Guter Einkauf: Die Trinkhalle: Der Safe Space für das Dorf in der Stadt
Ein Herz für den kleinsten aller Einzelhändler
von David Andres
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Meine Lobrede zur klassischen Frittenbude erfreute sich kürzlich dermaßen großer Beliebtheit, dass ich diese Woche das Pendant dazu feiern möchte, in dem kein heißes Fett spritzt, aber eine vergleichbare Stimmung herrscht.
Die klassische Trinkhalle, auch Kiosk genannt, hat ihr kultigstes Zuhause sicherlich in den Weiten des Ruhrgebiets. Hier leben sie immer noch, die kleinen Buden. Entweder als geschlossener Raum, bei dem man ausschließlich von der Straße aus an der kleinen Theke mit dem Fenster bestellt oder als begehbares Minigeschäft. Im Fenster oder neben der Theke stehen bis heute die Plastikboxen mit verschiedenen sauren und süßen Gummis, aus denen sich Kinder und nostalgische Erwachsene ihre „gemischte Tüte“ zusammenstellen. Einst kosteten die einzelnen giftgrünen Frösche, die Schaumgummimäuse oder die Lakritzfledermäuse wenige Pfennige. Mittlerweile liegen sie bei fünf bis zwanzig Cent, doch die Freude der Entschleunigung ist die gleiche geblieben. „Eins hiervon, drei davon, nein, stopp, bitte doch nur zwei…“
Rein rational braucht niemand diese Buden, die in Berlin meist Spätis heißen, da sie vor allem abseits der normalen Geschäftszeiten für die Versorgung der Menschen mit allem sorgen, was ohnehin nur Genussmittel ist. Alkohol in allen Formen und Farben, Tabakwaren, Chips, Kekse, Süßigkeiten, allenfalls mal eine Tiefkühlware oder Dosenravioli. Zusätzlich freilich ein paar rudimentäre Drogerieartikel, Sommerspielzeug, Zeitschriften und die obligatorische Bildzeitung, deren Schlagzeile allen Anwesenden Gesprächsstoff bietet. Denn wer zur Bude geht, der verweilt häufig. Die Bude transformiert den Stadtteil zum Dorf innerhalb des urbanen Dschungels, ist der Brunnen, um den sich die Bewohner versammeln, um gemeinsam über die Politik zu lästern und mit Bier und Korn darauf anzustoßen, dass man die Clownswelt als solche erkennt und das gegenseitig zugeben darf. Die Gefahr, dass ein falsches Wort einen in der Mensa der Universität, im Lehrerzimmer des Gymnasiums oder in der Kantine der Firma die Existenz kostet? Durchaus gegeben. Die Gefahr, dass ein falsches Wort vor oder in der Bude überhaupt als solches wahrgenommen, geschweige denn an die zuständigen Stellen verpetzt oder diffamierend gepostet wird? Geht gegen null. Auch gesundheitliche Pädagogik ist hier nicht zu erwarten. Nur der Markt bestimmt, was angeboten wird und wenn filterlose Lungentorpedos mit den Jahren sogar aus diesem Sortiment verschwinden, dann ausschließlich, weil dafür keine Nachfrage mehr herrscht. Ansonsten fragt niemand nach, zieht keiner die Braue hoch, bleiben die Augen aber dennoch dafür offen, ob bei einem der urbanen Dorfbewohner tatsächlich echte Not Einzug gehalten hat. Die Trinkhalle ist für bodenständig denkende Menschen der wahre Safe Space.
Wer einen Kiosk betreibt, begibt sich außerdem besonders heldenhaft auf das Schlachtfeld der Selbstständigkeit, da er als kleinster aller Einzelhändler den Behörden besonders wehrlos gegenüber steht. Trinkhallen sind keine Ketten, keine Franchises, jeder Betreiber steht als Einzelkämpfer da mit seiner Kasse, seiner Buchhaltung, seinem Jugendschutz und der Anpassung an sämtliche aktuellen Bestimmungen. Als Einzelkämpfer ebenfalls gegenüber denen, die nicht in freundlicher Absicht kommen, die Ärger suchen oder direkt den Zugriff in das Geldfach der Kasse.
Insofern lässt sich der Gang in die Supermärkte, die in Marketing und Imagepflege oftmals dem Zeitgeist hinterherhecheln, bei einigen Waren durchaus bewusst durch den Gang zur Bude ersetzen. Denn beim Kauf eines Fußball-Sonderheftes, einer Chipstüte für den abendlichen Schmacht oder eines Feierabendbiers für den Weg den lokalen Udo, die lokale Jutta oder den lokalen Emre zu unterstützen, bietet auch und gerade für Libertäre ein besseres Gefühl, als Rewe oder Edeka die Euros in den erst seit kurzem nicht mehr maskierten Rachen zu werfen.
Viel Freude am Büdchen!
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