einem Interview eines jungen deutschen Politikers: Christian Lindner.
Korwin-Mikke beschrieb die herrschende politische Klasse seines Landes gegenüber eigentümlich frei als „Besatzer“, die er im Vergleich zu früheren Besatzern Polens durchaus „lobe“, denn: „Sie morden und rauben nicht mehr, sondern sie lügen und klauen.“ Nur: „Dafür klauen sie aber mehr – angesichts unserer dreimal höheren Steuern als zu Hitlers Zeiten.“ Die Europäische Union verurteilte Korwin-Mikke als sozialistisch organisiertes Betrugssystem, dem Polen nie hätte beitreten dürfen. Stattdessen hätte das Land nach der Befreiung vom Sowjetkommunismus einfach „einen freien Markt einführen sollen“.
Korwin-Mikke, heute 80 Jahre alt, sorgte später, von 2014 bis 2018 als exzentrischer Abgeordneter im Europäischen Parlament, für einiges Aufsehen, zum Beispiel als er den rechten Arm im Plenarsaal hochstreckte und „ein Reich, ein Volk, ein Ticket“ brüllte, um ironisch den gleichmacherischen europäischen Neosozialismus in die Nähe des gleichmacherischen deutschen Nationalsozialismus zu rücken. Die deutsche Presse sprach von einem „Nazi-Eklat“, verwechselte aber die entsprechende Analogie und schob den Nazi-Peter einfach dem Hinweisgeber zu.
Der Harlekin der polnischen Politik, der auch in mehreren Fernsehserien und Spielfilmen mitspielte, gründete in Polen immer mal wieder neue Parteien. In seinen programmatischen Anliegen aber blieb er sich treu. So will Korwin-Mikke seit Jahrzehnten Schulen und Krankenhäuser privatisieren, die Einkommensteuer komplett abschaffen, das Recht auf freien Waffenbesitz einführen und – so konsequent ist der angebliche „Rechtsaußen“ – alle Drogen legalisieren. Von jeher gehört er dem katholisch-traditionalistischen „Konservativ-Monarchistischen Klub“ an.
Zuletzt war Korwin-Mikke Anfang 2019 Mitgründer einer rechten Parteienkoalition unter dem Namen Konfederacja, in der sich Libertäre, Konservative, Nationalisten, Monarchisten und Wirtschaftsliberale sammeln sollten. Das Programm der Partei – das aktuelle Wahlprogramm heißt „Verfassung der Freiheit“ – trägt bis heute deutlich die Handschrift ihres Grand Seniors. So fordert die Konfederacja auch aktuell unter anderem die Abschaffung der Einkommensteuer sowie aller Benzinsteuern, Waffenlegalisierung, Privatisierung der Bildung, der Kultur und des Gesundheitswesens bei Einführung von Bildungs-, Gesundheits- und Kulturgutscheinen, den Austritt Polens aus der EU und die Abschaffung der Sozialversicherungspflicht.
Nur: Korwin-Mikke erzielte in seinem Leben zwar einige Achtungserfolge, schnitt aber als Kandidat bei Präsidentschaftswahlen oder mit seinen diversen Parteien bei nationalen und europäischen Wahlen immer zwischen knapp über einem und etwas mehr als sieben Prozent der Stimmen ab, meist pendelte er irgendwo zwischen zwei und fünf Prozent.
Im September nun wird in Polen wieder gewählt. Die Konfederacja wird heute getragen von charismatischen jungen Männern. Die Partei steigt in Umfragen von einem Rekordwert zum nächsten. Unter jungen polnischen Männern ist sie längst stärkste Partei.
