09. August 2023 13:00

Das kalifornische „Horror-Labor“ Wie Sie als chinesische Geheimdienstlegende in die Geschichte eingehen

Eine Anleitung

von Axel B.C. Krauss

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Bildquelle: Eugene Lu / Shutterstock Blick in ein „normales“ Biosicherheitslabor: Mit (eigentlich) strengsten Sicherheitsregeln

In Biosicherheitslabors oberhalb einer bestimmten Stufe gelten strengste Sicherheitsvorkehrungen, wie zum Beispiel in Labors der Stufe drei, erst recht vier, also solchen, in denen mit den gefährlichsten Krankheitserregern hantiert wird, die der Menschheit bekannt sind. Trotzdem lässt sich ein gewisses Restrisiko natürlich nie vollständig ausschließen. Egal, was die Gründe sein mögen – sei es, dass ein übermüdeter Mitarbeiter einen schwerwiegenden Fehler macht, sei es, dass trotz aller Sicherheitsprotokolle, um die Einrichtung in Schuss zu halten, ein Unfall geschieht wie zum Beispiel ein einfacher Kabelbrand, irgendeine explosive Chemikalie ein Feuer auslöst et cetera et cetera. In letzterem Fall müssten Spezialkräfte anrücken, um die Gefahr eines Ausbruchs hochgefährlicher Stoffe möglichst einzudämmen.

Schön, aber was hat das jetzt damit zu tun, als chinesische Geheimdienstlegende in die Geschichte eingehen zu wollen?

Nun, einmal angenommen, Sie sind ein chinesischer Schlapphut und möchten den USA eine fiese Krankheit anhexen. Wie gingen Sie dabei vor? Zunächst einmal würde man für solch eine Aufgabe keine blutigen Amateure nehmen, keine Dilettanten. Völlig klar. Man würde Leute anheuern, die sich mit der Materie auskennen. Wer sich aber damit auskennt, weiß natürlich, dass es viele verschiedene Wege gibt – möglichst verdeckte, denn die Täterschaft soll ja verschleiert werden –, um Krankheitserreger freizusetzen.

Dazu ein paar Beispiele. In einem Artikel der „Welt“ vom 18. März 2014 zum Thema Verbraucherschutz hieß es über Lieferketten für Tiefkühlfisch: „Eine wesentliche Station auf diesem Weg fehlt jedoch meist: China. ‚Wenn Sie im Discounter Fischstäbchen oder Tiefkühlfilet kaufen, können Sie davon ausgehen, dass die Rohware in China aufgetaut, bearbeitet, wieder eingefroren und von dort aus weitertransportiert wurde‘, sagt Matthias Keller, Leiter des Hamburger Fisch-Informationszentrums (FIZ).“ Weiter heißt es in dem Artikel: „Dass China-Produkte in Deutschland Standard sind, ist den meisten Verbrauchern nicht bewusst. Neben Fisch oder Shrimps stammen etwa auch die Zutaten für Marmelade, Joghurt, Saftschorle oder Schokolade häufig von dort.“

Das gilt aber nicht nur für Schland, sondern auch für die USA, denn die „importierten 2017 landwirtschaftliche Produkte im Wert von 4,6 Milliarden US-Dollar aus China“, so ein Artikel auf der Homepage des „Minnesota Department for Agriculture“: „Die wichtigsten US-Importgüter aus China sind Obst und Gemüse (frisch/verarbeitet), Snacks, Gewürze und Tee, die zusammen fast die Hälfte der gesamten US-Agrarimporte aus China ausmachen.“

Okay? Sie könnten also beispielsweise Ihre Täterschaft dadurch sehr geschickt tarnen, irgendwo auf dem komplexen Transportweg, den solche Produkte in das anvisierte Land nehmen, eines dieser Produkte oder Rohstoffe zu vergiften beziehungsweise zu verseuchen. Wie will man so was später noch nachweisen? Könnte sich als ziemlich schwierig, wenn nicht gar unmöglich erweisen. Doch warum eigentlich so kompliziert? Das ist ja schon viel zu weit gedacht.

Sie könnten auch einfach einen Agenten ein paar Keime in Milchtüten in irgendeinem Supermarkt injizieren lassen. Der macht sich danach aus dem Staub und ward nie mehr gesehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Vorgehen aufflöge, liegt ebenfalls nahezu bei null. Und sollte nach dem Ausbruch der gewünschten Krankheit der Täter trotzdem enttarnt werden, hätten Sie dennoch das, was man in der US-Politik „plausible deniability“ nennt, „glaubwürdiges Dementi“: Es handelte sich um einen psychisch kranken Einzeltäter, den wir schon lange im Auge haben, aber bisher leider nicht aufspüren konnten, tut uns wirklich leid.

