Das tödlichste Tier der Welt: Wie man aus einer Mücke Propaganda macht
Städtische Gartenpfützenkontrolle im Deppenland
von Christian Paulwitz drucken
Es ist ja nicht so, dass in Deutschland alle Zuwanderer willkommen wären. Bisweilen findet es auch die auf der korrekten Seite stehende Politikwelt nicht nur angebracht, gegen Zuwanderungswellen aus dem globalen Süden unverhohlen Stimmung zu machen, sondern sie sogar direkt und eiskalt mit staatlichen Programmen mit dem Ziel der physischen Vernichtung zu bekämpfen. Freilich handelt es sich nicht um Zuwanderung in den staatlichen Umverteilungsapparat, der viele Geschäftsmodelle mit Unterstützung der Sozialmafia hervorbringt. Nein, hier geht es um das tödlichste Tier Welt, wie Bill Gates letztes Jahr anlässlich der Sichtung der Tigermücke in Stuttgart mit medialem Hallo zitiert wurde, da er vor ihr schon seit Jahren gewarnt habe. Nun, und er muss es ja schließlich wissen.
Zwar hat Stuttgart seither nicht größere Anteile seiner Stadtbevölkerung aufgrund von Stichen durch die asiatische Tigermücke verloren, aber man kann ja nie wissen. Und so durften wir letzte Woche die aktuelle Lage an der Tigermückenfront im Freistaat Bayern erfahren, denn bayerische Städte haben sich dazu entschieden, den Kampf mit den einfallenden Horden tödlichster Tiere aufzunehmen. Konkret geht es hier um Fürth, wo es gelungen sei, die Ausbreitung dieses Scheusals erheblich zurückzudrängen, wie uns das Staatsfernsehen – begleitet von schlecht gestellten Interviewszenen – über die diesbezügliche Planerfüllung berichtet. Schließlich übertrage die Tigermücke das gefährliche Dengue-Fieber, und zwar dadurch, dass sie sich nicht mit einer Blutmahlzeit begnüge, sondern von Wirt zu Wirt fliege und mehrfach hintereinander steche. Fliege sie von einem infizierten Wirt zu einer anderen Person, können sie – vielleicht – die Krankheit übertragen.
Zwar gab es in Deutschland noch keinen solchen Fall, da die Dengue-Fieber-Infektionen hierzulande selten sind und alle Infektionen aus Aufenthalten in den einschlägigen Regionen zurückzuführen sind, aber: Man kann ja nie wissen. Auch sonst lässt mich die Gefährlichkeit von Dengue-Fieber angesichts der offiziellen Zahlen nicht gerade vor Angst erstarren – bei 50 bis 100 Millionen Infektionen weltweit zähle man 20.000 Todesfälle, während es in Deutschland 340.000 Tote im Jahr durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen gibt, aber richtig: Die werden ja auch nicht durch so ein gefährliches Tier verursacht, gegen das man zu Felde ziehen kann. Und was die staatsbürgerliche Angstbereitschaft betrifft, bin ich vielleicht auch kein geeigneter Maßstab.
Die Stadt Fürth tut etwas, damit der ängstliche Bürger ruhig schlafen kann. Die Erzählung beinhaltet eine Biologin, die regelmäßig Tigermücken zählt – merke: auch zur Vernichtung bestimmte Migrationswellen sind staatlich bewirtschaftbar – und zwei nette Jungs, die sich das Wasser in Abwasserkanälen nach Mückenlarven anschauen und zur biologischen Bekämpfung „Eiweißkristalle“ hineinschütten. Nicht dass Sie etwa denken, da werde die von der „Bill & Melinda Gates Stiftung“ geförderte RNA-Technologie eingesetzt, mit der man in Brasilien seit 2014 herumexperimentiert und die dort 2020 zugelassen wurde. Genaues wird nicht berichtet, aber es dürfte sich bei den „Eiweißkristallen“ vermutlich um den BTI-Wirkstoff handeln, von dem uns die Tagesschau bereits 2019 berichtet hat, allerdings nur um die Vorteile der RNA-Technologie gegenüber diesem Verfahren zu verdeutlichen. Denn der BTI-Wirkstoff wirke „breitbandig“; erwähnt werden die Larven der nichtstechenden Zuckmücke, die durch den Wirkstoff auch betroffen sind.
