21. Juli 2023 08:00

Arbeit und Wert – Teil 6 Preis und Wert

Asoziale Preisbindung

von Stefan Blankertz

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Bildquelle: Axel Bueckert / Shutterstock Zurzeit heißbegehrt: Ein Mietvertrag für eine bezahlbare Wohnung

Preis und Wert treten auseinander, weil der Preis, wie letzte Woche gezeigt, ein gesamtgesellschaftlicher Vorgang ist, dem Wert dagegen eine partikulare Einschätzung zugrunde liegt. Gesamtgesellschaft bedeutet hier die jeweilige Reichweite der wirtschaftlichen Interaktionen, tendenziell gilt dies weltumfassend. Zwar differieren Preise für scheinbar gleiche Produkte von Ort zu Ort, abhängig von Verfügbarkeit, Transportwegen und lokaler Wertschätzung; dennoch ist der Vorgang nicht territorial abgegrenzt, sondern folgt den Bedingungen des gesamten sozialen Umfeldes. Partikular ist die Werteinschätzung zunächst individuell, aber wir werden sehen, dass es auch subgesellschaftliche Orientierungen gibt, die zu einer Differenz zwischen Preis und Wert führen können.

Preis und Wert treten auseinander. Ein Beispiel: Ich habe Riesenhunger und komme an einer Bäckerei vorbei. In der Auslage sehe ich ein Mandelhörnchen. Ich wäre bereit, fünf Euro zu zahlen; doch ich zahle die ausgepreisten 2,50 Euro und freue mich doppelt. Umgekehrt würde ich, wenn ich nicht so hungrig wäre und erwartete, dass das Mandelhörnchen ein Euro kostet, vielleicht an ihm vorbeigehen, wenn ich sähe, dass es für 2,50 Euro angeboten würde. Als Faustregel gilt, dass ich jederzeit bereit bin, weniger zu zahlen, als mir eine zu erwerbende Ware oder Dienstleistung wert ist, aber zumindest zögerlich, wenn sie mich mehr kosten soll. Meist läuft dieser Vorgang unproblematisch ab und bleibt auch weitgehend unbewusst. Etwas anderes geschieht jedoch, wenn es sich beim Auseinandertreten von Preis und Wert um einen Vorgang mit subgesellschaftlicher Beteiligung handelt. Beispiel: Ich wohne in einem Bezirk, wo die Mandelhörnchen ein Euro kosten. Nun fallen aufgrund einer Laune der Mode Horden von Touristen in den Bezirk ein, bei denen zu Hause die Mandelhörnchen fünf Euro kosten. Gierig greifen sie nach den Mandelhörnchen und kaufen sie auf. Zunächst stehe ich vor ausverkauften Auslagen der Mandelhörnchen. Dann steigen die Preise bis auf fünf Euro. Empört behaupte ich nun zwei Dinge: erstens, dass die blöden Touris mir meine geliebten Mandelhörnchen vor der Nase wegschnappen; und zweitens, dass die gierigen Bäcker die Mandelhörnchen nun „über Wert“ verkaufen.

Da sich weder die Preise der Zutaten noch die zugesetzte Arbeit der Bäcker ändert, bedeutet der höhere Preis schlicht, dass die Bäcker nun mehr für ihre Arbeit bekommen. Sie bekommen jetzt bei gleichbleibender Leistung mehr. Vorher haben sie die Arbeit auch getan, und jetzt auf einmal machen sie einen ungebührlichen Gewinn. Mit dieser Wertung setze ich ein stabiles Verhältnis von Werten (vor allem in Relation zu meiner eigenen Arbeit) voraus und empöre mich, wenn sich das Werteverhältnis verschiebt: Die Behauptung lautet dann, der Preis entspreche nicht mehr dem Wert. In diesem Sinne ist der Begriff des Wertes eine ideologische Aussage, die verschleiert, dass ich den Bäckern ihr steigendes Einkommen nicht gönne.

Bei entsprechenden Rahmenbedingungen, also Verfügbarkeit der Zutaten und freiem Zugang zum Beruf der Bäcker und zur Eröffnung einer Bäckerei, wird der Preis der Mandelhörnchen allerdings recht schnell wieder sinken und die Aufregung legt sich (zumindest in dieser Hinsicht). Nun sind Mandelhörnchen vermutlich kein gesellschaftlich relevantes Thema und bei lokal steigender Nachfrage lässt sich die Produktion vermutlich auch recht schnell anpassen. Ganz anders sieht die Sache aus, wenn es sich etwa um Mieten für Wohnraum handelt.

Wenn bei steigender Nachfrage nach Wohnraum die Mieten steigen, ist die Frustration bei den Bestandsmietern und bei den Suchenden mit kleinem Einkommen groß; die Empörung steigt. Die Vermieter gelten sowieso als böse und gierige Reiche, die arbeitsloses Einkommen generieren allein aufgrund der Tatsache, dass sie ungerechterweise Eigentümer von Wohnraum sind. Dass sie nun noch mehr in den Rachen geschmissen kriegen, ist schlechterdings gesellschaftlich nicht hinnehmbar. Und der Bau neuer Wohnungen lässt sich nicht mal eben nebenbei bewerkstelligen wie die Steigerung der Produktion von Mandelhörnchen. Also müsse den Hauseigentümern politisch verboten werden, ihre Wohnungen „über Wert“ zu vermieten.

