Eine Presseschau: Die mediale Bruchlinie
Juristisches Handwerk im Spiegel der Zeit
von Carlos A. Gebauer (Pausiert)
von Carlos A. Gebauer (Pausiert) drucken
Noch einmal will ich kurz zurückkommen auf jenen juristischen Fachartikel, den Katrin Gierhake und ich vor drei Wochen in der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ publiziert haben (NJW 2023, 2231 ff.). Was dort ausgeführt wird, ist in seinem Kern nichts anderes als staubtrockenes juristisches Handwerk. Das Gesetz und die aus ihm in höchstrichterlicher Rechtsprechung normativ präzisierten Anforderungen an eine ärztliche Aufklärung von Patienten vor deren Behandlung mit neuartigen Therapien werden auf präventive Behandlungen mit künstlich modifizierten Ribonukleinsäure-Wirkstoffen angewendet. Mit anderen Worten: Ein etabliertes und anerkanntes, unbestrittenes rechtliches Instrument wird auf einen offenliegenden Sachverhalt angewendet. Das ist nicht erstaunlich, vielmehr ist bemerkenswert ist, dass der argumentative Einsatz des üblichen Rechtssatzes über einen mehrjährigen Zeitraum unterblieb. Wer bildhafte Sprache liebt, mag denken: Der Keller lief voll Wasser, aber niemand dachte an die Pumpen, die auf der Treppe bereitstanden.
Als wäre alleine dies nicht schon irritierend genug, reiht sich in die Kette des Merkwürdigen nun eine weitere Absurdität ein. Binnen Tagen rezipierte das Internet den Fachaufsatz, wurden seine Inhalte wiederholt, paraphrasiert, erläutert und zitiert, in Kommentare gewickelt, in fremde Sprache übersetzt und mit Forderungen garniert. Doch diese gesamte Wirkgeschichte des Artikels beschränkt sich – auch bis zur Stunde – auf jene Publikationen, die inzwischen üblicherweise als „alternative Medien“ bezeichnet werden. Jene Blätter, Sender und Seiten, die man weiland als „Mainstream“ bezeichnete, schweigen zur Sache beharrlich. Das vormals „tonangebende“ Milieu geht über den Aufsatz hinweg, als sei er nie geschrieben worden. Wie von Geisterhand bildet sich infolge einschlägiger „Google-Suchen“ exakt jene Bruchkante ab, die unsere gespaltene Gesellschaft heute in zwei Teile spaltet: das vormals jahrzehntelang eingefahrene Establishment aus öffentlichen Sendeanstalten, „Spiegel“, „Zeit“ und Ähnlichem dort – und das bunte, quirlige Lager der aufkeimenden Medien, die auftrumpfenden neuen Oasen der Publikumsinformation hier. Konkreter zu werden, ist an dieser Stelle nicht erforderlich. Jede eigene Netzrecherche mit einschlägigen Suchbegriffen zeigt, worum es geht.
Die Schaffung dieses weiteren medialen Totraumes im untergehenden Mainstream wäre als solche schon für sich gesehen bemerkenswert. Doch just das Thema „Ärztliche Aufklärungspflichten“ ist – wie ebenfalls ein Probeblick mit Dr. Google erweist – ein gleichsam exzessives Dauerbrennersujet im gesamten ärztlichen Fortbildungsmarkt. Eigentlich ist kaum vorstellbar, dass auch dieses Thema nun den aufblühenden Newcomern allerorten überlassen werden soll.
Man könnte den Eindruck haben, irgendwer versuche, ihm missliebige Tatsachen durch Schweigen aus der Welt zu schaffen. Aber Wegsehen hilft nicht. Die Aufklärung und die Moderne haben ihre historische Kraft eben daraus bezogen, Realitäten zur Kenntnis zu nehmen und sie präzise zu beschreiben. Wer zensiert, hat keine Zukunft.
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