Netflix-Dokudrama: Keine Namen, keine Erinnerung, nichts
Queeres Leben im Berlin der 20er und 30er Jahre
Ich kann an einer Hand abzählen, wie oft ich seit meiner Rückkehr nach Deutschland lineares Fernsehen geschaut habe. Das hat verschiedene Gründe. Für Nachrichten und Politiksendungen sind mir sowohl die öffentlich-rechtlichen als auch die privaten Kanäle zu propagandalastig. Zumal sich mein Interesse für Politik mittlerweile ohnehin in engen Grenzen hält.
Und die Spielfilme sind leider alle synchronisiert. Ich habe nie verstanden, warum scheinbar nur so wenige Menschen in Deutschland das Bedürfnis haben, einen Film auch mal im Original zu schauen. Erklärt das vielleicht auch ein Stück weit die im internationalen Vergleich eher defizitären Englischkenntnisse?
Für mich ist ein Netflix-Abo jedenfalls unverzichtbar. Man kann über den Streaming-Dienst ja viel schimpfen und natürlich haben auch zahlreiche Netflix-Eigenproduktionen eine klare ideologische Schlagseite. Doch im Gegensatz zu dem, was an oft plumper Propaganda in deutsche Fernsehfilme einfließt, sind diese zumindest handwerklich gut gemacht.
Das gilt auch für die diesen Sommer erschienene Netflix-Produktion „Eldorado – Alles, was die Nazis hassen“, ein Dokudrama über queeres Leben im Berlin der 20er und 30er Jahre. Hätte ich über diese Sendung in einer Programmzeitschrift gelesen, hätte ich mit Sicherheit nicht den Fernseher eingeschaltet. Zu erwartbar, was gerade öffentlich-rechtliche Sender zu dem Thema liefern würden.
Die Doku besticht vor allem durch ihren ausschließlich historischen Fokus. Und obwohl Personen zu Wort kommen, die als Transaktivisten vorgestellt werden, verliert sich der Film nie im belehrenden Moralisieren. Nicht nur die Intro erinnert an „Babylon Berlin“, die Sky-ARD-Serie, die ebenfalls auf Netflix, allerdings nur im amerikanischen und mit VPN zu sehen ist.
Die Faszination der 20er Jahre liegt sicher auch in der zeitlichen Nähe zum Nationalsozialismus begründet. Es gebe „kaum einen anderen Zeitpunkt in der Geschichte, wo Freiheit und Unterdrückung so nah zusammenliegen“, fasst der Historiker Klaus Müller gleich zu Beginn zusammen. Und interessant ist auch, wie viele Jahrzehnte es dauern sollte, bis queeres Leben in Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg wieder an die 20er Jahre anknüpfen konnte. Wobei anknüpfen vielleicht das falsche Wort ist. „Anknüpfen konnten wir an gar nichts“, so Müller. Die Nazis hatten hier wahrlich ganze Arbeit geleistet.
Doch während die Gleichschaltung vieler Institutionen oft Jahre dauerte, gerieten Homosexuelle nach der sogenannten Machtergreifung recht schnell in den Fokus. Müller: „Viele waren, glaube ich, auch überrascht, wie schnell die Polizei eingegriffen hat, wie schnell man vor Gericht stand.“ Doch nicht alleine die Polizei erhöhte den Verfolgungsdruck. „Denunziationen sind ausdrücklich erwünscht und die deutsche Bevölkerung liefert.“ Auch später erleichterten den Nazis sogenannte „Rosa Listen“ die Verfolgung. Die Datenbestände, die die Strafverfolgungsbehörden über echte oder vermeintliche Homosexuelle zur Zeit der Weimarer Republik anlegten, fielen natürlich nach 1933 den Nationalsozialisten in die Hände.
Doch was den Film so kurzweilig und gleichzeitig so berührend macht, sind nicht historische Fakten, sondern die Schicksale ganz normaler Menschen, die der Film streift. Etwa die Jugendromanze zwischen dem mittlerweile 103 Jahre alten Walter Arlen und dem ungarischen Juden „Lumpi“, der schließlich im Arbeitslager Harka im Alter von nur 25 Jahren den Tod findet. Arlen lebt seit 1939 in den USA und ist mittlerweile mit seinem Partner verheiratet. Er wurde in den Vereinigten Staaten zu einem berühmten Komponisten. Oder die Geschichte der Malerin Toni Ebel und der US-Schauspielerin Charlotte Charlaque, die sich im Berlin der 20er kennenlernen und an ihrem zehnten Jahrestag Besuch von der Polizei bekommen. Nur ihr amerikanischer Pass rettet Charlaque. Die beiden Frauen sollten sich nie wiedersehen.
Ausgangspunkt und Namensgeber des Films ist der Schöneberger Nachtklub Eldorado, wo bis Herbst 1932 so unterschiedliche Persönlichkeiten wie SA-Chef Ernst Röhm, der Tennisprofi Gottfried von Cramm oder auch der Leiter des Instituts für Sexualwissenschaft, Magnus Hirschfeld, verkehrten.
Auch das Thema Transsexualität in den 20ern behandelt der Film ausführlich. Wussten Sie, dass im Berlin der 20er Jahre Transfrauen, ausgestattet mit einem offiziellen „Transpass“, ohne Furcht von der Polizei behelligt zu werden, in Frauenkleidern durch die Stadt laufen konnten? Ein Schein, der von Hirschfelds Institut ausgestellt wurde, das bis zur Zerstörung durch die Nationalsozialisten auch als Begegnungsstätte für transsexuelle Menschen diente.
Doch der Film endet genauso wenig mit 1945 wie die Verfolgung männlicher Homosexueller. Als von Cramm, der in den 30ern eine Beziehung mit einem jüdischen Schauspieler hatte, 1951 seine Verurteilung auf Basis des Paragraphen 175 während der Nazizeit aus seinem Strafregister streichen lassen will, wird klar, wie wenig die junge BRD auch in diesem Punkt aus dem Unrecht ihres Vorgängerstaates gelernt hat. Cramm bleibt vorbestraft, was ihm die Teilnahme an vielen prestigeträchtigen internationalen Turnieren verwehrt. Erst seit 1969 ist Homosexualität unter volljährigen Männern nicht mehr strafbar. Die vollständige Abschaffung des Paragraphen 175 dauert gar bis 1994. Beklemmend ist auch der Schluss des Films, der mit den Polizeifotos der meist namenlosen Opfer endet, die in den 30er Jahren in die Mühlen der nationalsozialistischen Verfolgung gerieten: „Keine Namen, keine Erinnerung, nichts.“
Aus der heutigen Trans-Community sind oftmals Forderungen zu hören, bei denen ein ähnlich autoritärer Sound mitschwingt wie in den homophoben Urteilen der 50er. Wer Menschen vor Gericht zerren und im Zweifel einsperren lassen will, weil sie ein falsches Pronomen benutzen, kann sicher nicht die historische Nachfolgerschaft von unterdrückten Transmenschen aus den 30ern für sich reklamieren. Wer den staatlichen Repressionsapparat gegen gewaltlose Andersdenkende einsetzen will, steht immer auf der falschen Seite, egal ob hetero, homo oder trans.
Doch der Film ist auch eine Einladung, die Gegenwart auszublenden und sich auf das Unrecht einzulassen, das Homo- und Transsexuelle zur damaligen Zeit erfahren haben. Denn mit der politisierten Sexualität von heute hat die Suche nach Freiheitsnischen und Selbstbestimmung der damaligen queeren Community nichts zu tun.
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