05. September 2023 23:00

Agenda 2030 Bereichshaltungen. Die Psychologie der Politik

Wieso wollen die Menschen nicht in einer friedlichen Gesellschaft leben?

von Andreas Tiedtke (Pausiert)

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Bildquelle: Shutterstock Multiple Persönlichkeiten: Schlummern sie in uns allen?

In meinen letzten Kolumnen legte ich dar, wie und welche Haltungen der Menschen zu sich und der Welt ursächlich dafür sind, dass viele nicht in einer friedlichen und freundlichen Gesellschaft leben möchten. Es sind grundlegende, oft unbewusste Einstellungen und Überzeugungen im Hinblick auf Schuld und Scham, Ungenügen, Gewalt beziehungsweise deren Verdrängung und die Angst vor Trennung und Tod. Diese infantilen Haltungen sind sowohl ursächlich für die „Täter-Loyalität“ der einen (Gestockholmte) als auch Antrieb für die Herrschsüchtigen.

Heute möchte ich darauf eingehen, dass die Menschen keineswegs über ein einheitliches oder „integriertes“ Set von Haltungen verfügen, sondern in verschiedenen Lebensbereichen verschiedene Einstellungen zu sich und ihren Mitmenschen haben können.

Bereichshaltungen – Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps

Die Einstellungen und Überzeugungen der Menschen können je nach konzipiertem Lebensbereich variieren. Man kann sich etwa einen liebenden Familienvater vorstellen, der Auftragskiller für die Mafia ist. In dem einen Bereich (Familie) ist er zu Empathie fähig und wirksam sind friedliche und freundliche Einstellungen, wie kein Leid zuzufügen, freiwillige Kooperation anzustreben zur Freude aller Beteiligten und dergleichen. Im anderen Bereich, also gegenüber der „Out-Group“ seiner Opfer, kann er in rücksichtsloser und quasi psychopathischer Manier agieren. Ein trivialeres Beispiel mag einer sein, der den Aufzug in den fünften Stock ins Fitness-Studio nimmt, um sich dann eine Dreiviertelstunde auf den Stepper zu stellen. Oder etwa eine Amtsperson, die im Dienst sehr gestreng ist und nicht davor zurückschreckt, zwangsbewehrte Verwaltungsakte gegen friedliche Mitmenschen zu verfügen, aber privat ein geselliger Nachbar und Vereinsmensch ist, der in dieser Rolle nicht auf die Idee käme, gegenüber jemandem unmittelbaren Zwang, also letztlich Gewalt anzudrohen. Dienst ist eben Dienst und Schnaps ist Schnaps.

Dass die Menschen nicht über ein widerspruchsfreies Set von Haltungen zu sich und der Welt verfügen, fiel auch bereits Ludwig von Mises auf (1881–1973). Menschen, die über ein widersprüchliches Haltungs-Set verfügen, können in diesem Sinne als „gespalten“ betrachtet werden. Es ist, als ob in verschiedenen Lebensbereichen eine jeweils andere „Persona“ agieren würde. Oftmals verhalten sich Menschen auch unterschiedlich, wenn sie mit unterschiedlichen Menschen zusammenkommen. Beispielsweise kann einer bei einem Klassentreffen nach 20 Jahren wieder in Verhaltensmuster zurückfallen, die in seiner Abiturzeit für ihn typisch waren, oder dergleichen. Der Woody-Allen Film „Zelig“ überzeichnet den gleichnamigen Hauptcharakter etwa als „menschliches Chamäleon“, der sich haltungsmäßig (und auch physiognomisch) an die jeweilige Umgebung anpasst. Ähnliches Verhalten haben viele Leser vielleicht auch schon bei ihren Mitmenschen beobachten können – oder auch bei sich selbst.

In seinem Roman „Ich und die anderen“ („Set This House in Order“) erzählt der Autor Matt Ruff von sogenannten multiplen Persönlichkeiten, die derart gespalten sind, dass sie unterschiedliche „Innenpersonen“ entwickeln, die ihre Erinnerungen nicht teilen und daher „Zeit verlieren“, also der eine weiß nicht, was der andere getan hat. So extrem ist dies bei den allermeisten Menschen sicherlich nicht. Aber manche Menschen können beispielsweise innerhalb einer Gruppe oder Masse von Menschen anders „ticken“, als wenn man alleine auf sie trifft. Sie wirken dann „wie ausgewechselt“, eben wie eine andere Person. Unter dem Einfluss von Gruppenzwang beziehungsweise Konformitätsdruck oder Massenbildung können sie sich herzlos bis grausam verhalten.

