Nascar neben der Ideallinie: Die Kernklientel aus den Augen verloren
Suspendierung von Noah Gragson
Die amerikanische Nascar-Serie wird von Rennsportfans gerne als politisch nicht ganz so korrekte Alternative zur völlig politisierten Formel 1 wahrgenommen. Das liegt vor allem an ihren Zuschauern. Dank ziviler Eintrittspreise und einer Fokussierung auf echten Rennsport (die Autos fahren alle noch mit Achtzylindermotoren und sind auf dem Stand der Motorentechnik Anfang der 70er Jahre eingefroren) ist Nascar vor allem im Kernland der USA deutlich beliebter als IndyCar oder gar europäische Serien.
Allerdings hat auch Nascar in den vergangenen Jahren immer mehr die eigene Kernklientel aus den Augen verloren. Das zeigt sich auch in der aktuellen Kontroverse um angeblich rassistische Social-Media-Aktivitäten von Noah Gragson. Für den 25-Jährigen war es seine erste Saison, in der er bisher zugegebenermaßen nicht mit guten Ergebnissen überzeugen konnte. Doch dass es sich bei dem Mann aus Las Vegas um ein großes Motorsporttalent handelt, hat Gragson in unteren Rennklassen bereits bewiesen. Unter anderem hält er den Rekord für die meisten Siege am Stück in der Nascar-Xfinity-Serie.
Doch Gragson musste jetzt erleben, dass für einen Rennfahrer dieser Tage ein „Gefällt mir“-Klick in sozialen Netzwerken noch gravierendere Auswirkungen auf die weitere Karriere haben kann als ein Fehler hinterm Lenkrad. Konkret geht es um ein Meme auf Instagram. Dieses zeigt den Kopf des im Mai 2020 von Polizisten in Minneapolis getöteten Afroamerikaners George Floyd zusammen mit einer ziemlich geschmacklosen Parodie auf eine Filmszene aus „Die kleine Meerjungfrau“. „Under da knee“ macht sich das Meme über den getöteten Floyd lustig, in Anspielung auf Floyds Ersticken unter dem Knie eines Polizisten. Was Gragson geritten hat, diesen Post zu liken, ist nur schwer zu verstehen. Und wie doof kann man sein, er musste doch wissen, dass ein Like in seiner Position als Nascar-Fahrer nicht unbeobachtet bleibt.
Auch eine öffentliche Entschuldigung Gragsons half nichts mehr. Sowohl sein Team Legacy Motor Club als auch Nascar suspendierten Gragson daraufhin auf unbestimmte Zeit. Beim am Sonntag gestarteten und wegen der Wetterkapriolen erst am Montag beendeten Rennen auf dem Michigan International Speedway saß Ersatzfahrer Josh Berry in Gragsons Auto. Auch für die nächsten zwei Rennen hatte sein Team schnell einen anderen Fahrer verpflichtet. Für deutsche Motorsportfans übrigens ein alter Bekannter: Der DTM-Champion von 2013, Mike Rockenfeller, wird in Indianapolis und Watkins Glen für Legacy hinterm Lenkrad sitzen. Noch vor Beginn des Rennwochenendes in Indianapolis folgte dann überraschend die Vertragsauflösung zwischen Gragson und Legacy. Offiziell auf Wunsch Gragsons, der sich in einem Statement erneut reumütig zeigte, aber gleichzeitig ankündigte, seine Motorsportkarriere fortsetzen zu wollen. Bizarr sind vor allem die Rassismusvorwürfe.
Denn was hat die Ermordung Floyds mit Rassismus zu tun? Am Ende handelte es sich um einen Fall brutaler Polizeigewalt, wie er in Amerika jeden Tag vorkommt, da können die Black-Lives-Matter-Krakeeler noch so laut „Rassismus“ brüllen. Dass Schwarze vor allem aufgrund restriktiver Drogengesetze öfter Opfer von Polizeigewalt werden, stimmt zwar, dennoch habe ich noch keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass die inzwischen verurteilten Polizisten in Minneapolis aus rassistischen Motiven heraus handelten. Beim Gerichtsprozess gegen die Polizisten wurde der Rassismus-Vorwurf noch nicht einmal thematisiert. Kritisieren muss man Gragson allerdings für die Verhöhnung eines Opfers von Polizeigewalt. Doch das nun mögliche erzwungene Ende seiner noch jungen Karriere rechtfertigt das nicht.
Bei Fans kommt der Umgang mit Gragson nicht gut an. „Alle freiheitsliebenden Nascar-Fahrer sollten sich weigern zu fahren, bis Noah Gragson sein Cockpit zurückerhält“, schrieb ein Nutzer auf Twitter. „Boykottieren wir Nascar, Noah Gragson hat nichts falsch gemacht“, schrieb ein anderer. Es ist nicht die erste woke Irrfahrt der Nascar-Verantwortlichen um Jim France. Immer lauter wurden in letzter Zeit die Überlegungen, bald einen Hybridantrieb ähnlich wie in der Formel 1 oder der IndyCar-Serie verpflichtend zu machen.
2020 war auch der Fall Floyd schon einmal Thema. Während sich in der Formel 1 damals zahlreiche Fahrer in der Startaufstellung hinknieten, um so gegen die ihrer Meinung nach rassistische Behandlung von Floyd zu protestieren, griff Nascar zu einer ganz anderen Maßnahme. Man verbot kurzerhand den eigenen Fans, die „Konföderiertenflagge“ zu den Rennen mitzubringen, die gerade im Süden auf Rennstrecken in der Vergangenheit omnipräsent war. Nur nebenbei: Die umstrittene Flagge war zu keinem Zeitpunkt das offizielle Symbol der Südstaaten, sondern die Kriegsflagge von Tennessee, allerdings auch nur für ein Jahr zwischen 1864 und 1865. Und jeder verbindet mit ihr etwas anderes. Wenn man es übrigens ernst mit dem Verbot von politisch schwierigen Symbolen an der Strecke gemeint hätte, hätte man auch gleich das Mitbringen der US-Flagge untersagen können. Das Sternenbanner steht wie keine andere Flagge auf der Welt für imperialistische Angriffskriege, darunter auch 1861 auf das eigene Volk.
Vielleicht ist Nascar auch wegen dieser Entwicklung eine Rennserie, die im Niedergang begriffen ist. Seit Jahren brechen Zuschauerzahlen sowohl an der Strecke als auch die Einschaltquoten im TV ein. Wundern braucht sich von den Verantwortlichen darüber jedenfalls keiner. Es ist ähnlich wie bei Bud Light: Man kann schon auch politisch neue Wege gehen und hoffen, darüber neue Fans zu gewinnen. Aber die Kernklientel wiederholt derart vor den Kopf zu stoßen, das geht vielleicht in der Formel 1 mit ihrem durch Netflix mittlerweile gigantischen Fanpotenzial, aber nicht in einer Rennserie, die ihre Fans hauptsächlich in Flyover Country rekrutiert. Und obendrein ist es ein ziemlich unwürdiges Verhalten für eine Rennserie, die ihre Ursprünge im Kampf gegen Prohibition und staatliche Übergriffe hat.
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