„Oppenheimer“: Stoff für mehr als einen Film
… und dennoch empfehlenswert
von Stephan Unruh
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Für „Oppenheimer“ musste ich mich extra nach Hongkong begeben. In den rot-chinesischen Lichtspielhäusern kann man zwar Tom Cruise dabei bewundern, wie er unmögliche Missionen möglich macht, aber das Schicksal eines der bedeutendsten Physiker des 20. Jahrhunderts hält die Partei offenkundig für den Untertanen nicht zumutbar – wobei die Betreiber vielleicht auch nur kaufmännisch-nüchtern kalkulierten und davon ausgingen, dass heutzutage mit theoretischer Physik die Kassen eher nicht zum Klingen gebracht werden könnten …
Das war einmal anders, womit wir auch schon mittendrin sind. Anfang des 20. Jahrhunderts eröffneten die Entdeckungen Max Plancks, Albert Einsteins oder Nils Bohrs eine völlig neue Welt: die der Atom- und etwas später der Quantenphysik. Der Film setzt in den 1920er Jahren ein, als Physiker, insbesondere die Theoretiker, Weltstars waren und Göttingen der Nabel dieser neuen Welt. Eine Welt, die im besten Wortsinne international war. Die großen Denker der kleinsten Teilchen tauschten sich unbefangen und ungeachtet nationaler, wirtschaftlicher oder politischer Interessen aus – Erkenntnis war das Ziel. Was muss das für eine Zeit gewesen sein! Wissenschaft war Wissenschaft und keine einem politischen Narrativ verpflichtete Scharlatanerie, echte Geistesgrößen diskutierten öffentlich und wurden auch von einer informierten und interessierten Öffentlichkeit begleitet. Allein dass der Film eine vage Idee davon liefert, dass es einmal eine solche Zeit gab, macht ihn sehenswert.
Bedauerlicherweise aber offenbaren sich bereits beim Einstieg einige Mankos, die dann konsequent durchgehalten werden: Beispielsweise wird wirklich jeder wichtige Dialog von dramatisierender Musik begleitet und leider auch davon überlagert. Die Tonspuren sind derart schlecht abgemischt, dass die Dialoge teilweise völlig unverständlich sind. Zum anderen – und das wird im Filmverlauf nicht besser – wird der Zuschauer geradezu mit Namen und Darstellern überflutet. Born, Franck, Heisenberg, Bohr – wer sind all diese Leute? Nun hatte ich das große Glück, am Gymnasium einen Mathe- und Physiklehrer gehabt zu haben, der zwar meine Leistungen korrekt bewertete (irgendwo zwischen ausreichend und ungenügend), dem es aber dennoch gelang, das Interesse für Physik zu generieren. Ihm verdanke ich Lektüren wie „Heller als tausend Sonnen“ von Robert Jungk oder „Der Teil und das Ganze“ von Werner Heisenberg, sodass ich die meisten Namen einordnen konnte und auch von der Materie selbst zumindest einen Hauch von Ahnung hatte – allerdings bemüht sich der Film auch kaum, irgendwelche wissenschaftlichen Erklärungen, Erläuterungen oder tiefere Einführungen zu liefern. Was genau Oppenheimer entdeckt hat und worin seine Leistungen nun genau bestanden, bleibt weitgehend im Dunkeln. Seine physikalischen Erkenntnisse werden mittels kreisender Lichteffekte und – Sie ahnen es – dramatischer Musik dargestellt … Wie absolut revolutionär aber die Idee eines „Schwarzen Loches“ damals wirklich war und warum Oppenheimers Beiträge zur Quantenphysik als wegweisend galten, wird kaum deutlich.
Jedenfalls baut Oppenheimer dann Berkeley zum Zentrum der US-amerikanischen theoretischen Physik aus, parallel dazu feiert er mit Kommunisten Partys und verdreht anwesenden Damen den Kopf … Wieder gelingt es dem Film nur ansatzweise, die damalige historische Situation einzufangen: der Aufstieg des Faschismus, der Spanische Bürgerkrieg, die sozialen Konflikte im Zuge der großen Depression. Die eigentlich wie ein Elefant im Raum stehende Frage, wie es sein konnte, dass so brillante Menschen wie Oppenheimer (und er war ja bei Weitem nicht der Einzige, die meisten Kernphysiker waren ausgesprochen „links“) mit dem Kommunismus liebäugelten, wird weder aufgeworfen, geschweige denn beantwortet. Ludwig von Mises hatte bereits im Jahr 1920 die Unmöglichkeit des Kommunismus erkannt und dies auch 1922 in seinem Buch „Die Gemeinwirtschaft“ argumentativ untermauert. Hätte Oppenheimer mal lieber zu Mises als zu Marx gegriffen.
