04. August 2023 08:00

Arbeit und Wert – Teil 8 Lässt sich die Arbeit abschaffen?

Das Credo der Sklavenhalter

von Stefan Blankertz

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Bildquelle: Everett Collection / Shutterstock Süßes Dolcefarniente: Schön für eine gewisse Zeit – doch auch erstrebenswert für immer?

Die Abschaffung der Arbeit ist ein alter Traum eines Teils der Menschheit. Ich sage, eines Teils der Menschheit. Denn es gab immer auch Menschen, die in der (in ihrer) Arbeit die Sinngebung des Lebens sahen. Die tatsächliche Entlastung von den Mühsalen der Arbeit lag nur in der Möglichkeit, andere für den eigenen Lebensunterhalt schuften zu lassen – und wird es vermutlich noch lange nur liegen. Die siegreichen Räuber, die sich schließlich ein Geburtsrecht auf Nichtstun zuschreiben ließen, sahen in der Erwerbsarbeit einen Makel. Die Richtigkeit der Ansicht, dass erst die Arbeit dem Leben Sinn verleihe, zeigt sich einerseits in der Lethargie und Apathie, in die adelige Nichtstuer verfallen konnten – besonders eindrücklich personifiziert durch die Figur des Ilja Oblomow in dem gleichnamigen Roman von Iwan Gontscharow (1859) –, ebenso darin, dass die Adeligen sich die Zeit mit Kriegsspielen vertrieben. Besonders schlimm wurde es für die sowieso schon unter den Abgaben leidende Bevölkerung, wenn sie vom Spielen in den Ernst eines Kriegs übergingen (und dies, in gewisser Weise, immer noch tun; obwohl sie heute scheinbar gewichtige Gründe vorschieben).

Wie in jeder Welle der technischen Innovation, so wird auch heute angesichts der künstlichen Intelligenz (künstlich wahrlich, ob intelligent, ist noch fraglich) davon schwadroniert, die Arbeit würde der Arbeitsgesellschaft ausgehen. Bereits der Begriff Arbeitsgesellschaft zur Kennzeichnung des bürgerlichen Zeitalters ist eine Frechheit – als seien Altertum, Mittelalter und die Neuzeit bis zur Industriellen Revolution nicht auch auf Arbeit gebaut gewesen. Dass die siegreichen Räuber die Arbeit für sich selber als ehrenrührig erklärten, hieß ja nicht, dass sie ihr Wohlleben ohne Arbeit hätten genießen können. Freilich war es die Arbeit von anderen, die sie verachteten – der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung.

Die Industrielle Revolution und die nachfolgenden technischen Innovationen haben die Menschheit von der Last der drückendsten mechanischen Arbeit befreit und machten es möglich, mehr Menschen als je zuvor zu ernähren. Dennoch ist Arbeit weiter nötig. Wenn in den großstädtischen Arealen die Mietpreise explodieren, heißt das, dass mehr Wohnungen gebaut werden sollten. Und während auf der einen Seite die Auguren raunen, die künstliche Intelligenz werde die menschliche Arbeit überflüssig machen, stellt sich die Realität in den alten Industrienationen so dar, dass ihnen aufgrund des demographischen Wandels nicht die Arbeit ausgeht, sondern die Arbeiter: diejenigen, welche die Wohnungen aufbauen, die sie ausbauen und schön machen.

Wer von der Abschaffung der Arbeit spricht, muss davon ausgehen, dass in Wahrheit von allem für alle bereits genug vorhanden sei, sodass man sich zurücklehnen und Gott einen guten Mann sein lassen könne. Man müsse das Vorhandene nur gerecht umverteilen. Davon waren übrigens schon Ende des 19. Jahrhunderts manche Sozialisten überzeugt. Ich möchte den Sozialisten heute sehen, der zu den Lebensumständen des 19. Jahrhunderts zurückkehren möchte; selbst in der Position eines gehobenen Bürgers würde sich dort wohl keiner zurechtfinden, geschweige denn wohlfühlen. Aber gestehen wir für einen Moment sogar zu, von allem sei für alle derzeit genug da, sodass es nur umverteilt werden müsse, und jeder wäre ohne Arbeit zufrieden. Doch hat das Geschaffene die Tendenz, aufgezehrt oder abgenutzt zu werden. Es muss nachproduziert oder instand gehalten werden. Wie wäre das ohne Arbeit denkbar?