Jüngst berichtete einigermaßen schockiert die Tagesschau aus Polen: „Sie strotzen vor Kraft, die vielen jungen Männer und wenigen Frauen, die zum Treffen der Konfederacja in Warschau gekommen sind. Die Halle ist voll, die Stimmung kämpferisch, an den Seiten hängen erleuchtete Porträts der Parteispitze. Die Redner werden angekündigt wie Boxer, die in den Ring steigen. Slawomir Mentzen ist der Shootingstar der Partei. Mentzen präsentiert sich mit 36 Jahren als junger Antipolitiker, seine Partei als Gegenentwurf zum Establishment. Mit kurzen, ironischen Videos erreicht er bei Tiktok Hunderttausende – und für die Konfederacja in Umfragen bis zu 14 Prozent. Mittlerweile gilt die Partei vielen als möglicher Königsmacher nach den Wahlen im Herbst. Einfache, pauschale Steuersätze, das Ende teurer Sozialprogramme. Mentzen verspricht ein radikal marktliberales Programm, schnell umgesetzt – ‚wie bei Elon Musk‘, sagt er. Seine Partei predigt ein Weltbild, nach dem jeder Mensch für das eigene Schicksal verantwortlich ist. ‚Wir gehen nicht in diese Wahlen, um uns mit ihnen an einen Tisch zu setzen. Wir werden diesen Tisch umwerfen‘, ruft er. ‚Und dann wird sich jeder arbeitende Pole ein Haus mit Grill und Rasen, zwei Autos und Ferien leisten können. So wollen wir leben.‘ Grzegorz Braun, neben Mentzen einer von drei Parteichefs, ergänzt: ‚Keine Perversen werden unsere Kinder erziehen und ihnen Toleranz beibringen. Und keine Eurokolchose der Volkskommissare wird uns erklären, wie wir unser eigenes Land führen sollen.‘“
Nebenbei ist die Konfederacja die einzige Partei Polens, die sich heute der einseitigen Kriegshetze verweigert und für Friedensverhandlungen in der Ukraine stark macht. Das ist auch so ein bemerkenswerter Unterschied zum weiten Weg der FDP unter Christian Lindner und Marie-Agnes Strack-Zimmermann: immer weiter weg von Lebensfreude, Friedensliebe und Vernunft, hin zu spaßbremsender Staatsgeilheit. Der „Spiegel“ schreibt diese Woche frisch alarmiert über Slawomir Mentzen: „Er trinkt Bier auf der Bühne und macht Witze: ‚Bier mit Mentzen‘ heißt die wohl erfolgreichste Show in der polnischen Politik: Der Gastgeber ist der neue Star. Mit seiner Konfederacja treibt er die Etablierten pünktlich zur Wahl vor sich her.“
Natürlich wittern die Tagesschau und der „Spiegel“ bei solch ausgewiesen feierfreudigen Friedens- und Freiheitsfreunden irgendwo auch „Antisemitismus“ und „Rechtsextremismus“. Und genau das ist die Moral von dieser kleinen Geschichte aus Polen.
Denn all das, wofür Korwin-Mikke immer stand und wofür die Konfederacja von den jungen Männern in Bierzelten heute feucht-fröhlich umjubelt wird, galt noch in ef 55 vor 18 Jahren als liberal und heute eben als „rechtsextrem“. Da sagte Christian Lindner, damals junger Abgeordneter im Landtag von Nordrhein-Westfalen, gegenüber eigentümlich frei im selben Heft mit Korwin-Mikke Worte, die auch von diesem hätten stammen können: „Wir wollen die Idee der Ordnungspolitik wiederbeleben. Dazu gehört, dass wir weniger regeln. Zur neuen Ordnungspolitik gehört weiter, dass wir weniger in den Markt intervenieren wollen. Die einzelnen Bildungseinrichtungen – Kindergärten, Schulen, Hochschulen – werden sehr viel mehr Autonomie erhalten. Auf mittlere Sicht sollte die Staatsquote auf deutlich unter 40 Prozent sinken. Das wäre ein drastischer Politik- und Mentalitätswechsel in Deutschland.“
Der hat dann aber nie stattgefunden. In Deutschland. Und in Polen?
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