Auch aus ihrem Alltag mögen manche Leser die Erfahrung kennen, dass man, wenn man jemanden emotional „triggert“, auf einmal einem anderen Menschen gegenüberzustehen scheint. Mimik und Haltung ändern sich plötzlich und es scheint beispielsweise so, als stünde man einem trotzigen Kind im Körper eines Erwachsenen gegenüber. Und so manch einer mag sich auch an Situationen erinnern, in denen er sprichwörtlich „neben sich stand“. Man erinnere sich an Aussagen wie „Da war ich nicht ganz bei mir“ oder „Das war nicht wirklich ich“. Auch kennen manche Situationen, in denen sie kurzzeitig vergessen haben, was sie eigentlich wollten oder wonach sie suchten.

In einem Interview der Youtuberin Jasmin Kosubek mit der psychologischen Psychotherapeutin Valeria Petkova, meinte diese sinngemäß, Muster im Hinblick auf die Gesellschaft erkannt zu haben, die Spaltungsmustern bei Menschen mit dissoziativen Identitätsstörungen ähnelten. Die Analogie ist – ganz knapp formuliert – etwa diejenige, dass, wie die Identität eines Menschen durch extreme Angst und Schrecken aufgespalten werden kann, dies mit verschiedenen Individuen innerhalb einer Gesellschaft ebenso geschehen könne, wenn man „die Gesellschaft“ in Angst und Schrecken versetzt. So könne es dann auch innerhalb einer Gesellschaft – ähnlich wie bei der dissoziativen Identitätsstörung – immer kleinere und feiner gespaltene Gruppen geben, die untereinander verfeindet wären, manche auch „täterloyal“, sodass verhindert würde, dass sie ihre Interessen harmonisieren, um beispielsweise ihre Ressourcen zu bündeln oder sich gegen Täter zu wehren. Sie erinnerte sich in diesem Zusammenhang an den alten Römerspruch „Divide et impera!“, also „Spalte und herrsche!“.

Schlussbetrachtung und Ausblick

Der Punkt, dass bei manchen Menschen in verschiedenen Lebensbereichen oder Situationen unterschiedliche, oftmals widersprüchliche Einstellungen und Überzeugungen am Wirken sind, ist sowohl für die Analyse wichtig, wie andere „ticken“, also auch dafür, herauszufinden, wie man selbst denkt und fühlt. Will man seine Haltungen reflektieren, ist es wichtig, zu wissen, dass Haltungen unter Umständen nicht „universell“ sind, sondern je nach Lebensbereich, Situation oder „Stresslevel“ verschiedene und auch widersprüchliche Haltungen am Wirken sein können.

Immanuel Kant (1724–1804) beschrieb sinngemäß als den Hauptgrund, wieso Menschen sich nicht trauen, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen, um zu einem eigenen Haltungs-Set zu sich und der Welt zu gelangen, dass die Menschen verängstigt wurden, dass man sie in einen geistigen „Gängelwagen“ gesperrt habe und sie meinten, nicht selber denken zu können. Eben weil man ihnen eingeredet habe, wie gefährlich dies sei. Das Mündigwerden beziehungsweise der Ausgang aus der Infantilität erfordert aber, dieses Risiko auf sich zu nehmen.

Nachdem ich nun die verschiedenen feindseligen Haltungen und auch die „Zersplitterung“ widersprüchlicher Haltungen innerhalb einer Person und innerhalb einer „infantilen“ Gesellschaft dargelegt habe, möchte ich in der nächsten Kolumne skizzieren, wie ein Mensch trotz der Verängstigung und seiner vorbeschriebenen infantilen Haltungen den Schritt in die Mündigkeit wagen kann, und wie wohlmeinende Menschen in Leitbild-Position, Individuen und „die Gesellschaft“ hierbei unterstützen könnten.

Die mannigfaltigen „politischen Probleme“, die uns heute begegnen, sind meiner Einschätzung nach die in Erscheinung tretenden Symptome einer tieferliegenden geistigen Krise „der Gesellschaft“, also der vielen sie konstituierenden Individuen. Es wird nicht viel und nicht lange helfen, an der Symptomatik „herumzudoktern“, wenn man die tieferliegenden Ursachen der „infantilen Gesellschaft“, die zu dieser Symptomatik führen, nicht kennt und nicht ändern kann.

Quellen:

Persona (Wikipedia): Als Persona wird die nach außen hin gezeigte Einstellung eines Menschen bezeichnet, die seiner sozialen Anpassung dient und manchmal auch mit seinem Selbstbild identisch ist.

Zelig (Woody Allen)

Matt Ruff: Ich und die anderen

Jasmin Kosubek interviewt Valeria Petkova (Youtube)

Andreas Tiedtke: Leben wir in einem aufgeklärten Zeitalter? Zu Immanuel Kants 218. Todestag (Ludwig von Mises Institut)

Andreas Tiedtke: Der Kompass zum lebendigen Leben


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