23. Juli 2023 23:00

(Lauter) Alltag in China Hass, grenzenloser Hass

Wenn Freiheit einfach nur Stille bedeutet …

von Stephan Unruh

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Bildquelle: michaelheim / Shutterstock Chinesen lieben es laut: Kaum ein Ort ohne Megaphonbeschallung

Chinesen sind im Allgemeinen hartgesotten. Das müssen sie auch sein. Denn die hiesige Gesellschaft verlangt dem Individuum viel Toleranz ab. Toleranz freilich nicht im Sinne der links-grünen Salonbolschewisten, die auch noch die allergrößten Tollheiten geistlos bejubeln und beklatschen, sondern im eigentlichen Sinne des ursprünglichen Wortes „tolerare“: ertragen, erdulden.

Zu ertragen gibt es hier in der Tat einiges. Alleine die Menschenmassen selbst sind für einen normalen Mitteleuropäer eigentlich kaum vorstellbar. In Guangzhou leben offiziell rund 15 Millionen Menschen (tatsächlich wohl eher 20 Millionen – das ist ein Viertel der Bevölkerung der BRD), und in der Greater Bay Area, dem wirtschaftlichen Kraftzentrum der Volksrepublik, erwirtschaften auf der Fläche Kroatiens rund fünf Prozent der chinesischen Bevölkerung (also etwa 70 Millionen Menschen) mehr als zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wer schon einmal in München die Wiesn besucht hat, möge sich vorstellen, wie es in der Zeit zwischen 17 und 18 Uhr, wenn in den Zelten der Reservierungswechsel stattfindet, in den Gängen zugeht. Das ist hier in etlichen U-Bahn-Kontenpunkten Alltag: von morgens sieben bis abends 22 Uhr. Da zudem in der Volksrepublik die schöne Regel „Erst aussteigen lassen, dann einsteigen“ gänzlich unbekannt ist, ist das U-Bahn-Fahren hier durchaus auch ein Wettbewerb in Griechisch-Römisch. Dass man den Ausstieg an der eigentlich angedachten Station verpasst, ist entsprechend nichts Ungewöhnliches. Also lieber Taxi fahren … wenn nur der Stau nicht wäre. Am besten also die Wohnung erst gar nicht verlassen – was übrigens dank der ausgesprochenen Serviceorientiertheit der Chinesen auch völlig unproblematisch wäre, aber wir kommen vom Thema ab.

Auch die olfaktorischen Herausforderungen sind hoch: Allein der nahezu allgegenwärtige (na gut, ich übertreibe – allgegenwärtig im Bereich von Grillständen und „Fressgassen“, die aber wiederum nun einmal fast allgegenwärtig in China sind) Geruch von Chou Dofu (臭豆腐 – Stinkender Tofu) ist gewöhnungsbedürftig. Schwieriger jedoch ist der Umstand, dass Zahnhygiene allenfalls ein nachgeordneter Teil der (Traditionellen) Chinesischen Medizin ist. Da kann ein Kundengespräch auf einer Messe in mehrfacher Hinsicht zur Herausforderung werden. Mit Dingen, die mit körperlichen Ausscheidungen zu tun haben, will ich besser erst gar nicht anfangen. Vielleicht nur so viel: Versuchen Sie den Besuch einer öffentlichen Bedürfnisanstalt im Reich der Mitte, sollte es sie jemals dorthin verschlagen, unter allen Umständen zu vermeiden.

Einmal angefangen, könnte ich nun endlos so weitermachen: die Verschmutzung quasi aller Lebensbereiche und die völlige Unfähigkeit, diese Verschmutzung wahrzunehmen und sich ihrer dann angemessen (!) anzunehmen – der Tisch ist eben nicht notwendigerweise sauber, bloß weil man einmal über ihn drübergewischt hat. Die Modesünden, die bei jedem Italiener sofort Augenkrebs auslösen würden (insbesondere was Schuhe betrifft – mamma mia!), und die Tatsache, dass auch erwachsene Frauen nichts dabei finden, Hello Kitty oder ähnliches Kleinkinderzeugs als Modeaccessoires anzusehen und dann eben auch zu tragen. Das ständige „Im-Weg-Rumgestehe“, weil es ja nicht vorstellbar ist, dass auch andere Menschen durch eine Eingangstür wollen könnten …

Alle diese Dinge kann ich aber irgendwie ertragen, ausblenden oder habe dafür eine für mich funktionierende Lösung gefunden. Was aber auch nach über zehn Jahren im Reich der Mitte unerträglich ist beziehungsweise immer unerträglicher wird, sind der Lärm sowie die Lärmresistenz der Chinesen. Egal, wo ich bisher gewohnt habe: Irgendein Depp hat immer gerade seine Wohnung renoviert, und das ist hier gleichbedeutend mit „Alles raus, alles neu“ – entsprechend viel wird gehämmert und gebohrt. Eigentlich ist ja das ganze Land eine einzige Baustelle: Überall lärmt, dröhnt, stampft und schallt es. Aber das alleine ist es nicht: Chinesen ertragen aus irgendeinem Grund die Stille nicht. Die erste Tageshandlung meines Schwiegervaters ist es, den Fernseher anzustellen. Selbiger läuft dann bis zur Schlafenszeit – völlig egal, ob jemand davorsitzt oder nicht. In der U-Bahn ist es völlig normal, dass Menschen in voller Lautstärke Musik hören oder Filme gucken, ohne dabei Kopfhörer zu nutzen. In einem der Compounds, in denen ich wohnte, gab es Lautsprecher, aus denen tagsüber Grillengezirpe gespielt wurde, und abends wurde man mit dem Gequake von Ochsenfröschen beschallt. Die Chinesen empfanden das als romantisch, ich als höchst befremdlich. Selbst in öffentlichen Parks, Wäldern und an Aussichtspunkten gibt es immer irgendeine Art von Beschallung. Für echte Stille muss man irgendwohin, wo es nichts gibt und wo niemand ist – also in die Wüste Gobi oder auf den Himalaya … aber selbst am Everest stauen sich ja inzwischen die Menschen und dudeln dabei vermutlich irgendwas.

Das Allerschlimmste aber sind die „Flüstertüten“. Egal, ob in der U-Bahn, auf Messen, im Bahnhof, auf dem Amt, auf Märkten, in Restaurants, Touristengruppen, auf Schulveranstaltungen – wo auch immer Chinesen sind, ist auch das Megaphon. Überall hängen oder liegen diese Dinger. Es wirkt so, als hätte irgendein Dämon sie ebenso wahl- und planlos wie gewissenlos überall in China verteilt. In den allermeisten Fällen hält sie noch nicht einmal jemand in der Hand und spricht aktiv hinein. Vielmehr läuft endlos irgendeine Aufnahme, die aber von der elektronischen Höllenmaschine in ein völlig unverständliches metallernes Gequake in nahezu unerträglicher Lautstärke verwandelt wird – also unerträglich für mich. Chinesen hingegen stehen völlig stoisch neben diesen Teufelsgeräten. Ja, ich habe sogar schon Menschen (?) völlig entspannt daneben ein Nickerchen halten sehen. Mich hingegen bringen diese akustischen Folterinstrumente nicht nur an den Rand des Wahnsinns, sondern machen mich regelrecht aggressiv – früher oder später werde ich nicht mehr an mich halten können und physische Gewalt anwenden: Träume, in denen ich diese Geräte mit gewaltigen Fußtritten ins maschinelle Jenseits befördere, sind längst keine Ausnahmen mehr, sondern regelmäßig wiederkehrend.

Freiheit ist auch und gerade die Abwesenheit der Flüstertüte.


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