Wenn Sie also einmal wieder von zurückgehenden Insektenzahlen hören, weswegen der Staat jetzt unbedingt ein paar Vorschriften veranlassen müsse, um landwirtschaftliche Produktion zu behindern, dann wissen Sie jetzt, dass nicht nur Stechmücken von den schützenswerten Insektenpopulationen ausgeklammert sind, sondern auch die Zuckmücke, von denen in Deutschland immerhin 570 Arten bekannt sind und die eine wichtige Nahrungsquelle von Singvögeln darstellt, insbesondere während der Aufzucht ihrer Jungen. Aber zu viele Randinformationen würden nur von der Botschaft ablenken und keine Angst: Wenn der Staat und städtische Behörden sich Ziele setzen, heißt das ja noch nicht, dass sie auch erreicht werden; wichtig sind ja nur die wichtigen medialen Botschaften in der Berichterstattung, die nicht verwässert werden sollten.
Nun könnte man den seichten Beitrag über die Tigermückenbekämpfung als skurrile Sommerlochgeschichte abtun, bei der man in der Urlaubszeit halt mal einen Praktikanten was hat machen lassen. Wenn da nicht so Schlüsselbotschaften darin verpackt wären, die offenbar so wichtig sind, dass sie in den verschiedenen Varianten, die man im Staatsfunkspektrum findet, so herausgestellt sind, dass man sie nicht übersehen kann. Außerdem ist die Tigermücke ein wiederkehrendes Thema, mit der man mit einigem Abstand immer wieder beschallt wird – als Aufhänger natürlich der Klimawandel, der dafür sorge, dass sie als Neozoen aus wärmeren Regionen nach Deutschland gekommen ist. Forschungsergebnisse von 2017 über epigenetische Anpassungsprozesse, die es der Tigermücke ermöglicht haben, mit den kälteren Jahreszeiten in Mitteleuropa zurechtzukommen, sollten mit Rücksicht auf das staatsbürgerliche Erziehungsziel an dieser Stelle nicht überbewertet werden.
Aber den Klimawandel meine ich nicht als Schlüsselbotschaft, der ist ja immer nur der Holzhammer, mit dem die Botschaften eingeprügelt werden. Verknüpft ist er hier wieder einmal mit Krankheitsgefahr – das ist immer gut, weil sie Angst und folglich die staatliche Beschützeraufgabe anspricht. Daraus folgt natürlich die Notwendigkeit der staatlichen Übergriffigkeit gegen Privateigentum, und das ist ja nun der Kern der Sache. In diesem Fall – und da ist mir dann die Kinnlade heruntergeklappt, weil es so skurril ist – gingen die städtischen Mitarbeiter angeblich in private Kleingärten und kontrollierten das Vorhandensein von Wasserpfützen, in denen sich Mückenlarven bilden können. Pfützen sind illegal und eine Gefahr für die Bevölkerungsgesundheit, wussten Sie das noch nicht? Da muss der Staat doch was tun! Wie meinen Sie? – Gestern hieß es noch, Sie sollten doch im Garten für kleine Wasserstellen sorgen, um den Singvögeln und anderen Gartentieren über die heißen Tage zu helfen – besonders wichtig wegen des Klimawandels, der dieses Jahr bekanntlich auf das erste Juli-Drittel fiel? – Jetzt hören Sie aber auf zu denken, das ist ja gemeinwohlgefährdend!
Was unterscheidet eigentlich Propaganda von Journalismus? Das Erkennen von Propaganda ist ein elementares Element für die Selbstbestimmung. Das Gefühl, jemand wolle das eigene Denken in eine bestimmte Richtung drängen, muss entwickelt und mit einem sofortigen Abwehrreflex verbunden werden. – Es ist nicht, dass der Autor eines Sachberichts nicht auch eine Meinung zum Thema haben und diese nicht auch durchblicken lassen dürfte, das ist auch in journalistisch anspruchsvoller Tätigkeit legitim und gar nicht zu vermeiden. Propaganda hat vielmehr ein Ziel außerhalb der sachbezogenen Oberfläche, nämlich Kontrolle über das Denken der Propagandaempfänger auszuüben. Das geschieht zum einen durch ständige Wiederholung bestimmter Reize und Botschaften, möglichst über mehrere Kanäle, damit der Eindruck von Offenkundigkeit entsteht (Klimawandel, Gefährlichkeit der Tigermücke). Narrative helfen zu veranschaulichen und greifbare Konsequenzen unter unterschiedlichen Gesichtspunkten darzustellen. Das Bildgedächtnis wird angesprochen, um Botschaften zu verankern.
