Sport und Fußball als Symptome des Niedergangs: Deutscher Hochmut vor dem freien Fall
Cristiano Ronaldo und Lionel Messi zeigen, wo es langgeht
von André F. Lichtschlag (Pausiert)
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Böse Zungen – und wir – behaupten, die großen Verlierer der weltpolitischen Umwälzungen, die derzeit stattfinden, seien Europa und insbesondere Deutschland. In jeder Beziehung. Und das, obwohl doch auch zum Beispiel die USA und Kanada, Großbritannien, Japan und Australien zum Wertewesten gehören, gegen den die Brics-Länder aufstehen und der in der Ukraine und womöglich bald anderswo Stellvertreterkriege führt.
Aber die Amerikaner könnten am Ende wie durch ein Wunder – oder lange geplant – zusammen mit zum Beispiel Saudi-Arabien und anderen neuen wie auch alten Brics-Staaten zu den Siegern der großen Zeitenwende gehören, in der die Weltpolitik auseinander- und der Welthandel in Teilen auch mal zusammenbricht. Europa wird sicher nicht der große Gewinner sein. Und Deutschland schon gar nicht.
Die Analogien zwischen dem Sport – insbesondere dem Fußball – und der Politik in Deutschland sind Legende seit dem Fußballwunder von Bern für das Wirtschaftswunderland. Zuletzt bemühte sie Springer-Chef Matthias Döpfner etwas unbeholfen in einem auch ansonsten rat- und belanglosen Leitartikel für die „Welt“ unter dem Titel „Abstieg, Angst und AfD“.
Natürlich ist der Zustand des überpolitisierten und stramm durchbürokratisierten Sports in Deutschland ein Symptom – so wie der traurige Zustand all der anderen Lebensbereiche in diesem überpolitisierten und stramm durchbürokratisierten Land. Es ist alles dermaßen traurig und falsch, dass selbst das Gegenteil nicht richtig ist.
Ein einziges Mal nämlich in der letzten Dekade hat der Deutsche Fußball-Bund bei allem sonst fürchterlichen Politplatschquatsch etwas richtig gut gemacht – als er nämlich die Nationalelf zur international starken Marke labeln wollte: La Mannschaft. The Mannschaft.
Ein deutsches Wort mit Kraft und Wumms sollte um die Welt gehen. „Monn-Schofft“ – zackigeres Chauvi-Nazi-Sprech geht kaum. Aber da reagierten nun ausgerechnet die alternativen Medien völlig über und verdächtigten den DFB ausgerechnet an dieser Stelle des Landesverrats. Wie einfallslos. Wie passend für dieses Land. Nicht nur der DFB hat fertig, sondern sogar seine ärgsten Kritiker, die nicht im Ansatz verstanden haben, dass hier ein so wunderschönes wie dazu politisch unkorrektes und wenig gendersensibles deutsches Wort in den Sprachschatz der anderen gedribbelt werden sollte.
So wie es Holländern oder Franzosen zuvor mit der „Elftal“ und „Les Bleus“ gelungen war. Nur: Harry Holland und Jean Dupont haben nie humorresistent auf ehrzersetzende Anreden in Überlänge wie „Elftal nationaal“ oder „Les Bleu national“ bestanden.
Am vergangenen Wochenende holten auch die deutschen Leichtathleten erstmals keine Medaille mehr bei einer WM. Nicht einmal die bis zum Erbrechen der veganen Wurst von Dieter Schatzschneider politmedial dauergehypten „Fußball“-Frauen mochten noch Erfolge beisteuern. Deutschland hat fertig. Auf ganzer Linie.
Und doch ist es im Sport wie mit der Wirtschaft: Immer noch wähnen sich viele Bundesbürger – unter ihnen postum selbst heute 20-Jährige – in längst vergangener Stärke der 80er Jahre. Dass dieses Land von der abschüssigen Bahn in den Steilflug hin zu einem Schwellenland übergegangen ist, allerdings von der anderen Richtung kommend, wollen erst die wenigsten wirklich wahrhaben.