Lassen wir die moralische Frage des Eigentums an Mietwohnungen für den Moment beiseite und fragen uns stattdessen, was geschieht, wenn ein solches politisches Verbot einsetzt. Die Erwartung der Wohnungssuchenden mit kleinem Einkommen geht natürlich dahin, dass sie nun Wohnungen zum (aus ihrer Sicht) bezahlbaren Preis mieten können. Allerdings wird es ein böses Erwachen geben, denn sie erliegen einer Illusion.

Wenden wir uns noch einmal dem Beispiel mit den Mandelhörnchen zu. Gesetzt, es existiere eine Preisaufsichtsbehörde (PAB), die den Preis der begehrten Waren auf einen Euro begrenzt, sei es, um die armen Einheimischen wie mich zu schützen, sei es, um die Touristen davor zu bewahren, ungerechtfertigt ausgebeutet und damit abgeschreckt zu werden. Dann stehe entweder ich vor leerer Auslage, weil die Touris vor mir alle Mandelhörnchen weggekauft haben, oder, wenn ich früh genug aufgestanden bin, haben die Touris das Nachsehen und wundern sich über die merkwürdige Mandelhörnchen-Knappheit. Vielleicht werden die Bäcker das Angebot mittelfristig etwas steigern, aber nicht viel. Die Mehrarbeit lohnt sich nicht; zusätzlich Leute anstellen auch nicht. Für Neubäcker ist der Markt nicht attraktiv. Man wurschtelt sich halt so durch.

Das gleiche Phänomen tritt beim Wohnungsmarkt ein, sogar in verschärfter Form, da sich die Ausweitung des Angebots, wie gesagt, schwieriger gestaltet. Wenn sich das Angebot an Mietwohnungen nicht ausweiten lässt, bedeutet die Fixierung einer Preisobergrenze zunächst, dass genauso viele Suchende ohne eine entsprechende Wohnung bleiben wie vorher. Diejenigen, die eine per Diktat verbilligte Wohnung ergattern, freuen sich zwar, aber völlig unabhängig von ihrer Zahlungsfähigkeit. Und hier ist ein weiterer Unterschied zwischen Mandelhörnchen- und Wohnungsmarkt zu beachten. Dem Bäcker ist meine Einkommenssituation und deren Zukunftsperspektive egal. Ich reiche ihm die Euromünze oder den Fünfeuro-Schein und er händigt mit das Mandelhörnchen aus. Vielleicht erklärt er sich, weil ich Stammkunde bin, sogar bereit, mir ein Mandelhörnchen zurückzulegen und vor den gierigen Touris zu verstecken. Ganz anders bei der Auswahl eines Mieters. Für den Vermieter sind Zahlungsfähigkeit, Zahlungsmoral und die Aussicht auf ein längerfristiges stabiles Einkommen des künftigen Mieters zentrale Kriterien. Da aufgrund der per Diktat unter dem Marktpreis festgesetzten Miete der Vermieter einer unverhofft großen Zahl von Anwärtern gegenübersteht, kann er es sich leisten, seine Kriterien sehr hoch zu veranschlagen. Langer Rede kurzer Sinn: Gerade nun werden es Mietsuchende mit kleinem oder unsicherem Einkommen besonders schwer haben, einen willigen Vermieter zu finden. Abseits der Frage von Wert und Preis kann versucht werden, dies mit einem Diskriminierungsverbot zu verhindern. Das heißt aber nur, dass der Vermieter klug genug sein muss, seine Kriterien nicht preiszugeben. Aber selbst wenn die strikte Regel erzwungen wird, dass der jeweils Erste, der sich bewirbt, auch als Mieter akzeptiert werden muss, gehen alle später Kommenden leer aus, obwohl sie möglicherweise sozial gesehen bedürftiger sind; man denke etwa an eine kinderreiche Familie, die das Nachsehen hat, nur weil der Businessvertreter früher aufgestanden ist.

Das Ergebnis der Überlegungen: Es ist sinnvoll, ein Auseinandertreten von Preis und Wert zu konstatieren, wenn mit Wert der subjektive Wert für mich und mit Preis der objektive, also gesellschaftlich durchschnittliche Wert für andere einer Sache – Waren oder Dienstleistung – gemeint ist. Nicht sinnvoll ist dagegen ein Wertbegriff, der eine konstante Relation gesellschaftlich durchschnittlicher Werte für Sachen einschließlich der Arbeitskraft annimmt und dann zum politischen (gewaltsamen) Eingriff auffordert, wenn sich die Relation in dem einen oder anderen Bereich aufgrund von gesellschaftlichen Vorgängen verändert.


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