Doch im Gegensatz zu einem Sachbericht gibt es bei Propaganda nur eine „richtige“ Sichtweise; dem Narrativ widersprechende, aber vorhandene Nebenaspekte werden entweder gar nicht beleuchtet oder lächerlich gemacht, um die Selbstverständlichkeit der Propagandabotschaft hervorzuheben. Ein Sachautor mit einem gewissen Qualitätsanspruch an sich selbst, wird dies nicht tun, sondern einen Gegenstand von unterschiedlichen Seiten beleuchten. Er mag dabei seine eigene Sicht durchaus durchscheinen lassen, wird dies aber aus Respekt vor dem Adressaten nicht zu aufdringlich tun, sondern Raum für dessen eigene Bewertungen lassen. Was hier bei der Tigermückenbekämpfungsgeschichte völlig fehlt, ist auch nur der geringste Hinweis darauf, dass man es vielleicht nicht als selbstverständlich betrachten könnte, im städtischen Auftrag einfach fremde Grundstücke zu betreten und dort sogar Veränderungen vorzunehmen. Im Bild gezeigt wird, dass da eine angesetzte Brennesseljauche ausgeschüttet wird – einfach so. Ein Eigentümer kommt nicht vor. Wahrscheinlich ist das gestellt, spielt aber keine Rolle. Man hält es nicht einmal für nötig, ein bisschen zu schwindeln, dass man versucht habe, den Eigentümer anzusprechen und so weiter. Und genau das ist die eigentliche Zielbotschaft der Propaganda unter der Oberfläche: Der Staat beziehungsweise die Stadt (da gibt es hier keinen Unterschied) darf das. Zum Wohle der Allgemeinheit darf er einfach Grundstücke betreten und Veränderungen vornehmen, zum Beispiel zur „Seuchenabwehr“. Das ist selbstverständlich und keiner Rechtfertigung wert. So soll das in die Köpfe kommen. Was der Staat tut, dient der Allgemeinheit und ist nicht zu hinterfragen.
Wenn ich früher auf solche Beiträge gestoßen bin, habe ich mich immer etwas geärgert und war beleidigt, weil der Propagandacharakter so offensichtlich ist. Wenn man ein bisschen Respekt vor den Menschen hat, die man mit der Propaganda ansprechen will, sollte man doch erwarten, dass man wenigstens ein paar Elemente qualitativer Berichterstattung zumindest zum Schein einbindet, damit die Absicht nicht ganz so auffällig ist. Inzwischen bin ich da etwas gnädiger, da ich mittlerweile der Überzeugung bin, dass es sich um reines Unvermögen handelt. Solche Beiträge werden von Leuten gemacht, die den Unterschied zwischen journalistischer Berichterstattung und Propaganda selbst nicht kennen – wie sollen sie da versuchen, einen Anschein von Seriosität zu erwecken? Gut, dass die Propaganda so schlecht geworden ist und auch gar nicht so einfach verbessert werden kann; das sollte doch einer zunehmenden Zahl von Menschen das Erkennen deutlich erleichtern.
Ach ja: Schlussbotschaft der Sendung ist übrigens, langfristig werde die Tigermücke bleiben. Sie wissen also durchaus, dass die ganze Tigermückenbekämpfung im Sinne des vorgeblichen Bevölkerungsschutzes Mumpitz ist und ohnehin nicht erfolgreich sein kann. Und sie sagen es auch noch dazu. Meine Güte, ist das alles schlecht.
Quellen:
Gefährliche Tigermücke in Fürth erfolgreich bekämpft (BR24)
Blockierte Fortpflanzung: Mit Gentechnik gegen unerwünschte Insekten (transgen.de)
Tigermücken – wie gefährlich sind sie? (tagesschau)
Wie Epigenetik der tropischen Tigermücke hilft (Goethe Universität Frankfurt am Main)
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