Wer von der Abschaffung der Arbeit spricht, spricht in Wahrheit immer aus der Position eines Nachfahren des Adels oder Sklavenhalters, selbst wenn er Punkklamotten trägt. Er träumt davon, dass er selber nichts tun müsse, während andere möglichst unsichtbar für ihn tätig sind.

Besonders beliebt ist die Denkfigur, dass jedem die Verfügung über bestimmte Güter oder Dienstleistung, etwa saubere Luft, sauberes Trinkwasser, gute Bildung, dadurch gewährleistet wird, indem man es per Gesetz oder gar per Verfassung zu einem (An-) Recht erklärt. Man empfindet Kuba als ein weltweites Vorbild, weil dort das kostenlose (An-) Recht auf beste medizinische Dienstleistungen für jeden besteht. Allerdings vergisst man, in welch beklagenswertem Zustand sich dort die reale Situation des Gesundheitswesens befindet. Nun ist es nicht so, dass die Menschen auf Kuba das (An-) Recht auf Faulheit hätten – ganz im Gegenteil, der Sozialismus geißelt Faulheit als bourgeoise Dekadenz. Wir enden also dabei, dass weder die Arbeit abgeschafft wurde noch eine vorbildliche Versorgung besteht.

Stellen wir uns nun vor, diese illusorische Methode würde universalisiert. Es würde nicht nur ein (An-) Recht auf irgendein privilegiertes Gut wie sauberes Trinkwasser oder beste medizinische Versorgung verkündet, sondern rundum auf Verfügung über die lebensnotwendigen Dinge ebenso wie auf ein gewisses Maß an Luxus (auf das der gepflegte Punk bekanntlich nicht verzichten mag, wie das Färbemittel für seinen Irokesen oder den Strom für seine Mukke). Wer würde dafür sorgen, dass es produziert wird, wenn er selber nicht bereit ist, es zu tun? Richtig, es sind seine Sklaven. Der Punk ist der neue Römer, der neue Feudalherr.

Die Arbeit ließe sich nur abschaffen um den Preis der völligen Verarmung und Verrohung. Und das bedarf einer strikten Aufsicht, die verhindert, dass irgendjemand sich anschickt, sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen und sich ein besseres Leben aufzubauen; sich Mitstreiter zu suchen, die ein Gleiches beabsichtigen. Diese Aufseher, die mit größter Brutalität vorgehen müssten, würden freilich Arbeit leisten. Sie könnten nicht nach Lust und Laune mal zuschlagen, mal darauf verzichten. Wenn sie ihre Arbeit nachlässig verrichten würden, würden die Arbeitswilligen Mittel und Wege finden, in diesen Lücken ihre Tätigkeit aufzunehmen. Unter den Aufsehern müsste Arbeitsdisziplin herrschen, sie müssten jederzeit bereit sein, zuzuschlagen: Sie würden genau das Gegenteil dessen verkörpern müssen, was sie an gesellschaftlichem Ideal durchsetzen und verteidigen.

Die Arbeit lässt sich nicht abschaffen. Sie mag überflüssig werden dereinst, wenn intelligente, sich selbst reproduzierende Roboter alles für uns bauen, was wir uns ersehnen, alle Dienstleistungen übernehmen, mit denen wir es uns bequem machen können, alle Geschichten erfinden, die uns beim Totschlagen der unendlichen Freizeit unterhalten. Bis dahin: Ärmel hoch und zugepackt. Meine Voraussage allerdings ist nicht nur, dass dieser Zeitpunkt nie eintritt, sondern auch, dass, wenn er eintreten sollte, die Menschen findig genug sein würden, sich neue Aufgaben zu setzen, für die sie tätig werden müssten.


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