Und so schaut inmitten der sich anbahnenden Rundum-Katastrophe der Deutsche im Zweifel immer noch hochnäsig auf andere. Das heißt „Nationalmannschaft“, verstehst’? Und Super- oder Baumarkt-Produkte, hergestellt in anderen Ländern, können im Zweifel nur schlechter sein, oder? Und wenn ein älterer Fußball-Weltstar nach dem anderen in die Wüste nach Saudi-Arabien wechselt, dann höhnen Millionen deutsche Bundestrainer hinterher und der des SC Freiburg noch obenauf.
Dabei ziehen die Saudis gerade nicht nur eine ganze Profi-Liga fast aus dem Nichts hoch. Sie stampfen zum Beispiel auch eine futuristische Megastadt in der Größe Belgiens aus dem Wüstensand: Neom, heute bevölkert von 60.000 Bauarbeitern, Ingenieuren und Architekten, 2030 schon Glitzerwelt für neun Millionen Einwohner aus aller Welt. Der umtriebige Kronprinz zieht aber nicht nur Menschen, sondern bewusst auch Industrieproduktionen in genauso gigantomanischen Ausmaßen und zu Dumpingstrompreisen und Nullsteuern links und rechts neben „The Line“ an wie mit einem Magnet in Sonnengröße. Die Verantwortlichen sagen offen: „Wir bauen hier gerade das neue Europa!“ Kleiner Hinweis: Deutschland war das industrielle Herz des alten Europas.
Das zu schlagen langsam aufhört. Nicht nur im Sport. Natürlich spielen Christiano Ronaldo und andere in Saudi-Arabien weder auf höchstem Niveau noch bereits vor Rekordkulissen. Ronaldo selbst wird auch endgültig dann zu alt sein, wenn Neom in ein paar Jahren fertiggestellt und voll von zahlungs- und begeisterungsfähigen Menschen sein wird. Aber seine Nachfolger? Vor welchen Kulissen und in welchen Stadien werden die dort spielen? Und welchen Stellenwert wird dann der SC Freiburg haben?
Es sind wie erwähnt aber nicht nur die Schwellen- und Brics-Länder, die aufsteigen und im Sprint noch mit Ball am Fuß an Deutschland vorbeitänzeln. Auch die USA werden zu den Siegern gehören. Sie ziehen heute schon die Industrie aus Deutschland zu sich. Täglich werden es mehr Fabriken, die rübermachen über den großen Teich.
Und auch dort, im Stammland der unbegrenzten Möglichkeiten, boomt gerade der Fußball mit Lionel Messi in Miami. Nein: mit Messimania in den USA. Nach Beckenbauer, Müller und Co in den 70ern bei Cosmos wird „Soccer“ im zweiten Anlauf jetzt wirklich populär. Messis ikonographisch-pinkes Trikot unter Club-Boss David Beckham ist schon nach wenigen Wochen ein globusweiter Adidas-Verkaufsschlager. Was, wenn Inter Miami Inter Mailand endgültig den Rang abläuft? Die Major League Soccer ist – anders als die Saudi Professional League – ganz sicher heute schon fußballerisch beachtenswert. Und auch diese Geschichte fängt gerade erst an und hört mit Lionel Messi sicher nicht auf.
Die nächste Fußball-WM 2026 wird in den USA stattfinden. Wer wird dort wohl eher den Titel holen? Die deutsche Fußballnationalmannschaft (so korrekt?) – oder Team USA? Um die übernächste WM hat sich Saudi-Arabien beworben, mit besten Chancen, „gewählt“ zu werden. Wenigstens könnten die Deutschen dann wieder Zeichen setzen. In Neom. Sofern sie sich noch qualifizieren. Sonst eben vor den Toren, als Zaungast irgendwo im Wüstensand.
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