Dann aber herrscht auch schon Krieg und das Manhattan-Projekt in Los Alamos nimmt Fahrt auf – ebenso der Film. Zunächst das (vermeintliche) Wettrennen gegen die Nazis und ihr Uranprojekt, dann das Wettrennen gegen die von der Politik vorgegebenen Deadlines sowie das „drohende“ Kriegsende. Man fiebert und bangt mit den Wissenschaftlern, obgleich man erneut von einer Flut von Namen erschlagen wird: Pauli, Fermi, Szilárd, Teller, Wigner, Fuchs, Bethe und, und, und. Wieder bleiben tiefere wissenschaftliche Erklärungen aus – warum beispielsweise ist es für die Wissenschaftler eine derartige Erleichterung, als sie von Nils Bohr erfahren, dass das deutsche Uranprojekt auf „schweres Wasser“ als Katalysator setzt? Sei’s drum, jedenfalls explodiert Trinity und die Spannung löst sich – unglücklicherweise aber läuft der Film nun noch rund 70 Minuten weiter … Eigentlich weiß jeder Filmschüler im ersten Monat, dass man einen Spannungsbogen besser erst gar nicht einbaut, wenn man ihn in der Mitte des Films auflöst.
Nun wandelt sich der Film erneut und wird zum Kammerspiel: Im Zentrum steht die abgekartete Anhörung Oppenheimers vor der amerikanischen Atomenergiebehörde, in Folge derer er seine Sicherheitsfreigabe verlor. Warum dies überhaupt so relevant gewesen ist – Oppenheimer war damit, obwohl einer der führenden Wissenschaftler und Vorsitzender diverser Beratungsgremien, schlagartig von allen Atomforschungsprojekten ausgeschlossen –, kommt im Film nicht zur Sprache. Auch wird der Eindruck erweckt, als sei die Anhörung einzig auf Betreiben des egomanischen, machthungrigen Bankier-Politikers Lewis Strauss geschehen (brilliant gespielt von Robert Downey Jr.), der aus gekränkter Eitelkeit dem Starphysiker die Karriere kaputtmachen wollte. Es fällt nahezu völlig unter den Tisch, dass nicht nur das Forschungszentrum Los Alamos massiv mit sowjetischen Spionen durchsetzt war – Klaus Fuchs war, anders als der Film suggeriert, bei Weitem nicht der einzige Spion vor Ort – und dass MacCarthy eben kein durchgeknallter, paranoider und selbstverliebter Politikclown gewesen ist, sondern er ganz im Gegenteil massiv unterschätzt hat, wie tief und umfassend die kommunistischen Wühlmäuse die Vereinigten Staaten damals bereits untergraben hatten. Auch hier, obwohl sich das Kammerspiel gerade dafür großartig geeignet hätte, verpasst der Film einmal mehr, die Frage, wie es dazu kam, dass hochintelligente Menschen wie Oppenheimer die Gefahren des Kommunismus nicht von Anfang an erkannten, zumindest aufzuwerfen …
Oppenheimer jedenfalls verliert seine Sicherheitsfreigabe, doch auch der Plan von Strauss geht nicht auf und der Senat lehnt ihn als Minister ab. Damit ist dann auch fast Schluss, vor dem Abspann wird Oppenheimer noch rehabilitiert und Edward Teller, der „Vater der Wasserstoffbombe“, bekommt noch schnell sein Fett weg, weil er vor dem Komitee die entscheidenden Sätze für Oppenheimers Sturz fallen ließ.
Der Film krankt am meisten daran, dass er nicht weiß, was er will und deshalb das Genre mehrfach wechselt: von Zeitdokumentation zu Thriller zu Kammerspiel. Vielleicht wären zwei Teile besser gewesen, denn trotz der Überlänge von drei Stunden gelingt es kaum, Charaktere sorgfältig zu zeichnen und der Komplexität der Materie gerecht zu werden. Dennoch – und das mag überraschen – fand ich den Film sehenswert. Die schauspielerischen Leistungen sind durch die Bank gut, trotz (oder gerade wegen?) der Oberflächlichkeit entstehen beim Zuschauer Fragen, deren Beantwortung er dann bei Interesse selbst erforschen kann. Und zu guter Letzt: Angesichts des Umstandes, dass wir erstmals seit langer Zeit wieder mit der realen Gefahr eines Atomkriegs konfrontiert sind, ist jeder Beitrag zu diesem Thema, der klarmacht, was der Einsatz von Atomwaffen tatsächlich bedeutet, ein guter.
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