Als drittes und letztes Beispiel könnten Sie den Handel mit exotischen Tieren nutzen, um ein infiziertes Tier ins Zielland zu bringen. Und auch hier wäre zu fragen: Wie will man im Nachhinein eine Täterschaft eindeutig bestimmen? Sie könnten also, da Sie ja möglichst raffiniert, subtil und verdeckt vorgehen wollen, ohne einen Verdacht auf sich selbst zu lenken, ein paar exotischen Tieren, die für amerikanische Kunden bestimmt sind, Krankheiten mit einer gewissen Inkubationszeit verpassen. Die werden dann in die USA eingeflogen, wo die Krankheit ausbricht und wuppdich, schon ist der Schlamassel angerichtet.

Einen hab’ ich noch: Sie könnten – was nach dem heutigen Stand der Gentechnik locker möglich ist – genetisch veränderte Moskitoeier oder -larven zum Beispiel den Florida Keys ausbringen, die dann gefährliche Erreger auf den Menschen übertragen. Ätsch, wer war’s? Kann ja zoonotischen Ursprungs gewesen sein. Viel Spaß und Erfolg bei der Ursachenforschung.

Doch solche Möglichkeiten ziehen Sie gar nicht erst in Betracht. Grund: zu plump, zu auffällig, zu offensichtlich. Nicht vergessen: Sie wollen unbedingt als chinesische Geheimdienstlegende in die Geschichte eingehen. Also was tun Sie? Sie gehen mit maximaler Raffinesse vor:

Damit bloß kein Verdacht auf China fällt, aber auch nicht der allergeringste, und um die Suche nach den möglichen Tätern so weit wie möglich zu erschweren, lassen Sie eine chinesische Firma ein illegales Biolabor betreiben. Wo? Natürlich: direkt auf amerikanischem Boden, in einer amerikanischen Stadt.

Es muss ja, siehe oben, nur irgendein dummer Unfall passieren, und schon würden Sie krachend auffliegen. Egal aus welchem Grund, und seien es auch nur grüne Gartenschläuche: „Ein vermeintlich banaler Mangel an einem Gebäude im US-Bundesstaat Kalifornien“, heißt es in einem Artikel auf nau.ch, Titel: „Illegales Horror-Labor in Kalifornien ausgehoben“, veröffentlicht am 1. April 2023 (Datum vom Autor dieses Beitrags aufgrund propagandatechnischer Genialität geändert, eigentlich erschien das Stück am 2. August).  „förderte Erschreckendes zu Tage: Im Geheimen soll eine Firma aus China dort illegal an HIV- und Coronaviren geforscht haben. Aufgeflogen ist das Labor im Rahmen einer routinemäßigen Inspektion durch die Stadt Reedley, wie die ‚New York Post‘ berichtet. Die Beamten hätten Ende letzten Jahres einen grünen Gartenschlauch entdeckt, der durch das vermeintlich verlassene Grundstück verlief. “

Um das Risiko einer Enttarnung zu minimieren, führen Sie das Labor obendrein – laut bislang vorliegenden Presseberichten – in extrem schlampiger, unprofessioneller Manier. Einer der Ermittler sagte gegenüber der Presse, er habe so was in seiner ganzen Laufbahn „noch nie gesehen“.

Ein Artikel auf t-online vom 4. August wusste mehr darüber zu berichten: „Tödliche Viren, Flaschen voll mit Körperflüssigkeiten, tote Mäuse: Die Entdeckung eines illegalen Labors löst in den USA Ekel aus – und Spekulationen.“

Weiter heißt es darin: „Die Entdeckung eines illegalen Biolabors löst in den USA Spekulationen über geheime chinesische Aktivitäten im Land aus. In einem vermeintlich leerstehenden Lagerhaus im kalifornischen Reedley haben Beamte des FBI und der Seuchenschutzbehörde CDC nicht nur tödliche Krankheitserreger gefunden, sondern auch Hunderte genmanipulierte Mäuse und Tausende Glasfläschchen voll mit Blut, Serum und anderen Körperflüssigkeiten. Unter den gefundenen Erregern seien Corona-, Herpes-, Hepatitis- und HI-Viren, die die Immunschwächekrankheit Aids auslösen, sowie Bakterien wie E. coli, Chlamydien und Streptokokken gewesen.“

Sollten die Behörden Sie auf den ganzen ekligen Kuddelmuddel ansprechen, verweisen Sie als – chinesischer – Geschäftsführer des – chinesischen – Unternehmens („Prestige Biotech“), das das Labor betreibt, sofort auf, naja, China: „Firmenchef Xiuquin Yao erklärte den Behörden, Prestige sei seit der Übernahme der aufgelösten Universal Meditech Inc. an diesem Standort tätig. Er verwies die Fahnder an Firmenstandorte in China. Doch: ‚Die angegebenen Adressen waren entweder leere Büros oder konnten nicht überprüft werden‘, heißt es in den Gerichtsdokumenten.“

Da gehe ich in die Knie. Absolut bravourös! Phantastisch mitgedacht! Sauber geplant! Die Mao-Medaille für besondere Verdienste ums Vaterland ist Ihnen sicher: „Ich nix wissen. Flagen chinesische Untelnehmen. Wissen mehl!“

Moment. Ich bin noch nicht fertig. Doch dann schießen Sie den Vogel ab und gehen als strategisches Genie in die Geschichte ein: Sie platzieren das Labor ungefähr 60 Kilometer entfernt von einer Stadt namens Lemoore (Einwohnerzahl: 25.000), wo Kampfjets der US-Marine stationiert sind.

Dies gibt einem US-Investor und Politik-Experten namens Kyle Bass die Gelegenheit, in einem Interview darauf hinzuweisen, dass im Falle einer Freisetzung von Erregern in der Nähe Lemoores, Zitat Bass, die „gesamte US-Flugzeugträgerflotte“ hätte lahmgelegt werden können.

Besagter Bass ist Mitglied des „Council on Foreign Relations“ – der unwichtigsten, vergessenswertesten Denkfabrik für US-Außenpolitik. Ja, genau: Das ist derjenige Thinktank, der die ehrenamtlichen Mitarbeiter der philanthropischen Stiftung „al-Qaida“, die 300 Millionen Dollar für den Bau des neuen World Trade Centers spendete, im Syrienkonflikt als, Zitat, „willkommenen Einfluss“ bezeichnete, um die Kampfmoral der Rebellen gegen Assad zu stärken. Und es ist derjenige Club, von dem Hillary Clinton einmal sagte, vom State Department, also dem US-Außenministerium aus gesehen, hätte man es nicht weit dorthin, um sich sagen zu lassen, „wie wir denken und wie wir die Welt sehen sollten“.

Ach ja, und die besagte Flugzeugträgerflotte, so Bass weiter, „befindet sich vielleicht schon bald im Krieg mit China über eine mögliche Invasion von Taiwan“.

Nanu? Warum sollte sich die US-Flugzeugträgerflotte „vielleicht schon bald“ in einem Krieg mit China befinden? Naja, wegen Taiwan. Hat er doch gesagt. Nicht etwa wegen eines von einer chinesischen Firma betriebenen illegalen Labors mit Krankheitskeimen auf US-Festland, das wegen eines grünen Gartenschlauchs auffliegt und dessen Betreiber den Behörden explizit sagt, sie sollten mal in China nachfragen, dort wisse man mehr. Könnte man so was dazu hernehmen, im Vorfeld eine missliebige Stimmung gegenüber dem „vielleicht schon bald“ bekriegten Land anzuwärmen? Oder um einen diplomatischen Vorfall zu konstruieren und Spannungen zu eskalieren? Reden Sie doch keinen Quatsch.

Kurzzusammenfassung der größten Hits: Sie möchten Spekulationen um mögliche chinesische Biowaffenpläne gegen die USA um jeden Preis vermeiden. Deshalb setzen Sie selbstverständlich keine Tarnfirmen ein, geben Sie auch sich keinerlei Mühe, die Herkunft großartig zu verschleiern, sondern lassen gleich eine chinesische Firma ein illegales Labor in einer amerikanischen Stadt führen, also direkt im Zielland. Damit, vielleicht doch entdeckt zu werden, rechnen Sie nicht. Statt es in tadellosem Zustand zu halten, lassen Sie es achtlos versaubeuteln. Darin finden die Ermittler alle möglichen fiesen Erreger sowie tote Versuchstiere. Von den Behörden dezent danach gefragt, verweist der chinesische Geschäftsführer die Ermittler an Firmen in China.

Dadurch geben Sie der US-Regierung eine total unwillkommene Gelegenheit, die ganze Sache auszuschlachten, die Bevölkerung in Angst und Schrecken vor chinesischen Biowaffen-Attacken zu versetzen und einen Experten einer völlig bedeutungslosen Denkfabrik für Außenpolitik sagen zu lassen, ja Mensch, das hätte ja unsere ganze Flugzeugträgerflotte entmannen können, und das wäre ja ein kriegerischer Akt!

Sollten Sie sich wegen dieser brillanten Vorgehensweise sorgen, bei einer Entdeckung dank grüner Gartenschläuche als begossener Pudel dazustehen: Macht nix. Denn in China essen sie Hunde, sodass Sie mit Ihrer Schande nicht lange leben müssten.

Herzlichen Glückwunsch! Nun gelten Sie in der Geheimdienstbranche als Legende!

Bis nächste Woche, wenn es heißt: Illegales russisches Chemiewaffenlabor im Zentrum von Washington nur durch Zufall entdeckt – Putzfrau vergaß Schlüpfer mit aufgesticktem Hammer und Sichel-Emblem auf Wäscheleine.


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